Mit “Anthropocene” melden sich SEASONS IN BLACK nach über einem Jahrzehnt “Abstinenz” eindrucksvoll zurück – düster, vielschichtig und gesellschaftskritisch. Frontmann Ludwig “Lucki” Maurer, bekannt aus der kulinarischen Welt und diversen TV-Formaten, zeigt hier (s)eine ganz andere Seite – doomig, groovig, wütend, tiefgründig. Im neuen Album verbinden Lucki (Vocals, Bass), Roman Adam (Guitar), Harald Hemauer (Drums), Markus Neumeier (Keys, Vocals) und Leon Hanff (Lead Guitar) den SiB typischen Doomcore mit lyrischem Tiefgang, unterstützt von starken Gastbeiträgen und einem Artwork, das zum Entdecken einlädt. Ich habe mit Lucki über die Entstehung des Albums, seine Gäste und die Songs auf “Anthropocene“ gesprochen. Viel Spaß beim Lesen.
Hallo Lucki, schön, dass es mit unserem Interview klappt! Ich bin Tobias aus der Pfalz, mache gerne und oft Urlaub in deiner Heimat, dem Bayerischen Wald. Wie es sich für euch anfühlt, nach zwölf Jahren mit neuer Musik zurück zu sein?
Lucki: Servus Tobi, es fühlt sich fantastisch an, mit neuer Musik zurückzukommen. Vor allem, weil das Album wirklich sehr ausgereift ist und es längst überfällig war, wieder neue Songs zu veröffentlichen.
Zwischen “The Swansong Diaries” und “Anthropocene” liegen ganze zwölf Jahre. Warum die lange Wartezeit?
Lucki: “Swangsong Diaries” kam 2013 raus und in der Zwischenzeit ist auch privat viel passiert. Einige von uns haben Familien gegründet oder sich selbständig gemacht und so blieb S. I. B. lange Zeit nur ein Hobby.
Was ist die Idee hinter dem Albumnamen “Anthropocene”?
Lucki: “Anthropocene” ist unser drittes Album und der Titel bezeichnet das Zeitalter, ab dem der Einfluss des Menschen auf unseren Planeten nicht mehr von der Hand zu weisen war. Als Startpunkt dieser Epoche gilt das erstmalige Zünden einer Atombombe – der sogenannte Trinity Test, wieder die drei. Das Albumcover – wunderschön dargestellt vom englischen Künstler Adrian Baxter – zeigt dabei das inhaltliche Konzept in dem das menschliche Gift (‘World Wide Venom’) aus Dummheit, Gier und Ignoranz im Zentrum steht und dazu führt, dass wir die neun planetaren Grenzen außen herum, mehr und mehr überschreiten und so auf das dunkelste Zeitalter der Menschheit zuschreiten (‘Forsaken’). Als Menschen haben wir uns so selbst eine Vielzahl riesiger Herausforderungen gebaut, doch statt sich diesen zu stellen, arbeiten wir lieber weiter daran, uns gegenseitig auf die Rübe zu hauen – willkommen im Neandertal – frei nach EAV…
“Anthropocene” ist kein Album, das man mal eben und auf die schnelle durchhört, man nimmt sich eher Zeit und ergründet die Songs – so halte ich das zumindest. Wie lange hast du an diesem inhaltlich wie musikalisch dichten Werk gearbeitet und woher hast du deine Inspirationen genommen?
Lucki: Das neue Album ist ein Gesamtwerk von uns allen und nicht von mir alleine. Ich würde sagen, wir haben momentan das stabilste Lineup der Bandgeschichte und jeder bringt sich ein. Die Songs hat alle Roman geschrieben und für die Lyrics ist Markus verantwortlich. Mit unserem neuesten Bandmitglied Leon kommt natürlich wieder frischer Wind in die Band.
Ihr habt neun Tracks auf das Album gepackt, neun Symbole sind am äußeren Rand des Coverartworks zu sehen – in welche Richtung muss man die Symbole lesen, um sie den Songs zuordnen zu können – wobei einige deutlich und andere weniger offensichtlich zugeordnet werden können.
Lucki: Wir spielen ja immer gerne mit Zahlen und im Anthropocene-Konzept dreht sich viel um die “Nine Planetary Boundaries”. Dazu haben wir neun Songs aufgenommen und die Symbole sind diesen neun planetaren Grenzen zugeordnet, die das Zeitalter der Menschheit beschreiben.
