Mit “Symptoms V” schlagen MALADIE ein weiteres Kapitel ihrer komplexen Bandgeschichte auf – kompromisslos, düster und experimentierfreudig wie eh und je. Das Quintett um Björn Köppler bleibt seinem Credo treu, Extreme miteinander zu verschmelzen. Bevor wir jedoch über die neue EP sprechen, gibt es einen besonderen Anlass: Björn hat geheiratet! Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle – und natürlich wollten wir wissen, wie sich das neue Kapitel im Leben mit dem künstlerischen Schaffen verbindet.
Björn, erstmal herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit! Wie fühlt sich das Eheleben bisher an – und hat dieser neue Lebensabschnitt irgendwie Einfluss auf deine Musik oder deine Art zu komponieren genommen?
Björn: Hallo Tobi!
Vielen lieben Dank. Das Eheleben ist seltsam, denn einerseits hat sich gar nicht sooo viel verändert, andererseits ist es irgendwie auch noch surreal. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: es macht mich verdammt stolz, mit so einer unglaublichen Frau verheiratet zu sein. Ich bin sehr gespannt, wie sich dieses Gefühl der Ehe noch so entwickelt. Momentan ist das alles aber wohl noch zu frisch, um es wirklich realisieren zu können. Zumindest für mich, haha.
Wie sich das auf meine Musik auswirkt, kann ich dir noch gar nicht sagen, da ich mir eine Zwangspause auferlegt habe. Ich habe nämlich meine Instrumente alle für die nächsten 4 Platten schon im Kasten und damit sich das nicht zu sehr anhäuft, habe ich mir eine Sperre auferlegt. Aber ich fange bereits an, im Kreis zu rennen, was bedeutet, dass ich bald wieder was aufnehmen muss, um nicht durchzudrehen. Aber ich bin auch sehr gespannt, ob und wie sich die Ehe auf meine Musik auswirkt.
In unserem letzten Interview sagst du, “Symptoms”-Scheiben beschreiben eher einzelne Symptome, während Alben das große Ganze sind. Wie überträgst du dieses Konzept auf “Symptoms V” – welche “Symptome” wollt ihr diesmal herausarbeiten?
Björn: Das mag für viele jetzt sehr wahrscheinlich ziemlich bekloppt klingen, und das ist es wohl auch, aber “Symptoms V” ist älter als “Symptoms IV”. Sogar älter als “For We Are the Plague” und, ich glaube, sogar älter als “Wound of Gods”. Dass diese Aufnahmen jetzt erst erscheinen, hat zwei Gründe:
- Es war noch nicht die richtige Zeit damals
- Ich war mit den Aufnahmen nicht wirklich zufrieden
In Bezug auf “Symptoms IV” gibt es jetzt aber keinen besseren Zeitpunkt, da diese beiden Platten sich in einem krassen Kontrast gegenüberstehen. “Symptoms IV” ist so ziemlich das Positivste und Eingängigste, was wir mit Maladie je verbrochen haben, während “Symptoms V” das Düsterste und Bessesenste darstellt, das je aus mir rausgebrochen ist. IV hat gezeigt, dass nicht alle Symptome schlecht sind. Es gibt immer auch irgendwo ein Licht, wo Schatten ist. IV ist dieses Licht, während V die dunkelste Stelle im Schatten ist. Im Prinzip ein Yin und Yang.
Zum zweiten Punkt: Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum ich unzufrieden war mit der Platte (bevor der Gesang und das Saxophon aufgenommen worden sind), bis ich irgendwann auf die Idee gekommen bin, noch zwei zusätzliche Rhythmusgitarren (eine zusätzlich links und eine rechts) aufzunehmen, und das wars. Dann klang alles so wie es klingen sollte, und ich war bereit, den nächsten Schritt mit “Symptoms V” zu gehen.
Im vorherigen Werk habt ihr Duduk und Kazoo eingesetzt und mit untypischen Instrumenten experimentiert. Welche neuen klanglichen Experimente oder Instrumente finden sich auf “Symptoms V”, und wie habt ihr sie sinnvoll integriert?
Björn: Auf “Symptoms V” findet man sehr viel weniger exotische Instrumente als auf dem Vorgänger. Das einzige, was hier mehr oder weniger neu ist, ist ein Synthesizer, mit dem ich einige Parts unterstützt habe. Aber da ich so viele Gitarren aufgetürmt habe, war wenig Platz für viele andere Instrumente. Nicht mal ein Gitarrensolo hat es auf die Platte geschafft…
“Symptoms IV” war trotz exotischer Instrumente verhältnismäßig eingängig. Wie ist das deiner Meinung nach bei “Symptoms V” – wollt ihr die Hörenden mehr fordern? In welcher Form sucht ihr diesmal den Grenzgang zwischen Zugänglichkeit und Extreme?
