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TANZWUT – Musik, Marionetten und der Henker

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Es gibt Interviews, da merkt man auf Anhieb, dass man auf einer Wellenlänge liegt. So auch bei Teufel von TANZWUT, der meine Eingangsfrage „Hi wie geht’s?“ mit

„Mir wird hier langsam der Arm schwer“ beantwortet. Nee, alles in Ordnung Interviews gehören ja zum Rock ’n Roll dazu aber ich mach halt auch nicht jeden Tag soo viele.. und wenn einem der Arm langsam weh tut, dann ist das echt ein Zeichen. Jetzt weiß ich warum andere ein Headset haben, brauch ich auch noch“.

Du armer Mensch! Ok, dann fasse ich mich mal kurz.

 Da ist auch gut so! Nee, alles gut, ich mach das ja ganz gerne. Lass dich gehen!

Also, wie ist es euch ergangen in der Pandemie, im Lock-Down?

Was soll man sagen, keine Auftritte zu haben ist schon ein bisschen Scheiße, wenn man seit Jahren auf der Bühne steht und erwartet hat das ja wirklich keiner. Vielleicht, dass man mal krank wird aber Künstlerquarantäne, wenn die ganze Struktur komplett zusammenbricht…

Gut, wir haben versucht das Beste daraus zu machen. Das Album aufgenommen, ich hab mich noch um meine anderen Projekte gekümmert. Instrumenten- Marionettenbau und Theater, dann noch Mittelaltermusik geschrieben und gespielt. Solche sonderlichen Dinge, da kann man immer was machen. Jetzt wird es ja langsam wieder.

 Wie habt ihr denn die Songs geschrieben? Immer irgendwelche Files hin und her geschickt?

Naja das ist bei uns ja eh so eine Sache, die Texte schreibe ich ja meistens und dann hab ich auch eine Melodie im Kopf. Und natürlich setzt man sich auch zusammen und trifft sich. das bleibt nicht aus. Nur am Computer sitzen ist nicht. Klar kann man auch Platten produzieren wenn einer in New York und der nächste in London sitzt. Ich find es aber ganz gut, wenn man so ein paar Reibepunkte hat, das man sich ein bisschen hakelt und Sachen ausdiskutiert. Das macht sich am Telefon nicht so gut. Aber die Aufnahmen machen wir dann schon in anderen Studios. Wenn ich bei einem normalen Tontechniker nur das Wort Dudelsack in den Mund nehme, dann rollen sich bei denen die Zehennägel auf und kriegt große Augen. Deshalb mache ich da viel selbst, weil ich halt schon ein bisschen weiß, wo welche Frequenzen runtergezogen werden müssen.

Das ist ja eine echte Wissenschaft für sich, hast du zuhause ein Studio?

Ich hab zuhause eins und im Proberaum haben wir auch ein Studio, wo auch meine Werkstatt ist, wo ich mein Zeug bauen kann und oben drüber ist auch noch mal eins, wo unser Schlagzeuger ein Studio zusammen mit einem Freund hat, Der produziert aber auch andere Bands. Ist natürlich günstig, dann muss man nicht immer durch ganz Berlin fahren. Wo wir Vorproduktion und Vocal-Recording machen, ist auch gleich um die Ecke, da kann man eben mal eine File rüber bringen und sich treffen. War ja jetzt ewig Künstler-Quarantäne, da fehlt dir der Kindergarten, der Schabernack, den du mit der Band so treibst. Man steht ja nicht nur nebeneinander auf der Bühne. Das wird einem jetzt erstmal richtig bewusst. Man ist ja miteinander unterwegs und lebt etwas. Das ist ja nicht einfach nur Bühne, Probe, Profi, Noten … bläh!  Der ganze Käse ist halt auch wichtig und jetzt nach den ersten Treffen Ja schon, hat man gemerkt was einem fehlt.

Also doch noch echter Idealismus, nach all der Zeit.

