TOTAL ANNIHILATION werden 20 – und feiern ihr Bandjubiläum mit einem neuen Album, das eindrucksvoll zeigt, warum die Basler seit zwei Jahrzehnten fester Bestandteil des extremen Metal-Undergrounds sind. “Mountains Of Madness”, ihr vierter Longplayer, erscheint 2026 und knüpft thematisch einmal mehr an H. P. Lovecrafts kosmischen Horror an, der die Band seit ihren Anfangstagen begleitet.
Ein Blick zurück: 2006 schlossen sich Daniel Altwegg und drei seiner Freunde zusammen, um die härteste und kompromissloseste Metalband ihrer Heimatstadt zu gründen. Mit einem aggressiven, aber melodischen Stil zwischen Thrash und Death Metal erspielten sich TOTAL ANNIHILATION schnell regionalen Respekt und legten mit “TA 80” (2008) und “84” (2010) die ersten Grundsteine für ihren späteren Erfolg. Es folgten internationale Auftritte, Festivalbühnen und weitere Releases, darunter “Extinction” (2012) und das technisch anspruchsvolle “…On Chains of Doom” (2020).
2026 erscheint nun “Mountains Of Madness”, aufgenommen von Christoph Brandes in den Iguana Studios (DE) und gemischt sowie gemastert von Ronnie Björnström in Sundsvall (SE). Das aktuelle Line-up besteht aus Daniel Altwegg (Vocals), Nicolas Stelz und Jürgen Schmid (Guitars), Niklaus Denger (Bass) und Michael Lautenschläger (Drums). Zudem gibt es einen Gastbeitrag von Luca Piazzalonga (Vígljós/Gravpel), der zusätzliche Vocals zu ‘Choose the Day’ beisteuert. Bevor wir tiefer in das neue Album eintauchen, beginnen wir mit einer grundlegenden Frage an Jürgen Schmid, der mit Daniel Altwegg meine Fragen beantwortete::
Tobias:
Wie geht’s euch aktuell eigentlich – persönlich wie auch als Band? Alles fit im Lager TOTAL ANNIHILATION?
Jürgen Schmid:
Hi Tobias, zuallererst danke für die Möglichkeit, deine Fragen zu beantworten, und vielen Dank für die Nachfrage. Nu ja, was soll ich sagen?! Wir sind emsig wie immer und buddeln uns so durch die Workloads. Situationsbedingt laufen derzeit sehr viele Aktivitäten, um unsere neue Scheibe zu promoten. Da gibt’s gerade einiges zu tun, was aber grundsätzlich auch cool ist, da man neue Kontakte knüpft und erste Eindrücke bekommt, wie das Album so aufgenommen wird. Trotzdem freue ich mich persönlich schon auf die nächste Songwriting-Phase. Erstes Material existiert bereits, und das wird, glaube ich, noch mal richtig geiles Zeug.
Aber zurück zu heute – persönlich? Ich wache morgens auf und atme, empfinde Liebe für meine Frau und Kinder, Rotwein ist leider immer noch sehr geil und das neue Florence-&-the-Machine-Album definitiv eine der drei Scheiben des Jahres. Daneben würde ich noch die neue Baest und „Electric Nebraska“ von Springsteen stellen. Zusammenfassend würde ich sagen: Es läuft ganz okay. 😉
Tobias:
Für die Leute, die euch noch nicht auf dem Schirm hatten: Wer ist alles an Bord eures Schlachtschiffes, und wer bedient welche musikalische Kanone und entfacht mächtigstes Klanggewitter?
Jürgen Schmid:
Wir ziehen grundsätzlich in einer strategischen Einheit aus miteinander agil agierenden multiplen Wirkverbänden in Gefechtsoperationen. Dabei ist es Ziel, opponierende Kräfte so schnell und effizient wie möglich in total hilflose Ekstase zu versetzen. Wir nennen diesen Zustand den euphorisch traumatisierenden Mosh-Rausch, welcher meist in Verbindung mit hyperaktivem Stagedive-Zwang auftritt. Ist dieser Zustand einmal erreicht, ist absolut keine Hilfe mehr möglich, und der Betroffene muss mit einem totalen Verlust seiner Vitalfunktionen rechnen.
