Am 10. März 2023 erschien das neue Album der Reutlinger Rockband WILLKUER, dass wir ebenfalls unter die Lupe nehmen werden. Ich durfte schon bei der letzten Veröffentlichung der Jungs ein Interview mit Julian Kuder führen, dass mir sehr viel Spaß gemacht hat und auch sehr interessant gewesen ist. Auch zu “Zwei” waren wir im sehr interessanten und sehr intensiven Austausch und beleuchten den musikalischen Rundumschlag mit Ohrwurmgarantie näher.
Unser letztes Interview ist fast zwei Jahre her und euer Debütalbum zum Thema. Wie ist es euch bis hierhin ergangen – seit Mai 2021?
Hallo zusammen! Die Zeit seit unserem Debüt verging tatsächlich wie im Flug. Schwer zu glauben, dass das nun schon fast zwei Jahre zurückliegt. Zahlreiche Konzerte, Events mit unserem Supporters Club und natürlich die Produktion vom kommenden Album “Zwei” haben die Zeit sehr kurzweilig gemacht und die Monate dazwischen sind nur so verflogen. Nichtsdestotrotz haben wir jede Sekunde aufgesaugt und wahnsinnig genossen. Dass wir mit der Musik einmal so viel erleben dürfen, hätten wir vor ein paar Jahren niemals für möglich gehalten. Nun stehen wir in den Startlöchern für unsere zweite Scheibe und sind heiß wie Frittenfett, das gute Stück nun endlich zu veröffentlichen.
Erfreut euch am Leben – denn das ist es allemal wert
Am 10. März erscheint eure neue Platte “Zwei” bei Rookies & Kings. Was erwartet eure Fans und jene, die es noch werden möchten? Welche Formate gibt es? Einige sind auch schon ausverkauft, wie ich auf eurer Homepage gesehen habe.
Das Album besteht aus einem Rundumschlag mit Themen mitten aus unserem Leben und unserem Alltag. Uns hat in den letzten beiden Jahren privat sehr viel bewegt. Im Guten wie im Schlechten, was am Ende so auch in das Songwriting eingeflossen ist. Von ausgelassenen Songs zum Feiern, über Trauer bis hin zur provokativen Meinung ist das Album extrem vielseitig geworden. Die Songs sprechen hier und da auch heikle Themen an und spiegeln dazu unsere Sichtweise und Gedankenwelt. Das wird nicht jedem passen und damit können wir gut leben. Am Ende ein sehr ehrliches Album abzuliefern war und ist unser Anspruch – alles andere wäre Heuchelei. Das scheint auch bei unseren Fans Anklang zu finden und dafür sind wir wahnsinnig dankbar. Der Vorverkauf liegt weit über unseren Erwartungen und wir können es kaum erwarten, das Album endlich in eure Hände legen zu dürfen. Für “Zwei” haben wir Fanboxen, drei unterschiedliche Vinyls, zweierlei Kassetten und das klassische Digipak produzieren lassen. Viele Artikel sind bereits vergriffen und wer noch etwas haben möchte, sollte schnell zugreifen.
Ihr eröffnet euer Album mit dem Song ´Bevor hier alles hochgeht´ und kritisiert die Dinge, die in Deutschland, aber auch der ganzen Welt passiert sind. Impfungen und der Klimaschutz bekommen ihr Fett weg. Wie viel Ironie schwingt da mit, wie viel ist ernst gemeint?
Es schwingt hier keinerlei Ironie mit. Dennoch muss man einmal klar und deutlich differenzieren, worum es in diesem Song geht. Wir verharmlosen in keiner Weise den Klimaschutz oder die zurückliegende Pandemie. Auch der aktuell wütende Ukraine-Krieg ist schrecklich und eine ernstzunehmende Gefahr für uns alle. Wir haben in den letzten beiden Jahren durch Lockdowns alle gesehen, dass sich sehr viele Menschen stark zurückziehen und das zwischenmenschliche Miteinander wahnsinnig darunter gelitten hat. Vereinsamung und Depression – hierfür müssen wir nicht mal aus unserem Freundeskreis hinausgehen. Dazu kommen Horrorszenarien über Social-Media-Kanäle und andere Medien, welche leider inhaltlich von einigen viel zu wenig durchleuchtet werden. In unserer schnelllebigen Welt schnappt man sich hier und da ein paar Überschriften und meint besser Bescheid zu wissen als alle anderen. Mit diesem labilen Halbwissen geht der ein oder andere dann auch noch gekonnt hausieren. Ein gefährliches Pulverfass, welches zusätzlich enormes Konfliktpotential birgt und wiederum Menschen verunsichert, die ohnehin schon Probleme damit haben, gefestigt im Leben zu stehen. Wir haben in diesem Song bewusst überspitzte „Headlines“ gewählt, um diese Übertreibungen einmal darzustellen.
