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TOMORROW`S RAIN – Wie man mit Verlust umgeht und überlebt

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Aus Tel Aviv / Israel kommen die Jungs von TOMORROW’S RAIN und bringen ihr zweites Studioalbum mit, über das wir demnächst noch in einem Review  berichten werden. Heute haben wir ein Interview mit Yishai Sweartz, dem Sänger von TOMORROW’S RAIN, der erst letztes Jahr dem Tod von der Schippe springen konnte. Wir sind froh, dass du dir Zeit für Interview nimmst Yishai und sagen Hallo nach Tel Aviv, hallo zu Yishai Sweartz.

Du bist Sänger von TOMORROW’S RAIN und ihr veröffentlicht gerade euer zweites Werk “Ovdan” (19. April 2024). Wie geht es dir, wie geht es dem Rest der Band in diesen schweren Zeiten des Krieges, der in und um Israel herrscht?

Uns geht es okay – mehr oder weniger. So okay, wie es eben in diesen verrückten Zeiten gehen kann.

Verarbeitest du diese Erlebnisse in den Liedern von TOMORROW’S RAIN, speziell auch auf dem neuen Album “Ovdan”?

Nein, denn erstens wurde “Ovdan” vor dem Krieg geschrieben und aufgenommen und zweitens schreiben wir nicht über politische Dinge, Geschichte oder Kriege. Ich glaube, dass es auf unserem dritten Album einige Bezüge auf persönlicher Ebene geben wird, aber wir schreiben nur über unser persönliches Leben und unsere Probleme. Unser persönliches Leben ist leider voller Tragödien und Startschwierigkeiten.

Du hast persönlich auch eine schwere Zeit durchgemacht mit einem Aufenthalt im Krankenhaus und einer mehrstündigen OP. Wie geht es dir denn heute und hast du eventuelle Spätfolgen, mit denen du zurechtkommen musst?

Mir geht es besser, aber ich habe natürlich viele Konsequenzen für den Rest meines Lebens zu tragen. Ich muss mich jedes Jahr testen lassen, jeden Tag etwa 16 Tabletten nehmen, der Blutdruck muss ausgeglichen sein usw. usw., ich darf nicht zu sehr gestresst sein, ich darf nicht nervös werden, ich darf mich nicht an meine Grenzen bringen, sowohl geistig als auch körperlich. Wenn man zu diesem Genesungsprozess den Krieg hinzufügt, der große Geldverluste, hohen Druck, Angst und Verzweiflung bedeutet, dann sind das alles Dinge, die in der “das darf nicht sein Liste” stehen.

Hat ´Room 124´ etwas mit dem Aufenthalt im Krankenhaus zu tun?

Nein, ´Room 124´ handelt von den letzten Stunden unseres Gitarristen Raffy Mor mit seinem Vater vor seinem Tod, dem letzten Gespräch, das sie führten, er war in Raum 124, ich war in Raum 7 …

Könnt ihr euch denn überhaupt richtig auf die Veröffentlichung freuen oder versucht ihr den Krieg ein stückweit auszublenden?

Natürlich freuen wir uns auf die Veröffentlichung von “Ovdan”, aber den Krieg kann man nicht ausblenden. Er ist allgegenwärtig in den Nachrichten und die Wirtschaftskrise im ganzen Land ist riesig, aber andererseits muss man auch vernünftig sein, durchatmen, frische Luft bekommen und etwas Eskapismus an den Tag legen.

Von was oder wem hast du dich inspirieren lassen, wenn es um die Texte auf “Ovdan” geht und wie viel Einfluss hatte dein Aufenthalt im Krankenhaus auf die Songs?

Das gesamte lyrische Konzept besteht darin, wie man mit Verlust umgeht und überlebt. Leider verläuft unser Privatleben alles andere als normal und viele der Bandmitglieder und insbesondere ich mussten in den letzten Jahren viele Verluste ertragen, den Tod von Eltern, zerbrochene Familien, Suchterkrankungen und Herzinfarkte, Bypass-Operation usw. usw., ich war dem Tod so nahe wie möglich, das Album wurde vor meinem Herzinfarkt geschrieben und die Texte waren leider eine Art Prophezeiung darüber, was kommen wird, es war in roten Buchstaben überall an der Wand zu lesen.

Aber die Lieder wurden geschrieben und aufgenommen, bevor das passierte. Wir haben uns dafür entschieden, es “Ovdan” statt “Loss” zu nennen, weil unsere Muttersprache Hebräisch ist und wenn ich an etwas denke, denke ich zuerst in Hebräisch und dann in Englisch. Außerdem gefiel uns der Klang. Wenn ihr das Wort Ovdan hört, werdet ihr euch für den Rest eures Lebens an seine Bedeutung erinnern.