Dieser Wehrverband besteht in der Regel aus:
Daniel – Hauptoberbefehlswebel
Niggi – innere Verzerrungen
Denge – Kontinentalplattenverschiebungsbeschleunigung
Stick – Hauen
Schmidle – äußere Abschürfungen
Anmerkung 1 – falls anhand des obigen Textes Zweifel bestehen sollten: Krieg ist nichts, aber auch gar nichts Gutes und dient aus meiner subjektiven Sicht in der Regel dazu, territoriale oder monetäre Ziele Einzelner zu unterstützen. Gewalt war noch nie Teil einer Lösung und schon immer Erzeuger von Gegengewalt.
Anmerkung 2 – ich vermisse die 80er. Es gibt heute viel zu wenig Stagediver. Warum?
Tobias:
Das kann ich dir nicht sagen *zwinker* – im Rollstuhl mache ich so selten welchen (nachträglich eingefügt). Ihr seid mit demselben Line-up am Start wie bei “…On Chains of Doom”, das vor sechs Jahren erschien. Finde ich sehr geil – viele Bands lösten sich wegen Covid auf. Wie war damals eure Stimmung? Standen alle Zeiger konstant auf „weitermachen“, oder gab es Tage, an denen ihr hinwerfen wolltet?
Jürgen Schmid:
Die Pandemie hat sehr viele aktive Menschen in der Szene und auch uns sehr hart gef****. Wir hatten durch die Situation nie die Möglichkeit, “…On Chains of Doom” ordentlich zu promoten und in die Clubs zu bringen. Das war ein extrem harter Schlag – vor allem, weil wir eine Live-Band sind. Wir machen das nicht für die Alben, sondern für die Liveshows, den Schweiß und das Chaos! Zusätzlich war es aufgrund unserer Wohnsituation (1× DE, 4× CH) auch monatelang nicht möglich, uns zu treffen oder gemeinsam Musik zu machen. Was für ein Wahnsinn! Aber aufgeben war nie eine Option – nicht eine Millisekunde.
Tobias:
“…On Chains of Doom” (2020) habt ihr vor sechs Jahren veröffentlicht. War es nur der Covid-Scheiß, der euch von einer neuen Platte abgehalten hat, oder hattet ihr einfach keine Zeit für neue Songs?
Jürgen Schmid:
Covid hat uns definitiv einige Jahre gekostet, das ist richtig. Aber wir haben auch Ansprüche an unsere Entwicklung und an das Material, das wir veröffentlichen. Dadurch haben wir grundsätzlich ein eher “langsames” Tempo. Derzeit scheint sich das etwas zu beschleunigen, aber bitte nicht zu früh freuen. Zuerst gibt’s jetzt mal “Mountains Of Madness”.
Tobias:
Was erwartet eure Fans und Deathheads, die euch noch nicht kennen, auf und mit “Mountains Of Madness” in musikalischer Hinsicht?
Jürgen Schmid:
Puh, lass mich kurz überlegen. Den Leuten, die uns bereits kennen, sage ich immer: Sie bekommen mehr. Einfach MEHR! Mehr von allem. Mehr schnell, mehr brutal, mehr Songs, mehr Harmonie, mehr TA-DNA. Für die, die uns nicht kennen, würde ich sagen, dass wir inzwischen ein ziemlich eigenständiges, fieses und hochgradig toxisches Gebräu aus vielen Extreme-Metal-Stilen am Start haben. Ihr findet hohe Anteile an Thrash- und Death Metal mit Nuancen aus vielen anderen Bereichen wie z. B. Black Metal, Grindcore, Punk, Hardcore, Speed Metal etc.
Grundsätzlich ist es schnell, kompromisslos und ziemlich angepisst. Also besser selbst anhören.
Tobias:
Ist “Mountains Of Madness” ein Konzeptalbum in klassischer Hinsicht, hat es einen roten Faden, oder wie habt ihr H. P. Lovecrafts Novelle umgesetzt?
Daniel Altwegg:
Einen roten Faden findet man auf dem Album am ehesten in musikalischer Hinsicht. Die Songs an sich sind sehr abwechslungsreich, ergänzen sich aber über die gesamte Albumlänge hinweg. Es wird also nicht eintönig, sondern man erkennt in jedem Song, dass TOTAL ANNIHILATION drinsteckt.