Björn: Ja, “Symptoms IV” war mit das Eingängigste, was es von MALADIE je gab. “Symptoms V” ist da tatsächlich ganz anders und quasi das Gegenteil. Vom Aufbau zwar gar nicht wirklich so komplex, aber auf V gibt es zum Beispiel für Metal eher untypische Takte. Da wechseln sich 5/4 mit 11/4 und 13/4 ab, und das Schlagzeugspiel ist mehr von Jazz beeinflusst, als es früher bei uns der Fall war. Auch gibt es hier und da mal einen mit Blastbeats unterlegten Piano-Part, was wir bisher auch noch nicht gemacht haben.
Ich denke, dass das schon mehr fordern kann von den Fans und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie das ankommen wird. Ich meine, irgendwie unkonventionell waren wir ja immer. Aber so sehr wie auf dieser EP wahrscheinlich noch nicht. Andererseits kann es aber auch gut sein, dass ich hier die Theorie etwas zu sehr gewichte und die Fans hören es wie jede andere Platte von uns auch, ohne sich um die Musiktheorie dahinter zu scheren. Und das wäre wohl auch das Beste für sie. Ich würde das manchmal auch gerne (wieder) können, haha.
Euer Line-up ist extrem vielseitig (Gitarre, Klavier, Saxophon etc.). Wie zeigt sich diese Vielfalt konkret auf dieser EP – wo hört man eure stärksten musikalischen Reibungspunkte bzw. eure überraschendsten Zusammenspiele?
Björn: Das ist eine sehr interessante Frage. Mit dem Thema habe ich mich tatsächlich noch nie wirklich beschäftigt. Ich habe allerdings nie den Eindruck, dass es da irgendwelche Reibungspunkte gibt. Meiner Meinung nach verbinden sich alle Instrumente und Gesänge, mögen sie noch so unkonventionell sein, immer sehr homogen zu einem großen Ganzen. Aber ich denke, dass das Außenstehende sehr viel besser beurteilen können als ich selbst. Es gibt zwar ab und zu Hörer:innen, die das Saxophon stört, aber das liegt dann eher an persönlichem Geschmack als wirklich daran, dass es nicht stimmig klingen würde.
Das Saxophon ist im Metal ja mittlerweile recht oft zu hören, aber im Gegensatz zu den meisten “plötzlich war da ein Saxophon und schon war es wieder weg”-Herangehensweisen, ist es bei uns ja fester Bestandteil unseres Sounds. Ich könnte mir MALADIE so ganz ohne Saxophon nicht mehr vorstellen. Dasselbe gilt auch für das Piano und die Streichinstrumente.
Die Themen Zeit, Vergeblichkeit, Schöpfung und Verfall durchziehen die EP. Welcher Song trägt welches Thema besonders stark, und wie habt ihr das musikalisch umgesetzt?
Björn: Meine Texte und Songs entstehen immer unabhängig voneinander. Erst wenn ich mit einem Song fertig bin auf musikalischer Ebene, weise ich ihm einen Text zu. Das geht dann allerdings quasi automatisch, ohne groß darüber nachzudenken. Sobald ich die Aufnahme meiner Instrumente abgeschlossen habe, weiß ich sofort, welcher Text dazu passt.
Allerdings schreibe ich Texte tatsächlich für bestimmte Platten. Es ist also nicht so, dass ich einen großen Pool an fertigen Lyrics habe, aus dem ich mich dann bediene. Jedes Album und jede EP hat dedizierte Texte. Aber ich befürchte, dass ich dir deine Frage gar nicht explizit beantworten kann. Das sind emotionale Prozesse, die ich nicht wirklich beschreiben kann. Auch wenn unsere Songs ja meistens sehr abwechslungsreich und unterschiedlich klingen, ergibt jede Platte eine besondere Stimmung, die sich auch in den Texten spiegelt. Also ich kann dir daher keine einzelnen Songs nennen, die ein bestimmtes Thema mehr tragen als andere. Für mich ist das immer ein Zusammenspiel, wobei man nicht unbedingt von sogenannten “Konzeptalben” sprechen kann, da MALADIE ein großes ganzes Konzept ist.
Ich wage mich einfach mal an Stichpunkte. Mal sehen, ob mir da die Fans zustimmen würden:
‘The Implacability Of Time’: Vergänglichkeit
‘Black Hole Weight In Our Hearts’: Bürde
‘Procreation Of A Dead God’: Nichtige Schöpfung
‘Black Chamber Within The Golden Walls’: Versagen
‘All Shall See’: Zeit
Du hast einmal gesagt, dass viele Songtexte offen bleiben sollen, damit Hörer eigene Bilder finden. Welchen Song oder welchen Songs von “Symptoms V” würdest du als besonders “offen” oder zugänglich bezeichnen – und warum?
Björn: Uff, wie eben besprochen, ist es für mich sehr schwer, die Texte und Songs einzeln zu beschreiben. Aber ich versuche es mal. “Symptoms V” ist lyrisch sehr nihilistisch ausgefallen. Die Sprache ist wieder wesentlich metaphorischer und bildlicher geraten, im Gegensatz zu den letzten paar Releases von uns. Das ist aber, wie immer, nicht bewusst geschehen, sondern ich lasse mich beim Schreiben meiner Texte genauso gehen, wie ich das beim Komponieren der Musik tue.