Also ich hab ja auch nie gesagt, wir müssen jetzt unbedingt großer Rockstar werden, wenn es passiert ist gut, wenn nicht, ist auch ok.  Wir machen halt unser Ding. Wir kommen ja alle aus dem Osten, haben mit Straßenmusik angefangen, haben uns da aufgelehnt, nicht bei dem System mitgemacht, sind verhaftet worden mit Hausbesetzung und all so ein Scheiß. Unser Traum war immer frei leben zu können und zu machen was man will.

Ok, nach dem Mauerfall war dann alles etwas anders, man musste gucken, dass man auch Geld verdient und davon leben kann. Da hatten wir damals echt ‘ne Chance, weil wir anders waren, als das was die Leute als Mittelaltermusik kannten. Die haben da Harfe gespielt und Flötchen und bei uns war halt was los. Der Biermann hat sich immer gefreut und den Veranstaltern gesagt“ Ey, wenn die spielen saufen, die Leute alle wie verrückt, denen müsst ihr Geld zahlen“. Das war unser großes Glück und deshalb können wir auch ein außergewöhnliches Leben führen. Klar haben andere mehr Kohle gemacht, größere Hallen gefüllt und mehr Platten verkauft. Manchmal war es viel manchmal war es mehr manchmal  wenig bei uns aber Karriere? ach pff“.

Wobei, ihr hattet doch sogar mal einen richtigen Clubhit: ‘Bitte, Bitte‘

Jaja, das lief überall. Da haben wir selber schon Angst gekriegt. Aber da sind wir dann auch ausgeflippt, haben nichts auf die Kante gelegt und naja. Erst haste richtig viel Geld und halbes Jahr später ein Stück Käse bei Aldi geklaut.

Du hast vorhin über die DDR gesprochen, beeinflusst dich das heute noch?

Klar das ist deine Geschichte, die du nicht vergessen solltest.  Wir sind im Osten aufgewachsen haben die ganze Jugend da verbracht, die Schule da, die Politik und der ganze Scheiß, das hat einen natürlich geprägt und immer noch drin. Ich habe heute noch meine Stasi-Akte im Schrank. Als ich die gelesen hab, hab ich flachgelegen.  Ich bin früher halt mit Narrenkappe rumgelaufen und die „Puffizei“ hat mich verhaftet, weil ich halt Straßenmusik gemacht hab. Und den Bildern, die sie gemacht haben, hab ich die aufgelassen. Die sind natürlich ausgerastet und haben mir das Ding vom Kopf gezerrt und haben dann das Foto gemacht. In dem Moment hab ich aber wohl mit nem Tamborin um den Hals in die Kamera gezwinkert. Das Bild war da wirklich drin. Mich hat es weggedonnert als ich das gesehen. Wenn man so eine Akte lest hat man sich schon gewundert, was die alles nicht wussten, obwohl sie ja immer so clever.

Seid ihr denn glücklich die Platte jetzt rauszubringen?

Ja natürlich. Raus erstmal und dann mal gucken.

Momentan ist es ja noch schwierig die Scheibe live vorzustellen und ihr seit ja eigentlich eine Liveband.

Ja stimmt. Klar machen wir auch CDs und das macht auch Spaß und läuft besser als früher aber hinterher damit auf der Bühne zu stehen ist nochmal eine ganz andere Geschichte. Das unterwegs sein, ist unser Ding. Klar nervt auch die Autobahn manchmal aber nach der Corona-Nummer weißt du wieder ganz genau, dass du auf der Piste sein willst. Wir haben ja auch bei einem

Online-Festival mitgemacht aber dann stehst du ohne Publikum da!  äh … Ich hab gesagt, wenn ich da jetzt stehe, will ich wenigstens wie bei Al Bundy, Applaus eingespielt bekommen. Und unser Tontechniker hat tatsächlich Jubel aus dem Internet gezogen und zwischendurch immer abgespielt. Ich hab dann auch Ansagen gemacht als wenn da zehntausend Leute wären: So: „Hey springt von euren Sofas runter und rastet aus!“ Ich hab da rumgebrüllt wie doof. Die drei Techniker die da im Studio waren, haben sich weggepfiffen! Die hatten auf jeden Fall Spaß.