Lovecrafts Novelle haben wir im Titeltrack umgesetzt. Die Geschichte ist absolut spannend und bietet eine breite Palette an Möglichkeiten, sie textlich darzubieten. Da der Song musikalisch der abwechslungsreichste des ganzen Albums ist, haben wir entschieden, ihn als Titeltrack zu nehmen. Mit dieser Entscheidung war dann auch schnell klar, in welche Richtung das Cover-Artwork gehen soll.
So gesehen ist es also kein Konzeptalbum. Das würde uns in kreativer Hinsicht ziemlich einschränken.
Tobias:
Seid ihr alle Fans der Horrorliteratur – also auch außerhalb von Lovecraft? Wenn ja, was sind eure Favourites?
Jürgen Schmid:
Ja, ich bin – und ja, alle! Nein, Scherz beiseite. Ich liebe die Horrorliteratur aus den 80ern und 90ern und habe da einiges durch beziehungsweise entdecke bis heute immer wieder gutes Zeug. Derzeit lese ich zum Beispiel Ramsey Campbells „Alptraumwelten“. Auch sehr geil.
Meine Faves (die sollten eigentlich vielen geläufig sein):
Clive Barker – “Gyre”, “Stadt des Bösen” & “Jenseits des Bösen”
Stephen King – vor allem das ältere Zeug wie “Todesmarsch”
Ted Klein – “The Ceremonies”
Thomas Harris
Bret Easton Ellis
Tobias:
Wo und wie würdet ihr “Mountains Of Madness” in eurer Diskografie einordnen?
Jürgen Schmid:
Als aktuellstes Album und Teil einer Gemeinschaft, die fähig ist, sich musikalisch weiterzuentwickeln und noch nicht das Gefühl hat, am Ende dieser Reise angekommen zu sein.
Tobias:
Der Titeltrack startet verhältnismäßig ruhig, bevor er sich zu einem wuchtigen, ikonischen Midtempo-Brecher hochschraubt – inklusive eines ziemlich unerwarteten Blegh-Moments. Wie habt ihr diesen Spannungsbogen angelegt, und was war euch beim Aufbau dieses Stücks besonders wichtig?
Jürgen Schmid:
Der Song! Wir legen großen Wert darauf, dass Songs Songs sind und unterhalten. Da bieten sich derart stimmungsvolle Spannungsbögen logischerweise an. Wie es dazu kam, kann ich ehrlicherweise gar nicht mehr genau sagen. Nur, dass das Intro aus den Akustikgitarren schon sehr, sehr alt ist. Ich glaube, ich habe das mit ungefähr 16 Jahren geschrieben, aber bis heute nie verwendet. Naja, und nach dem Intro hast du als Songwriter halt die Aufgabe, ein krasses Thrash-/Death-Biest daraus zu machen. That’s where creativity begins.
Tobias:
‘Illusion’ ist ein extrem kurzer, aber prägnanter Moment, bevor ‘Chokehold’ mit düsterem, räudigem Flair und Blastbeats komplett steil geht. Welche Funktion erfüllt ‘Illusion’ im Albumfluss, und wie würdet ihr die Stimmung beschreiben, die ‘Chokehold’ anschließend aufbaut?
Jürgen Schmid:
‘Illusion’ ist für mich einer der wichtigsten Songs auf dem Album.
A) Er trägt eine Message, die sehr alt, aber heute leider immer wichtiger wird.
B) Die Musik trifft die Message sehr gut.
Bei dem Song sind Text und Musik zeitgleich entstanden – nur mal als Nerdfact für die Die-Hards.
C) Hat der Song im Kontext des Albums als Track Nummer drei eine klare Aufgabe: die fiese Ohrfeige für zwischendurch.
Ich stelle mir das so vor: Der Hörer ist gerade aus Brechern wie ‘The Art of Torture’ und ‘Mountains…’ rausgekommen, feiert die Spannungsbögen und Harmonien und sehnt sich nach ’nem Gläschen Prosecco. Dann kommt ‘Illusion’. BAM! Ich freue mich schon tierisch darauf, den Song live zu zocken. ‘Chokehold’ ergänzt sich sehr gut mit ‘Illusion’, weil der Song nach dieser kurzen Hasskappe einfach massiv Druck aufbaut und diesen auch sehr wehrhaft nicht mehr ablässt. Das Ding ist wie eine riesige Planierraupe, bei der vergessen wurde, die Handbremse anzuziehen. Sie bewegt sich nicht schnell – aber alle wissen, was passiert, wenn du an der falschen Stelle stehen bleibst.