Ich denke zwar, dass man doch recht schnell erkennt, um was es mir ging, aber trotzdem habe ich hier wieder sehr viel Freiraum für Interpretation gelassen. Das macht die Lyrik wohl auch etwas interessanter, würde ich mutmaßen. Wahrscheinlich kann das aber nur jemand beurteilen, der nicht vorab weiß, was ich ausdrücken wollte. Ich habe dieses Mal aber wieder mehr Zitate verbaut, was ich schon länger nicht mehr so gemacht habe. Du findest auf “Symptoms V” Zeilen von Schiller, Goethe und Kästner.
In eurem bisherigen Werk habt ihr stets die Balance gehalten zwischen Chaos und Struktur. Wie sieht bei “Symptoms V” euer Ansatz aus?
Björn: “Symptoms V” ist definitiv schwieriger als unsere alten Sachen. Struktur und Chaos gibt es auch hier. Es passieren sehr viele seltsame Dinge, um das mal dezent auszudrücken, haha. Man muss sich wahrscheinlich etwas länger und intensiver mit dem Gehörten befassen. Aber wenn man das tut, merkt man, trotz all dem unkonventionellen Spiel (vor allem auch des Schlagzeugs), schnell, dass die Songs gar nicht so komplex sind, wie sie anfangs erschienen. Aber unbequem sind sie. Und das sehr.
Meiner unbescheidenen Meinung nach haben wir vorher nie so dunkel, kalt und ja, auch böse, geklungen. Ich war wohl definitiv nicht besonders gut drauf, als ich diese EP erschaffen habe. Man muss wohl auch wirklich willigt und in entsprechender Stimmung sein, um sich darauf einzulassen.
Kannst du einen Einblick in die Gesangsaufnahmen geben – die Stimmen bzw. Stimmlagen wechseln manchmal sehr wild, wie gestaltet sich das mit deinen zwei Sängern und on top mit Wiebke?
Björn: Das läuft eigentlich mittlerweile immer so ziemlich gleich ab:
Sobald alle Instrumente im Kasten sind, fertige ich einen Rohmix an und sende die Songs samt Texten an Déhà. Er kümmert sich dann um den Hauptteil des Gesangs. Er hat da mittlerweile absolut freie Hand, da er der wesentlich bessere Musiker ist als ich und ich nur sehr selten auf die Ideen für den Gesang komme, wie er es tut. Oft hat er dann auch schon Ideen für Alex’ Gesangslinien und nimmt dafür Demos auf. Sobald er fertig ist, gehe ich mit Demos davon und meinem Equipment zu Alex ins Studio, wo er dann seine Parts einsingt. Auch ihm gebe ich da mittlerweile freie Hand. Hat Alex alles im Kasten, gehe ich mit Wiebke in meinem Studio die Aufnahmen durch, wo wir dann Ideen austauschen und aufnehmen.
Du siehst, wir haben zwar bestimmte Vorgehensweisen, aber trotzdem ist das meiste spontan. Das zieht sich bei MALADIE eigentlich durch unser gesamtes Dasein. Wir haben das Glück, dass wir drei Studios in der Band haben, wo wir die Freiheit der Spontaneität genießen dürfen. Das erleichtert das gesamte Arbeiten an unseren Platten extrem.
Dankeschön, lieber Björn, für die Blicke hinter “Symptoms V”. Zum Abschluss wünsche ich dir und deiner Frau alles Gute für die gemeinsame Zukunft – viel Liebe, Kraft und Inspiration für das, was kommt. Und natürlich interessiert mich brennend: Wie geht es mit MALADIE weiter? Wird es nach den EPs auch wieder einen Langspieler geben – vielleicht sogar als neues, noch unberechenbareres Kapitel eurer Band-Geschichte oder bist du erstmal “nur” Familienmensch?
Björn: Ich danke dir vielmals. Danke auch von meiner Frau. Mit MALADIE wird es erstmal, vollkommen unabhängig von der Ehe, so weitergehen wie gehabt. Ich habe meine Instrumente für die nächsten vier Releases (zwei Alben, eine EP und ein geheimes Bonbon) bereits im Kasten und ja, ich weiß, wie bekloppt das ist. Die werden wir in den nächsten Jahren fertigstellen und hoffentlich auch veröffentlichen. Da ich aber einen ziemlich hohen Output habe, bin ich mir sehr sicher, dass währenddessen weitere Alben und EPs entstehen werden.
So schnell seid ihr uns also noch nicht los.
Aber jetzt – vielen Dank lieber Björn und viel Erfolg mit und für “Symptoms V”!
Björn: Ich danke dir. Auch für dieses Interview und die damit verbundene Unterstützung. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen. Dankeschön.
Interview: Tobias Stahl