Ihr habt schon bei “Hollow” ganz viele hochkarätige Gäste an Bord gehabt und auch auf “Ovdan” werdet ihr durch Musiker unterstützt. Um welche Musiker handelt es sich, wie kommt der Kontakt zustande und vor allem: Wie ist es, mit diesen sehr erfahrenen Leuten zu arbeiten?

Wir haben Attila von Mayhem, Michael Denner von Mercyful Fate/King Diamond, Tony Wakeford von Sol Invictus, Anja Huwe von Xmal Deutschland, Jan von Depressive Age, Ben von den Sisters Of Mercy, Micke von Unanimated und Andreas von Dark Funeral als Gastmusiker dabei.

Es war nicht geplant, sondern kam von selbst. Ich bin wirklich stolz, Michael Denner (Mercyful Fate/King Diamond) und Anja Huwe (Xmal Deutschland) bei “Ovdan” zu haben. Ich bin auch auf alle anderen stolz und habe diese beiden extra erwähnt, weil Anjas letzte Musikaufnahme irgendwo um 1990 entstanden ist und die Tatsache, dass sie nach so vielen Jahren Inaktivität zugestimmt hat, auf unserem Album zu singen, einer Band aus Tel Aviv in einem anderen Musikgenre, bedeutet mir sehr viel. Was Michael Denner angeht, so ist sein Mitwirken für mich als Metal-Fan großartig. Mercyful Fate und King Diamond sind fast auf Augenhöhe mit Judas Priest, ich bin seit meiner Kindheit ein großer Fan von beiden und der Tatsache, dass der Gitarrist von ´Abigail´ und ´Don‘ „T Break The Oath´ auf “Ovdan” spielt, ist immer noch ein Schock für mich. Das Gleiche gilt für Attila (Mayhem), da wir mit ihnen einen langen Weg zurücklegten. Euronymous war in den Jahren 90-93 ein Brieffreund.

Für unser drittes Album haben wir bereits jetzt festgelegt, dass wir ohne Gastmusiker arbeiten wollen. Es soll unser wichtigstes Album sein und sehr persönlich werden. Musikalische Veränderungen wird es ebenfalls geben, da ich aus medizinischen Gründen nach meiner Operation nicht mehr growlen darf.

Mit der “Void ov Voices” von Mayhem habt ihr den Titel ´Muaka´ aufgenommen. Um was geht es denn in diesem Song, der mir schon durch seinen Sound imponiert.

Was das Gefühl der Bedrängnis angeht, finde ich, dass Attilas Stimme dort perfekt ist, genau das, was ich mir vorgestellt habe, als ich darüber nachgedacht habe, dass er den Gastpart übernimmt. Es dient auch dazu, einen Kreis zu schließen, da ich in Oystein zwischen 91 und 93 eine lange Briefverbindung hatte, das ist eine Art “Hallo” zu sagen.

Wo liegen die Unterschiede von “Ovdan” und „Hollow“, abgesehen von der Zeit, die ihr für die Veröffentlichung gebraucht habt?

Dieses Lied stammt aus der Welt der avantgardistischen experimentellen dunklen Musik, wie die 4AD-Künstler der frühen 80er Jahre wie This Mortal Coil und Cocteau Twins, Coil, Wire, Dead Can Dance, frühes Bauhaus usw. usw

Ich denke, dass der Hauptunterschied zwischen “Ovdan” und “Hollow” darin besteht, dass “Ovdan” innerhalb von zwei Jahren von denselben fünf Leuten geschrieben wurde und “Hollow” innerhalb von 15 Jahren von verschiedenen Mitgliedern geschrieben wurde, die seit unserer Gründung in der Band spielten. Natürlich nicht alle Songs, aber drei der sieben Originale wurden von ehemaligen Bandmitgliedern geschrieben, als sie noch in der Band waren. Wir haben die Songs live gespielt und sie bis zum Debüt behalten, hier war der Zeitrahmen fokussierter und das Ergebnis ist, was ihr auf “Ovdan” hören könnt. Wir haben einige neue Elemente hinzugefügt. Ich glaube, wir müssen jedes Mal etwas Neues auf den Tisch bringen, sonst wird es weit weg von der Kunst und näher an der Unterhaltung, und wir sind nicht da, um die Leute zu unterhalten, wir sind da, um Kunst zu machen.

Ich denke, wir haben die Grenzen nach links und rechts verschoben, auf der einen Seite ist es düsterer und an einigen Stellen fast Black Metal, auf der anderen Seite ist es experimenteller und nähert sich der Welt von Acts wie This Mortal Coil zum Beispiel.

´I Skuggornas Grav´ ist ein schwerer Song, wie ich finde. Anja und Mickael machen ihre Sache im wechselseitigen Gesang richtig gut. Wie kann man dieses Lied den Hörern erklären, ohne dass sie es vorher gehört haben? Ich tat mich da schwer.