Tobias:
In ‘Choose the Day’ und ‘Age of Mental Suicide’ gibt es durchgängig Vollgas, beide haben aber auch melodische Phasen, die sehr gut funktionieren. Wie findet ihr die Balance in euren Tracks?
Jürgen Schmid:
Sehr geil und sehr wichtig. Ich hatte zuvor bereits erwähnt, dass Songs da sind, um zu unterhalten. Da muss was passieren! Das kann man auf verschiedenste Weise lösen. Manche machen das sehr erfolgreich über musikalisches Können und Technik. Wir haben irgendwie Melodien und Harmonien für uns entdeckt. Muss ja auch einen Grund haben, warum eine Band zwei Gitarren am Start hat, oder?
Tobias:
‘Nyctophobia’ wirkt besonders bösartig, kompromisslos und intensiv. Was macht diesen Song für euch aus, und um was geht’s?
Daniel Altwegg:
Der Text zu ‘Nyctophobia’ versteht „Dunkelheit“ nicht im herkömmlichen Sinne als Abwesenheit von Licht, sondern als Symbol für das Unbekannte oder für innere Dämonen und Konflikte, die jeder in sich trägt. Viele Menschen kämpfen sich Tag für Tag trotz schwieriger Lebensumstände durchs Leben. Oft lassen sie sich nach außen hin kaum etwas anmerken und kämpfen ihren Kampf gegen die Dunkelheit allein für sich. Das wirft die Frage auf, wie lange man das durchstehen kann, bevor man durchdreht. Wir sind der Meinung, dass sich Musik und Text hier sehr gut ergänzen: bösartig, kompromisslos und intensiv. Beides findet man sowohl im Text als auch in der Musik.
Tobias:
‘Lost Forever’ arbeitet mit atmosphärischen Soundschnipseln. Wie wichtig sind solche atmosphärischen Details für euch beim Songwriting, und was wolltet ihr hier konkret erreichen?
Jürgen Schmid:
Ich kann dir dazu leider keine allgemeine Aussage zur Wichtigkeit geben. Wenn der Song das braucht und das Sample zum Song passt, machen wir das. Aus persönlicher Sicht finde ich es gut, wenn Bands solche Dinge dezent einsetzen, weil es schöne Details sind, die ein Album oder einen Song anreichern. Aber es sollte meiner Meinung nach nicht übertrieben werden. Erreicht werden sollte lediglich, den Inhalt der Lyrics zusammenzufassen. Das macht die Zeile doch sehr gut, oder?
Tobias:
Habt ihr Favourite-Tracks auf der Scheibe, die unbedingt drauf mussten?
Jürgen Schmid:
Ja – alle! Ich kann’s selbst kaum glauben, aber wir haben aus der Recording-Session noch ein paar Happen übrig. Mal schauen, was wir daraus machen. Derzeit ist jedenfalls noch nichts Konkretes geplant.
Tobias:
Werdet ihr in Deutschland zocken – wann denn genau? Ich hätte mächtig Bock.
Jürgen Schmid:
Nicht nur du! Frag uns mal. Lass mich das so beantworten: Wir arbeiten dran, derzeit ist es aber noch zu früh, etwas Konkretes zu sagen. Für alle, die das lesen und auch Bock haben: Einfach mal anschreiben – wir sind für viele Faxen zu haben.
Tobias:
Das wären auch schon all meine Fragen. Vielen Dank für eure Zeit und den Einblick in TOTAL ANNIHILATION und eure Musik. Die letzten Worte gehören traditionell meinem Interviewpartner – also in diesem Fall euch. Die Bühne gehört euch!
Jürgen Schmid:
Danke dafür. Ich möchte mich gerne kurz fassen: Leute – Stagediven ist schon geil!
Interview: Tobias Stahl
Photocredit: Nicolas Gysin Photography