Du hast in ‘Forsaken’ und ‘World Wide Venom’ deinen Freund Hannes Ringlstetter am Start – wie reifte die Idee zu dieser Zusammenarbeit und werden wir den Hannes auf Wacken sehen?
Lucki: Hannes ist ein sehr guter Freund und hat einfach eine unglaubliche Stimme. Seine Wurzeln liegen ja auch in der Rockmusik und mit seiner Band SCHINDERHANNES schlug er früher auch schon härtere Töne an. Vielleicht ist er sogar in Wacken zu sehen.
Wie habt ihr euch denn kennengelernt? Ich “kenne” Hannes überwiegend aus “Hubert und Staller”, wo er den Experte für alles spielt und Bäcker, Mechaniker, ITler etc. darstellen.
Lucki: Tatsächlich haben wir uns an der Pinkelrinne in einem Toilettenwagen kennengelernt, als ich auf einer Show von ihm war; bei seinem Programm “Ringl on Fire”. Wir haben viele gemeinsame Bekannte aus der Kabarett- und Musikszene und ich war viermal in seiner Show zu Gast. Er ist ein unglaublich guter Songwriter und Musiker und für uns ist es natürlich eine große Ehre, dass er auf dem Album vertreten ist.
Mit Michelle Darkness, Micha Rhein, Specki und Co. habt ihr ein starkes Line-up an Gästen. Ich denke, dass die Metal- und Rockszene ihre Leute kennt, magst du uns Mila Schütz und Marina Koller vorstellen, die man eventuell nicht auf einem Metal-Album vermuten würde.
Lucki: Mila Schütz ist das Kind eines Freundes von unserem Keyboarder Markus aus Kalifornien, er hat dort gelebt und wir wollten einfach nochmal dieses schwermütige Intro mit einer kindlichen Stimme interpretieren. Marina ist eine begnadete Sängerin, Gitarristin und Frontfrau der Country – Rock Band NÄÄSHVILLE Sie hatte Ihre Karriere mit 14 begonnen und ist als Solokünstlerin in den 2000ern sehr erfolgreich gewesen. Wir brauchten für den Song ‘Get What You Give‘ einfach noch den passenden weiblichen Gesang.
Wie wählt ihr aus, wer zu welchem Song passt?
Lucki: Das kommt uns beim Songwriting Prozess meistens schon in den Sinn. Wir haben ja immer gerne Gastmusiker auf unseren Veröffentlichungen. Die tiefe Stimme von Michele Darkness passt einfach wunderbar zu Marinas Stimme. Auch die Stimme von Hannes hat einfach perfekt für dieses Intro gepasst!
Der Opener ‘World Wide Venom’ zeigt sofort, wo die musikalische Reise auf “Anthropocene” hingeht. Wie wichtig war euch, mit diesem düsteren Groove direkt ein Statement zu setzen?
Lucki: Das ist eigentlich typisch S.I.B. Wir sind ja eher bekannt, Live voll auf die 12 zu hauen. Ich finde der erste Song eines neuen Albums sagt immer sehr viel über das komplette Werk aus. Deshalb gleich mal eine richtige Ansage!!!
Wie seid ihr auf die Idee gekommen den Song ‘Inside’ zu covern, der sich in eurer doomigen Version sehr geil anhört! Warum gerade dieser Song und was verbindet dich mit dieser Ära/diesem Lied?
Lucki: ‘Inside’ ist einer meiner absoluten Lieblingssongs und ist eigentlich der Soundtrack meiner Teenager-Zeit. Die Idee, ihn zu covern, hatte ich schon vor 15 Jahren. Mit Specki & Micha am Mikro, ist er wirklich sehr gut geworden!!!
Der Soundeffekt mit dem Geigerzähler in ‘Yellow Sky’ oder die Zellentür in ‘Blacksite’ – wie stark spielt das Visuelle beim Songwriting eine Rolle für euch?
Lucki: Bereits seit unseren ersten Songs bauen wir immer gerne mal Samples ein, die die Grundstimmung des Liedes mit erklären bzw. untermalen
Die russischen Spoken Words in ‘Yellow Sky’ – magst du verraten, was sie bedeuten?
