VIER METER HUSTENSAFT
Titel: KEIN VERGEBEN KEIN VERGESSEN
Label: NRT-Records
Spieldauer: 15:19 Minuten
VÖ: 27. September 2024
Originelle Bandnamen lassen mich immer mal aufhorchen. Und nachdem ich schon eine Berliner Band namens Acht Eimer Hühnerherzen vor einer Weile abgefeiert habe, denke ich, VIER METER HUSTENSAFT passen da gut daneben.
Das Düsseldorfer Quartett um Sängerin Yvonne „Yve“ Wagner fand sich 2020 mitten im Lockdown. Schon am Nikolaustag des gleichen Jahres erschien eine erste EP mit dem selbstironischen Titel „Also Weiblichen Gesang, Find‘ Ich Ja Eher So Semi“. Im September 2020 dann folgte das erste volle Album unter der Bezeichnung „Influenza“. Jetzt als EP Nummer 2.
Musikalisch bieten sie uns melodischen Punk der alten Düsseldorfer Schule. Eingängige Melodien treffen auf kratzige Gitarren. Aber immer voller Aggression und Kraft. Kurz gesagt, die VIER METER HUSTENSAFT sind weit weit weg vom Pop-Schlager, den die Hosen an Tagen wie diesen über die Lande verbreiten. Wobei ich den Hosen den Punk nicht absprechen möchte, sie ziehen eben immer noch ihr eigenes Ding durch.
Was neben der Musik aber auch Beachtung finden sollte, sind die engagierten Lyrics auf diesem doch zu kurzen Dreher. Böse Zungen würden das Wort „woke“ benutzen und die VIER METER in die links-grün-versiffte Ecke stellen. Was aber ist schlecht daran, Partei zu ergreifen? Was spricht dagegen, seine Meinung laut zu sagen? Zu singen, in die Welt hinauszuschreien?
Das beginnt beim Opener ´Kein Vergeben´, der mit Eltern abrechnet, die das Beste für ihr Kind wollen, es damit aber unterdrücken und einengen. Und, heute, mit 53 Jahren, spüre ich, dass auch ich solches im Elternhaus erlebt habe, wenn auch nur in Ansätzen. ´Misch Dich Ein´ reagiert auf den Mord beim CSD in Münster 2022. Zivilcourage, Toleranz, „Das geht uns alle an!“ ´Nightbeaver´ fordert von uns allen, dass wir in uns hineinhören, einmal auf die Bremse treten, dass wir nicht im immer schneller Alltag Halt und Orientierung verlieren. Denn wenn wir nicht innehalten, die Zeiger der Uhr gehen unaufhaltsam voran.
Gesetzt den Fall, du lässt dich von Verschwörungsgeschichten beeinflussen, von Rattenfängern einfangen, dann wird es natürlich und hoffentlich so sein, dass du Widerworte bekommst. Zumindest außerhalb deiner Blase. Und dann kann es sein, dass es sich anfühlt als wären ´Alle Gegen Einen´. Vielleicht liegt es einfach daran, dass du doch unrecht hast. Am Ende steht mit ´Hammerschlageffekt´ noch ein Cover. Dieser Song stammt im Original wohl von einer Band namens Nonstop Stereo. Thema hier ist der Konsum von gewissen Substanzen. Medikamente, Alkohol, Drogen – das alles macht es nicht besser, die Flucht währt nur kurz, ehe Schmerzen und die Realität wieder da sind. Noch härter als zuvor. (Allerdings ist mir klar, dass wir Musikfreaks zum Teil auch Suchtsymptome aufweisen. Zitternd und schwitzend harren wir auf den Paketboten, um einfach eine neue Lieferung aufreißen zu dürfen.)
Wer unter uns sich auch mal mit Punk die Zeit vertreibt, vor allem wenn mal wenig Zeit ist, „Kein Vergeben Kein Vergessen“ ist ein flotter und unterhaltsamer Zeitvertreib. Der aber gefüllt ist mit viel Inhalt. Vielleicht für manche zum Nachdenken. Für manche aber auch als Kraftquell, um sich doch einzumischen gegen Ungerechtigkeiten. Ich schließe mich hier einem älteren Song der Band an: „Nie Mehr Faschismus!“
Mario Wolski vergibt 7 von 10 Punkten