SANHEDRIN sind Erica Stoltz (Vocals/Bass), Jeremy Sosville (Guitars/Vocals) und Nathan Honor (Dums/Percussion) aus New York in den USA. Das Trio veröffentlichte bislang drei Alben, wovon “Lights On” aus 2022 das bisher jüngste Werk der Band ist, das traditionellen Metal mit Hard Rock mixt und dabei sehr modern, frisch und energiegeladen klingt. Ich durfte SANHEDRIN bereits einmal live erleben und war begeistert von der Intensität und dem Tiefgang, die mir da von der kleinen Bühne eines Mannheimer Clubs entgegenkam und davon, dass es keine Show ala RAMMSTEIN braucht um die Zuhörer vor der Bühne in den Bann zu ziehen. Heute darf ich mit SANHEDRIN sprechen und freue mich, dass es mit einem Interview geklappt hat.
Hallo Erica, Jeremy und Nathan, hier ist Tobias aus Deutschland, der sich tierisch über das anstehende Release freut und euch ein paar Fragen zu “Heat Lightning” stellen möchte, aber erstmal Herzlichen Glückwunsch zu diesem, meiner Ansicht nach, intensivsten, abwechslungsreichsten und energiegeladenen Album eurer Diskographie. Wo und wie ordnet ihr “Heat Lightning” ein?
ES: Ich würde es als unser vollständigstes und am besten klingendes Werk bezeichnen.
NH: Danke für die netten Worte! Wir halten nicht viel von Mikrogenres oder Klassifizierungen. Heat Lightning ist einfach eine Heavy Metal-Platte.
JS: Wir haben die Genre-Einordnung immer den Fans und Kritikern überlassen. Wir machen die Musik, die uns natürlich vorkommt, und lassen dann die Welt entscheiden, was sie davon hält und wie sie sie beschreiben möchte.
Bevor wir mit dem Album weitermachen, möchte ich euch fragen, wie es euch momentan geht. wo es in der Welt gerade in vielen Belangen zu einem Wandel kommt.
ES: Es wäre töricht zu glauben, dass wir aufgrund der menschlichen Natur immun gegen die Dinge sind, die überall sonst auf der Welt passieren; insbesondere in einer Welt, in der Religion und Kapitalismus für so viele sehr wichtig sind.
JS: Die Welt verändert sich ständig. Man kann sich entweder zurücklehnen und sich darüber beschweren oder man kann das nehmen, was einem das Leben gibt, um sein Leben und das der Menschen um einen herum besser zu machen. Wir erreichen das zum großen Teil durch das Musikmachen.
NH: Ich weiß, es scheint, als stünde die Welt gerade in Flammen, aber wir tun einfach das, was wir schon immer getan haben: Wir stecken den Kopf in den Sand und erledigen die Dinge.
Wie kamt ihr auf den Namen “Heat Lightning” für euer Album und wer hat dieses starke Artwork kreiert?
ES: Hitzeblitze (“Heat Lightning” Anm. d. A) sind ein Naturphänomen, bei dem sich Blitze eines entfernten Sturms in der oberen Atmosphäre spiegeln. Man kann sie an Orten mit klarem Himmel sehen. Sie sind eine Metapher für den Ort, an dem wir uns heute befinden. Der Sturm ist über uns hereingebrochen.
Johan Prenger hat das Bild für das Cover gemalt. Sein Gesamtwerk ist den dunklen Künsten gewidmet. Wir haben über den Text gesprochen und festgestellt, dass wir beide den Film “The Witch” lieben. In ‘King of Tides’ gibt es eine Zeile: “Wir brachten die Bücher” über puritanische Pilger, die sich der Küste dieses Landes nähern. Zu dieser Zeit waren Frauen nur so gebildet, dass sie die Bibel lesen konnten. Das Thema unseres Covers ist das Lesen von Liebesgedichten oder so etwas. Werft diesen Salat dazu und ihr erhaltet das Bild für das Cover.
Ihr habt für “Heat Lightning” nicht mit Colin Marston gearbeitet, sondern habt euch dafür entschieden, im legendären Utopia Bearsville Studio in Woodstock, New York, aufzunehmen und zu mischen. Wie war die Arbeit mit Matt Brown und Jerry Farley und welchen Einfluss hatte der Tapetenwechsel auf euch und eure Musik? Was erwartet eure Fans, wenn sie das Album zum ersten Mal hören?
NH: Als wir mit dieser Platte begannen, wussten wir, dass wir etwas anderes machen wollten. Matt, Jerry und ich arbeiteten zusammen, und als sich die Gelegenheit ergab, gemeinsam etwas Kreatives zu machen, war die Aufregung greifbar. Die Entscheidung, bei Utopia zu arbeiten, ergab sich aus Matts persönlicher Verbindung zum Eigentümer Pete Caigan und natürlich aus der Möglichkeit, in der Einrichtung selbst zu arbeiten. Abgesehen davon, dass Utopia ein legendäres Studio ist, wollten wir eine Platte in einem Studio mit einer Konsole machen. In der Zeit der großen Studios verließen sich die Toningenieure auf die Konsole des Studios und verwendeten standardmäßig die integrierten Vorverstärker und EQs, im Gegensatz zum moderneren Ansatz, die Ausrüstung an das Instrument anzupassen. Der Vorteil, die Dinge auf klassische Weise zu tun, besteht darin, dass man diesen “Klebstoff” bekommt, der den Mix wirklich zusammenhält. Matt hat beim Aufnehmen wirklich viel Sorgfalt darauf verwendet, dies voll auszunutzen, und die Ergebnisse sind eindeutig.