Die Kernbotschaft für uns ist klar: Lasst uns miteinander über die kritischen Themen unserer Gesellschaft sprechen und auf einem sinnvollen Niveau diskutieren und Probleme aktiv angehen. Lasst uns aber verdammt nochmal aufhören, Weltuntergangsszenarien zu zeichnen und stattdessen mit gesundem Menschenverstand einen gemeinsamen Konsens finden. Und lasst uns am Ende auch wieder zusammenfinden und gemeinsam Spaß an der Sache haben, die uns schon immer verbindet – die Musik. Kommt wieder auf Konzerte, lernt wieder loszulassen, schaltet für einen kurzen Moment auch gerne mal alles Negative aus und erfreut euch am Leben – denn das ist es allemal wert.
Wie wichtig sind euch Themen wie Klimaschutz und Schutz vor Pandemie, Krankheit etc.? Gerade in Deutschland sind viele schreckliche Dinge passiert im Zusammenhang mit den angesprochenen Themen (Stichwort Mord in einer Tankstelle, Übergriffe in Supermärkten). Da finde ich es wichtig zu wissen, wie der Song (´Bevor hier alles hochgeht´) einzuschätzen ist und zu fragen, ob das Risiko nicht hoch ist, dass eure Zeilen fehlinterpretiert werden.
Wie bereits in der vorherigen Fragestellung erläutert, nehmen wir diese Themen sehr ernst. Was im September 2022 in Idar-Oberstein an der Tankstelle vorgefallen ist, ist bedrückend und beschämend zugleich. Waffengewalt einzusetzen im Streit um die Maskenpflicht macht uns sprachlos. Der junge Mann ist zu Tode gekommen, weil er seinen Job gemacht und darauf hingewiesen hat, dass die Maskenpflicht einzuhalten ist. Am Ende war er der Leidtragende, weil sein Gegenüber einen Hass auf die ihm auferlegten Regeln und Gesetze hatte – Gesetze, die in diesem Hinblick von uns allen getragen werden mussten mit der Verantwortung für die Gesundheit unser aller. Ob das zu jeder Zeit der richtige Maßstab war, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Worüber sich nicht diskutieren lässt, ist der Fakt, dass wir uns am Ende alle an geltende Gesetze zu halten haben. Genau das erwarten wir als Band von jedem in der Bundesrepublik ansässigen Mitbürger. Mord aus Hass aufgrund politischer Entscheidungen sind fatal und dürfen nicht passieren. Wir sind in Gedanken bei dem zu Tode gekommen Alexander und seiner Familie.
Das Risiko von Fehlinterpretation besteht natürlich immer, das ist nicht nur bei unserem Song der Fall. Hier muss man vorsichtig sein und sich klar äußern, was wir hiermit auch machen. Leider stellen wir immer wieder fest, dass so mancher Zuhörer oft genau das interpretiert, was er interpretieren möchte – egal wie penibel man in der Wortwahl auch ist. Unsere Texte sind teilweise spitz und provokativ. Warum? Weil wir damit auf Missstände aufmerksam machen wollen. Mit “netten Worten” kommen wir nicht ins Gespräch. Mit “netten Worten” hätten wir in diesem Interview nicht über dieses ernstzunehmende Thema gesprochen.
Das hier sind zwei Kommentare unter eurem Youtube Video zum Song:
“Schade, klingt schon ziemlich geil, aber wer die Gefahr durch die Klimakatastrophe nicht ernst nimmt, den kann ich leider auch nicht mehr ernst nehmen. Ich hab halt ne kleine Schwester und die würd gern noch ein paar Jahrzehnte hier auf dem Planeten leben.”
“Guter Sound, aber fragwürdiger Text.”
Wir haben hierzu alles gesagt. Wir nehmen jedes der angesprochenen Themen ernst und bitten jeden mit uns ins Gespräch zu gehen, der hier vermeintliche Missstände sieht.
Deutschsprachige Rockbands werden gerne
in eine fragwürdige Ecke gedrängt!
´Alles schon gehört´ nimmt Fake Behauptungen aufs Korn und greift Lügner scharf an – auch Olli P. bekommt eine drauf. Welche persönlichen Erlebnisse stecken da drin? Was hast du denn gegen Olli P.?