Lucki: ‘Yellow Sky’ ist ja die Fortführung von dem Song ‘Chroming Rain’ aus unserem Debüt Album. Ähnlich wie bei ‘The Unforgiven’ von Metallica. Der Text beider Songs ist fast identisch nur in einer anderen Melodielinie. In dem Lied geht’s um das Unglück und den Supergau von Tschernobyl. Der Spoken Word Teil ist die original Nachrichteansage vom 26. April 1986.
Wenn du an die Produktion zurückdenkst – welcher Song hat dich am meisten gefordert, musikalisch und/oder emotional?
Lucki: Tatsächlich der Song ‘Seasons in Black’. Ich kann mich noch erinnern, wie ich die passende Gesangslinie gesucht habe. Auf einmal hat’s Klick gemacht. Die Lyrics, die Markus dazu geschrieben hat, sind einfach genial. Wer unsere Geschichte kennt, wird sofort merken, um was es in dem Lied geht. Auch das Video finde ich sehr gut. Natürlich ist das emotional, wenn du auf 29 Jahre zurückblickst. Das Ganze dann noch in einem Lied mit Video vereint zum ersten Mal zu sehen, war schon ein richtiger Gänsehaut-Moment.
Du bist nicht nur Musiker, sondern auch Koch, Autor und Züchter – hilft dir diese Vielseitigkeit, Songs und Themen mit einem anderen Blick zu schreiben?
Lucki: Das eine ist Beruf oder Berufung, die Musik meine absolute Leidenschaft. Aber natürlich ist Kochen ein unglaublich kreativer Prozess. Ich habe 9 Bücher geschrieben. Letztlich kann man das schon sehr gut vergleichen. Man erschafft etwas sehr Persönliches und Kreatives. Wichtig ist aber auch unsere Aufteilung in der Band. Hier bin ich ein Teil von 5 und nicht der TV bekannte Spitzenkoch “Lucki Maurer”. Die Songs schreibt Roman zusammen mit Leon. Markus ist für die Lyrics und das Artwork zuständig, Harry ist ein brutal guter Musiker und auch im Studioprozess involviert. Ich bin vielleicht der Frontmann, aber wir sind ein Team, das nur mit allen Fünf funktioniert.
Dein Gesang auf dem Album ist brutal intensiv – wie findest du die Balance zwischen Kontrolle und Emotion im Studio?
Lucki: Dadurch, dass Roman ein eigenes Studio besitzt, können wir jederzeit aufnehmen, wann wir wollen. Ich bin immer sehr relaxt im Studio und probiere am Gesang viel aus.
Ihr seid 2025 auf einigen großen Bühnen zu sehen – wie fühlt es sich an, mit neuem Material endlich wieder rauszugehen? Gibt’s Songs, auf die ihr euch live besonders freut?
Lucki: Wir haben voll Bock auf den ganzen Sommer! Außerdem spielen wir auf den coolsten und größten Festivals des Landes. Ich freue mich, die ganzen neuen Songs zu spielen und vielleicht beim ein oder anderen Konzert auch Gastmusiker mit auf der Bühne zu haben! *zwinkert*
Wacken oder das “Heimspiel” beim Breeze, was macht euch mehr aufgeregt?
Lucki: Beides sind großartige Festivals, natürlich ist man da aufgeregt… Für uns ist das nicht alltäglich dort aufzutreten, sondern ein riesengroßes Privileg. Das ist Champions League! Wir haben aber dieses Jahr so viel geprobt, wie die letzten 5 Jahre nicht mehr.
Wo kann man euch denn überall sehen und wird es neben den Festivalterminen auch “normale” Tourevents geben?
Lucki: Wir spielen noch eine Show im Münchner Backstage im Vorprogramm von MINISTRY. Und natürlich unser alljährliches S.I.B. & Friends Fest in unserem Lieblingsclub, dem L.A. in Cham im November. Für 2026 haben wir schon drei Festivals, auf denen wir auftreten und dann ist da ja noch unser Jubiläum 30 Jahre Seasons in Black…Da wird es bestimmt auch eine kleine Party geben!
Vielen Dank, Lucki, für das interessante Gespräch, die Einblicke hinter die Tracks – und für ein Album, das nicht nur musikalisch reinhaut, sondern auch thematisch viel zu sagen hat.
Interview: Tobias Stahl
Photocredits: Thomas Pfeiffer, Promo