Verarbeitet ihr die Dinge auf “Heat Lightning”, wie auch so manche Ereignisse ihren Platz auf “Lights On” fanden?
ES: Ich habe die Welt um mich herum immer in meinen Texten reflektiert. Als “Lights On” entstand, zeigten die Mainstream-Medien in den USA die staatliche Gewalt, die den Menschen angetan wurde. “Lights On” war textlich rauer. “Heat Lightning” ist eher eine Anklage christo-faschistischer Themen.
NH: Die Entscheidung, die Pandemie in “Lights On” zu erwähnen, haben wir lange diskutiert. Letztendlich waren wir uns einig, dass das globale Ereignis selbst erwähnenswert war, aber im Allgemeinen überlassen wir unsere “Bedeutungen” lieber der Interpretation.
‘Blind Wolf’ handelt von Kulten und “blinden Wölfen”, die einen anderen Glauben annehmen. Hattet ihr schon Berührungen mit diversen Kulten?
JS: Ich bin in der katholischen Kirche aufgewachsen, die man als eine eigene Art von Sekte bezeichnen könnte. In Amerika gibt es anscheinend viele religiöse Sekten, und viele davon liegen ziemlich abseits des Mainstreams. Wenn man sich die Geschichte unseres Landes ansieht, erkennt man, dass religiöser Fanatismus seit den frühesten Tagen der Besiedlung existiert. Daher wäre die Geschichte Amerikas unvollständig, wenn wir unsere reiche Geschichte der Religion und des Sektenverhaltens außer Acht lassen.
Hinter ‘The Fight of your Life’ “könnte man einen dramatischen Song über schwierige Lebensverhältnisse vermuten, der am Ende dazu motiviert weiterzumachen – was steckt denn wirklich hinter dem Lied und werden Musiker sofort verstehen was mit “Lifers“ gemeint ist?
ES: Die erste Strophe dieses Liedes handelt von Cedell Davis, einem Blues-Künstler aus dem Mississippi-Delta in den USA. Ich war gerade dabei, Monitore zu machen und die Bühne für eine Americana-Show vorzubereiten, die von Peter Buck von REM kuratiert wurde. Peter brachte einen Mann namens Cedell Davis auf die Bühne. Er saß im Rollstuhl und hatte ein Buttermesser in der Hand. Ich fragte ihn naiv, was er mit dem Messer machen würde, und er sagte: “Ich werde dir die Kehle durchschneiden” und lächelte.
NH: Musik ist die längste Beziehung, die wir je hatten. Wenn man sein Leben der Musik widmet, ist sie immer bei einem. Dieses Lied ist einfach eine Hommage an diese Realität.
Seid ihr “Lifers”?
ES: Ich habe mein Leben so strukturiert, dass immer Platz für Musik ist. Egal, ob ich vor Publikum oder für mich selbst spiele. Ich glaube, ich bin ein Lifer.
JS: Im Moment zähle ich mich selbst dazu. Jede Entscheidung, die ich treffe, dreht sich in gewisser Weise um das Spielen und Schaffen von Musik. Wenn ich das bis jetzt in meinem Leben nicht aufgegeben habe, werde ich das wahrscheinlich nie tun.
‘King of Tides’ grooved düster aus den Boxen, die schweren Gitarren untermalen die Stimmung des kämpferischen Liedes – ihr schlagt in diesem Lied aber auch ruhigere Töne an um dann ein verdammt gutes Gitarrensolo rauszuhauen – wird es diese abwechslungsreiche Nummer live geben?
ES: Das Lied handelt von einem Schiff aus England voller puritanischer Pilger, die endlich in ihrer Heimat ankommen und die Feindseligkeit der Küste spüren. Ich hoffe, wir können es live spielen.
NH: Wenn wir unsere Lieder schreiben, achten wir sehr darauf, dass sie das darstellen, was wir live machen können. Das Ziel ist, jedes Lied aus unserem Katalog spielen zu können.
JS: Vielen Dank für das erwähnen des Gitarrensolos. Es ist nicht das Auffälligste, was mir je eingefallen ist, aber es ist einer meiner stolzesten Momente bisher. Das ganze Motiv dieses Liedes war, ein filmisches Gefühl zu erzeugen, und es hat viel Spaß gemacht, unter dieser Vorgabe ein spannungsgeladenes Gitarrensolo zu komponieren.
Welche Themen liegen euch besonders am Herzen, die ihr auf und mit dem neuen Album anspricht. beziehungsweise verarbeitet?
ES: Fuck Christo-fascists in a thousand ways.
Werdet ihr in Deutschland auf Tour gehen oder/und stehen Sommerfestivals an?
JS: Wir werden im Mai und Juni dieses Jahres mehrere Konzerte in Deutschland spielen, darunter auch das legendäre Rock Hard Festival. In Deutschland finden wir die größte Unterstützung, daher ist Deutschland für uns eine Priorität, wenn es um die Tournee zu einem neuen Album geht.
Die finalen Worte gehören – wie immer – meinen Gästen. Ich bedanke mich für das Interview und sage auf bald vor der Bühne in Mannheim, hoffentlich.
JS: Danke, dass du mit uns gesprochen hast, und danke an alle treuen deutschen Rocker, die uns jedes Mal, wenn wir dort spielen, so dankbar und willkommen heißen.
ES: Diese Erfahrung erfüllt mein Herz. Deutschland und die Fans kennenzulernen, war ein Höhepunkt meines Lebens. Wir können es kaum erwarten, wieder für euch zu spielen.
Interview: Tobias Stahl
Photocredits: Stephen Afasano, Jan Bünning