Dieses Lied stammt aus der Welt der avantgardistischen experimentellen dunklen Musik, wie die 4AD-Künstler der frühen 80er Jahre wie This Mortal Coil und Cocteau Twins, Coil, Wire, Dead Can Dance, frühes Bauhaus usw. usw

Wie seid ihr denn mit Anja Huwe (Sängerin der Band Xmal Deutschland) in Kontakt gekommen?

Ich schickte ihr eine E-Mail, eine lange E-Mail mit vielen Details, in der ich mich selbst und wer ich bin, vorstellte. Wir tauschten viele E-Mails aus und fingen an, über nicht-musikalische Themen, Kunst, Leben, persönliche Dinge usw. usw. zu reden, wir haben auch andere Dinge zusammen gemacht. Ich habe die Texte zu zwei Songs ihres neuen Albums “Codes” mitgeschrieben und dort auch Backing-Vocals gesungen. Sie hat dieses Album erst letzten Monat veröffentlicht, es ist sehr aufgeregt und viele Inspirationen stammen aus dem Tagebuch und der Lebensgeschichte meines Großvaters Moshe Schintzky als Partisan im 2. Weltkrieg.

Über ´Muaka´ und ´I Skuggornas Grav´ haben wir schon geredet und auch ´Room 124´ hast du näher beleuchtet. Wenn ihr euren Songs eine kurze Beschreibung, eine Art Liner Notes, beifügen solltet, wie würdet ihr die elf Lieder beschreiben beziehungsweise welche Hintergründe könnt ihr euren Hörern offenbaren, damit sie eure Songs besser verstehen und für sich auslegen können?

Wie ich bereits zuvor geschrieben habe, dreht sich das gesamte Konzept dieses Albums darum, wie man Verlusten begegnet und überlebt. Diese Welt wird immer hässlicher, schmerzhafter und primitiver. Statt Fortschritt sehen wir Rückschritte, engstirnige Menschen und glauben alles sei “heilig”. In der Welt des “Ich, ich und ich” will jeder Idiot ein “Influencer” sein. Die Kinder von heute wollen berühmt sein, egal wie.

Mit ´Rainbow´ und ´Intensive C. U.´ habt ihr zwei kurze Tracks auf dem Album, letzterer wird gesprochen. Um was geht es denn in den gesprochenen Worten?

Um meinen Gesundheitszustand nach der Operation am offenen Herzen…

Welchen Song covert ihr denn da am Ende? (11. Turn Around – Gothic Rock Version (feat. Michael Denner of Mercyful Fate/King Diamond & Ben Christo of Sisters Of Mercy))

Nun ja, es ist nicht wirklich ein Cover, sondern eine andere Version des Liedes. Ben (Sisters Of Mercy) und ich hatten die Idee, Ben als Gast auf “Ovdan” zu haben, aber es war noch nicht entschieden, wie und bei welchem Lied. In der Zwischenzeit arbeiteten wir weiter an der Aufnahme zu ´Turn Around´. Ein paar Wochen nachdem wir fertig waren, bekam ich eine E-Mail von Ben, dass ihm ´Turn Around´ gefällt und er dort ein paar Dinge ausprobieren möchte. Mir gefiel wirklich, was er gemacht hat, aber auch die vorherige Version hat mir sehr gut gefallen. Also bestand die Lösung darin, auch “seine” Version hinzuzufügen, die eher Gothic-Rock-orientiert ist. Ich denke, er hat hervorragende Arbeit geleistet und den Song auf ein neues Niveau gebracht.

Werdet ihr mit “Ovdan” auf Tour gehen? Denn das blieb euch mit ”Hollow” wegen Corona größtenteils verwehrt.

Nun, die Corona-Krise machte es uns unmöglich, mit “Hollow” auf Tour zu gehen, und jetzt steht uns mit “Ovdan” mein Herzleiden im Weg. Es hängt alles von den medizinischen Tests ab, die Gesundheit geht vor, ich brauche mehr Zeit, um gesund zu werden. Ich werde hier (in Israel) mit ein paar kurzen Shows beginnen und Schritt für Schritt sehen, wohin es führt.

Kommt ihr denn auch nach Deutschland, um eure Fans live zu sehen?

Das würden wir liebend gerne machen.

Das wars auch schon, mein Wissensdurst ist gestillt. Was möchtest du denn zum Ende unseres Interviews noch sagen beziehungsweise interessierten Lesern mitteilen im Hinblick auf “Ovdan”?

Vielen Dank für das Interview, ich hoffe, dass “Ovdan” einen warmen Platz in euren Herzen finden wird.

Interview: Tobi Stahl
Photocredit: Anne C. Swallow