Dieser Song ist nun tatsächlich mit sehr viel Ironie versehen. Tagtäglich bekommen wir als Musiker die amüsantesten Vorwürfe über unsere Social-Media-Kanäle. Was wir hier im Text verarbeitet haben, sind Zeilen, welche uns tatsächlich an den Kopf geworfen wurden. Wir nehmen das sportlich und haben mit der Zeit gelernt, damit umzugehen. Nur langweilt uns oftmals die mangelnde Kreativität der “Willkuer-Nörgler” – komm erzählt uns mal was Neues, ob’s wahr ist oder nicht, wir haben das alles, alles, alles schon gehört. Wenn ihr uns schon ans Schienbein kicken wollt, dann bitte mit wertigen Vorurteilen. Dann lohnt es sich wenigstens für uns, den Popcorneimer rauszuholen. Nun ja, Olli P. bekommt hier ehrlich gesagt überhaupt keinen drauf. Wohl eher unser Sänger Moritz, dessen Eierkopf mit Olli P. verglichen wurde (grinst).
Auf dem Album schwingt viel: „Wir hauen unseren Kritikern eins in die Fresse und zeigen, was wir draufhaben”. Wurdet ihr dermaßen kritisiert, dass es diesen Rundumschlag braucht?
Hier muss ich leider widersprechen. Der einzige Song, welcher auf diesem Album konkret gegen Kritiker wettert, ist ´Alles schon gehört´ – und das auf eine maximal humorvolle Art und Weise. Die Hintergründe haben wir bei der vorherigen Frage bereits besprochen. Wir haben es nicht nötig zu zeigen “was wir draufhaben”, das darf am Ende dann jeder Hörer selbst für sich beantworten. Der Rundumschlag auf dieser Platte passiert tatsächlich bei einigen Songs. Allerdings in Richtung der Verrohung unserer Gesellschaft, des Werteverfalls oder der nicht vorhandenen zwischenmenschlichen Akzeptanz.
´Keiner von euch´ wird mit Sicherheit auch polarisieren. Ihr werdet darin politisch und findet auch das richtige Schimpfwort für radikale von Links UND Rechts. Wo wir bei dem Thema sind: Wo wir bei kritischen Texten sind: Was sagt ihr zum Thema WEIMAR und die Anschuldigungen der Presse?
Wir haben es ernsthaft satt mit Anfeindungen umzugehen. Gerade wir als deutschsprachige Rockband werden gerne in eine besonders fragwürdige Ecke gedrängt, welcher wir nicht einmal im Ansatz auch nur irgendetwas abgewinnen können. Genau so wenig dem anderen Extrem. Wir wollen uns mit ´Keiner von euch´ ganz klar davon distanzieren und klare Position beziehen. Und wem das immer noch nicht deutlich genug war, den laden wir recht herzlich zum persönlichen Gespräch in unseren Proberaum ein – Pizza und Bier gehen auf unsere Kosten. Alle, welche aus der Ferne urteilen und nicht zum Gespräch bereit sind, können und werden wir nicht für voll nehmen. Es ist immer einfach einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen und mit Vorurteilen um sich zu werfen. Das führt aber am Ende zu keiner Lösung und das sollte so auch jedem bewusst sein. Seine Meinung kundzutun und sensible Themen anzusprechen, was wir tatsächlich in unseren Songs tun, hat nichts mit Grauzone oder sonstigem geistigen Dünnschiss zu tun. Am Ende machen wir Rock’n’Roll und keine Popmusik und bringen dabei gerne auf den Tisch was nicht jedem schmeckt. Eine gesunde Demokratie muss so etwas aushalten.
Wir distanzieren uns klar von den Extremen – damit sollte zum Thema WEIMAR auch nahezu alles gesagt sein. Sich hinter Masken zu verstecken, sich unter falschen Identitäten auszugeben und viele seiner Fans herbeizuführen ist für uns ein absolutes No-Go. Jeder Mensch kann Fehler machen und jeder Mensch darf sich ändern können – auch das muss in einer Gesellschaft wie der unseren akzeptiert sein. Veränderung und Lossagung von einer demokratiegefährdenden Szene sieht für uns aber anders aus. Hierfür gibt es aus unserer Sicht für diese Band im Nachgang auch keine Entschuldigung mehr. Man hätte offen mit dem Thema umgehen müssen, auch wenn das enormen Gegenwind bedeutet hätte. Ein von orneherein offener Umgang mit dieser Vergangenheit und eine klare Loslösung dessen wäre zumindest ein Anfang gewesen. Von dieser Theorie sind wir nun aber weit entfernt und die aktuellen Konsequenzen folgerichtig.
Wir sollten über Missstände reden, anstatt sie totzuschweigen!
Haben WEIMAR der Deutschrock-Szene einen Bärendienst erwiesen?