Was willst du machen? Wenn du das einfach nur stur durchziehst aber denkst, was für eine Scheiße, das merken die Leute die sich das angucken auch, „Haben wohl schlechte Laune gehabt.“

Schöne Vorstellung aber lass uns mal über die Platte reden. Ich find sie echt wesentlich härter und fetter produziert als vieles in der Vergangenheit. Absicht?

Ich sag mal ehrlich, wir machen einfach so geil wie möglich. Ich hör mir das Ding nach einer Produktion erstmal ein halbes Jahr nicht an, weil ich Abstand brauche. Erst dann sehe was wir da gemacht haben. Wir haben über ein Jahr immer in dem Ding gehangen, es immer wieder gehört, geändert und hörst irgendwann die Flöhe husten. „Die Hi-Hat ist zu laut“ und drehst dann völlig durch. Betriebslöde sag ich immer dazu.

Deshalb brauch ich Abstand. Deshalb ist mir Feedback von Menschen wichtig, die nichts damit zu tun hatten. Wenn die Leute irgendwas ehrlich sagen, ohne dir Honig ums Maul zu schmieren, dann ist das so ok. Das was du gesagt hast, hab ich schon öfter gehört, scheint so zu sein. Auf jeden Fall bin ich schon mal froh, wenn die Leute nichts sagen: früher war alles besser. Die erste, die war gut … alles andere danach war Scheiße“.

Na gut, die erste war auch eine echte Überraschung und das kenne ja viel Bands, dass die alten Sachen immer glorifiziert werden.

Du da gab es damals aber auch ganz andere stimmen.  Da haben sich die ganzen Mittelalterfans aufgeregt wegen der Elektronik. Die Puristen, die die ganz alten Sachen hören wollten. Bob Dylan hat damals schon das gleiche Set gespielt, einmal akustisch und danach  E-Gitarre, beim zweiten haben die alten Fans ihn ausgebuht. Als Verräter!“

Da fällt mir eure Bonus CD ein.  ‘Feine Menschen‘ im Dave & Ben Remix wirkt ja auch wie völlig anderer Song.

Ja, die aufgearbeiteten Varianten sind ja mit Klavier oder remixt. Der Song ist auch in einer ganz anderen Geschwindigkeit.

“Böse“ Frage von mir: Wenn du dir zwei Stücke aussuchen müsstest, welche sind das?

Bei ‘Die Geister die wir riefen‘ bin ich ganz gut drauf, weil das Ding so ein bisschen aus der Art schlägt. Und dann wird es schwierig. Ok, ‘Die Tanzwut kehrt zurück‘ ist auf jeden Fall ein Highlight für mich, weil auf der Bühne ist das was für mich zum frei drehen! Live brauchst du ja auch zwischendurch auch mal was zum anhören und nicht immer nur uff, uff, uff. Wo die Leute halt mal ein bisschen Gänsehaut kriegen oder ein paar Gedanken machen, die sie vorher nicht hatten.

Textlich ist ja alles dabei. Von Gesellschaftskritik, Henker bis zur Party (Pack) wie wichtig ist es dir dich so lautstark ausdrücken zu können?

Wenn ich anfange dann brauch natürlich erstmal irgend ein Thema, das dich berührt oder über das du nachdenkst. Der letzte Henker Deutschlands Johannes Reichhart, da hab ich vor zwanzig Jahren mal ein Biographie von gelesen aber hab das nie wirklich songmäßig unterbringen können. Das ist ja so eine Story, die kannst du dir ja gar nicht ausdenken. Da wird man ja für wahnsinnig erklärt. Den Typen kennt kaum jemand, Sophie Scholl ist noch allen ein Begriff aber wie der drauf war und was damals abgelaufen ist, war schon krass.  Bis zum Schluss als er seine eigenen Auftraggeber, nach dem dritten Reich hingerichtet hat. Absurd alles!