Jemandem versehentlich schaden, obwohl man ihm helfen wollte – das verstehe ich hinter der Bedeutung “einen Bärendienst erweisen”. Für mich passt weder das eine noch das andere. Versehentlich wurde hier gar niemandem geschadet, denn es hätte den dortigen Funktionären klar sein müssen, was auf die deutsche Rockszene zukommt, wenn dieses Thema ans Tageslicht kommt. Und mit dieser Ausgangslage kann man auch die eigentliche gute Absicht hinter dieser Sache nicht in Einklang bringen. Wenn der Bär von einem Gärtner aufgezogen wird und der Bär im ausgewachsenen Alter seinem Gärtner einen Stein über den Kopf zieht, weil er ihm eigentlich etwas Gutes tun und ihm die Fliege auf der Nase entfernen wollte – dann, ja dann handelt es sich um einen wahrlichen Bärendienst mit zugegeben unglücklichem Ausgang. Für uns gibt es am Ende aber einen entscheidenden Unterschied: Wir dürfen den IQ und die Weitsichtigkeit eines Bären nicht mit der eines Menschen vergleichen. Auch sind wir uns sicher, dass der Bär nicht in der Lage gewesen wäre, solche „eloquenten“ Textzeilen zu verfassen.
´Das ist Deutschland´ spricht Missstände an, die in Deutschland gerade alltäglich passieren. Euch fehlt Moral, Liebe und Respekt in unserem Land. Das sind Eckpfeiler einer Gesellschaft, die man nur gemeinsam reparieren kann. Was denkt ihr, wo man ansetzen muss?
Wenden wir das Blatt zum Guten und kehren zurück zu wirklich wertvollen Themen. Das wichtigste Wort in diesem Satz ist wohl “gemeinsam”. Wir reden weniger miteinander, sondern übereinander. Wir gehen Konfrontation, Diskussion und Missständen aus dem Weg. Wir sind persönlich sowie politisch oftmals über wirtschaftliche Interessen gepolt und stellen das Thema “Menschlichkeit” hinten an. Wir haben verlernt, was Anstand bedeutet. Wir haben verlernt uns an Gesetze zu halten. Ein vielseitiges Thema mit einer Komplexität sondergleichen. Wir wollen im Kleinen anfangen, dort wo wir selbst etwas bewegen können. Wir sollten lernen wieder aufeinander zuzugehen und das Miteinander wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Wir sollten über Missstände reden, anstatt sie totzuschweigen. Wir sollten in der Lage sein, eine Meinung kundzutun, ohne dass sich das Gegenüber angegriffen fühlt. Wenn sich jeder von uns zuerst an der eigenen Nase packt, seinen gesunden Menschenverstand aktiviert und erst dann den Mund aufmacht oder handelt – dann hätten wir im Kleinen bereits viele Sorgen im Keim erstickt.
Insgesamt ist “Zwei” ein sehr wütendes Album. Ich finde euren härteren Sound klasse, hadere aber mit manchen Lyrics. Ich mag euren kritischen Ansatz bei ´Das ist Deutschland´ und ich bin bei euch das randalierende Menschen Vollidioten sind und zum ´Heimspiel´ gehe ich auch gern – obwohl ihr da wohl eher nicht den Fussball meint – und Deutschrock soll polarisieren und ordentlich Kritik austeilen aber am Ende des Interviews nochmal die Frage: Seid ihr nicht zu polarisierend, zu aggressiv und generiert zuviel negative Emotionen beim Hörer, statt mehr auf positive Vibes zu setzen wie auf eurem Debütalbum?
Wir würden dieses Album nicht als wütend bezeichnen. Die letzten zwei Jahre in Zeiten von Lockdowns und zunehmenden Spannungen in der Weltgeschichte sowie persönliche Erfahrungen haben uns dazu bewogen, bei diesem Album auch schwerwiegende Themen anzugehen. Das finden wir wichtig und richtig. Auch wenn wir in diesem Gespräch viel über Negativität gesprochen haben, gewinne ich dem Ganzen genau das ab, was ich Gut heiße: Wir haben durch genau diese Art von Songs über das gesprochen, was uns am Herzen lag. Genau so kommen wir in den Austausch und sind gemeinsam in der Lage, auch Verbesserung zu erzielen. Zudem möchte ich auf die vielen positiven Vibes auf dieser Platte hinweisen, welche eindeutig nicht zu kurz kommen und denen der ersten Platte sehr ähneln. “Geh mit uns”, “Auf die gute alte Zeit”, “Heimspiel” oder “Die besten sterben nie” stehen hier ganz vorne an. Auch am Feedback unserer Fans sehen wir hier den Zahn der Zeit getroffen und gleichzeitig die positive Stimmung aus dem ersten Album auch bei “Zwei” umgesetzt bekommen zu haben.
Dann sage ich Dankeschön für eure Zeit und die aufklärende Worte. Habt viel Erfolg mit “Zwei” und Grüße gehen raus an alle anderen Bandmitglieder.
Wir bedanken uns für dieses wirklich spannende Interview.
Interview: Tobi Stahl
Photocredit: Willkuer