Texte an sich kommen einfach. ‘Die Geister die wir riefen‘ sind die Geister des Rock ’n Rolls. Man tanzt den Tango bis zum Schluss und das mit ‘nem Grinsen im Gesicht.

Dann finden sich auf dem Album natürlich Parallelen zur Pandemie. Wie ist denn aus Künstlerperspektive deine Einstellung zu Pandemiepolitik? 

Wir(r)sing! Das ist das was die Leute kirre macht, dass die Entscheidungen sind oft so unterschiedlich sind. Weißt du ich habe Kinder und die kannst du einfach nicht unterschiedlich behandeln, dann gibt es Streit und Missgunst. Und genau das passiert durch die Länder und deren unterschiedliche Auslegungen. Dazu kommen noch die Skandale und so weiter. Mittlerweile haben die sich so zum Löffel gemacht, dass viele dem Ganzen nicht mehr vertrauen. Und jetzt gibt einen Haufen, die das ausnutzen. Da muss man aufpassen.

Wie kommt jemand wie du eigentlich auf Marionettentheater „Theatrum Diaboli“ eigentlich das komplette Gegenstück zu dem was du sonst tust und extrem leise.

Das mach ich ja schon ewig, schon im Osten, auch den Marionettenbau. Die Ursprünge von mir und Micha von In Extremo liegen in dieser Zeit. Wir waren ja fünf Jahre lang als Duo mit Marionetten und Musik unterwegs. Micha war der Kellner in meiner Stammkneipe, da haben wir uns kennen gelernt, Ohne das würde es In Extremo und TANZWUT gar nicht geben. Vor ein paar Jahren kam dann eine Anfrage und ich hab halt wieder angefangen zu schreiben und Figuren zu bauen. Das ist schon meins , alles selber zu machen. Du darfst dir das jetzt nicht als klassisches Puppentheater mit Kasperle vorstellen sondern eher ein bisschen Rock ’n Rollig. Auch für Kinder. Die Schoten und Stories, die wir spielen sind aber abgefahren. Wir hatten jetzt vor Corona auch Anfragen für Rock-Festivals.

Leise ist das zum Teil schon, zum Beispiel bei dem Totentanz. Die Figuren sind 1,20 Meter groß und setzen sich auf der Bühne quasi wieder zusammen und fangen an zu tanzen. So ein bisschen Tim Burton Style.  Zum Teil ist es makaber, lustig, abgefahren. In Deutschland kennen viele halt nur die Augsburger Puppenkiste oder das Kasperle-Theater. Anderswo gibt es das halt auch für Erwachsene. Da werden auch ganz andere Geschichten erzählt. In Frankreich habe ich mal Shakespeare als Puppentheater gesehen. Ich hab auch eine Puppe gebaut, die Feuer spucken kann, Der Teufel in der Hölle macht Party und erklärt wie Schnaps gemacht wird. Dann kommt der Feuerspucker halt rein, weil ihm langweilig ist, Aus der Figur kommt eine 50 Zentimeter lange Flamme raus, was meinst du wie die Kids da gucken?

Auch die ganzen zappelnden, Fernseh-verblödeten, nicht zuhörenden Kinder sind an der Stelle echt wach. Die hören dann dem Teufel zu! Wir haben auch eine Räubergeschichte, unseren „Tatort“. Mit Mord im Wald und Henker, der am Schluss mit seinem Beil rauskommt aber schwäbischen Dialekt spricht. Das ist dann wieder unser Johann (Reichhart)

Du kannst Schwäbisch??

Ich hab’s versucht aber ich kann es nicht wirklich. „Schaffe schaffe Köpple haue“ und so. Im Süden sagen mir immer alle, dass das so alles falsch ist, was ich mache. Na ja passt schon meistens.  

Eben, passt schon, bleibt uns also nichts weiter übrig als auf die nächsten Konzerte oder Marionetten-Theater Auftritte zu warten und dann wieder live teuflisch durchzudrehen.

 

Interview und Fotografie Sven Bernhardt