VARIOUS ARTISTS – SOUND & ACTION GERMAN HARDROCK & HEAVY METAL RARITIES Vol. 4

VARIOUS ARTISTS

Titel: SOUND & ACTION GERMAN HARDROCK & HEAVY METAL RARITIES Vol. 4

Label: Golden Core/ZYX

Spieldauer: 152:40 Minuten

VÖ: 31. Mai 2024

So ein opulentes Menü will erst einmal verdaut werden. Oder, in diesem Falle über 150 Minuten Musik gehört und geistig aufgenommen. Klar ist, die Herren Butz und Neudert haben auf Teil 4 ihrer Compilation-Serie wieder mal richtig einen ausgepackt. Ein paar Album-Tracks, ein paar Singles und vor allem einige Demos wurden ausgegraben. Es wurde recherchiert, die Rechteinhaber gesucht. Zeitlich entstammen die meisten Songs den 80ern, ein wenig ist neuer, bis etwa 1995, der Ausreißer nach unten stammt aus dem Jahre 1973. Allerdings passen FRANZ K. mit ´Rita B.´ gut zum Programm. Deutschsprachiger hardrockiger Kraut war schon immer eine Liebe der Zielgruppe. Im Vergleich zu den Vorgängern wurde etwas sparsamer auf Thrash Metal gesetzt, was natürlich mehr Platz schafft für meine Vorlieben.

Doch, genug lamentiert, schauen wir, was wir hier geboten bekommen. Bei 35 Songs ist klar, ich werde mich hier auf meine Höhepunkte beschränken, was nicht heißt, nicht erwähnte Songs sind Kappes.

Direkt am Anfang stehen LETTER X, deren ´Unknown Heroes´ einem Demo entstammt. Diese energische doch melodische Nummer sagt mir, ich hätte zugreifen sollen, als ich 1991 ihr erstes Album in einem Plattenladen in der Hand hatte. Wahrscheinlich sind ihre drei Scheiben heute kaum bezahlbar. Aber möglicherweise nimmt sich ja noch mal jemand deren Schaffen an.

Aus der Nürnberger Ecke kamen BRAINHAMMER. Ihr ´Poisen´ entstammt einer lokalen Kompilation. Diese NWoBHM-lastige Nummer atmet den Zeitgeist von 1984, klingt aber dennoch ziemlich frisch. Warum immer nur jenseits des Kanals nach solchen Raritäten suchen? Wir haben auch hier einiges zu bieten.  Dass ECLIPSE OF THE SUN aus Straubing es nicht für Geld gemacht haben, also Musik, hört man ´We Don’t Do It For Money´ wohl an. Das war Musik, auf die die Jungs einfach Bock hatten. Die Kirchenorgel klingt übrigens mal richtig abgefahren geil. Mit ASMYRAH und ´Artificial Insemination´ gibt es sogar ein Beispiel frühen Death Metals. Was ich selten sage bei dieser Spielart, das Ding gefällt mir. Genau wie das eingängige ´In The Night´ der Melodic Rocker MASH MALLOW.Dass mit ECONOMIST auch eine von Neudis Bands auftaucht, war fast zu erwarten. Dabei braucht der Re-Release dieser Band, der kürzlich beim gleichen Label erfolgte keine Cross Promotion.

SQUADRON aus Esslingen sind Futter für Fans von eher epischen und kauzigen Klängen. ´No Heroes´ ist ein gutes Beispiel, dass hierzulande der Metal immer schon sehr vielfältig war. Aktuell gern immer wieder von vorn gehört, TUSH mit ´All Messed Up´. Dieser Song der Band aus Worms entstammt dem 88er Demo. 1991 haben sie es sogar zu einem Album gebracht. Hier sage ich mal ganz laut „Bitte, alles zugänglich machen!“ denn die Bachzitate im Gitarrensolo sind einfach geil, der ganze Soloteil eine Göttergabe. TUSH müssen sich sicher nicht vor ´Metal Heart´ verstecken. Für Doomster gibt es DAY OF RETRIBUTION. Deren ´All Your Sins´ ist ein starkes Pentagram-Cover. Hätte ich als solches nicht erkannt, aber ich fühle mich heftigst an The Obsessed erinnert. 1980 erschien ´Lady Of The Lake´ auf dem Debüt von LAKE PLACID. Die sind wohl wieder aktiv, da werde ich mal die Augen offenhalten.

Ich weiß nicht, wie ich ´Atomic War´ von MADHOUSE beschreiben soll. Eine Prise Thrash, eine Prise Bach, ganz viel Augenzwinkern und (warum auch immer) ein Walzer im Schnee. Das ist irgendwie die komödiantische Version des Weltuntergangs, ein musikalisches Pendant zu „Braindead“ – nur kürzer. Die erste CD wird beendet von einer bisher unveröffentlichten Nummer. Aus Ludwigshafen kamen 4TUNE. Laut Info im Booklet müssen die sich vor lauter musikalischen Experimenten schwer verzettelt haben. Schade, denn man hört viel Potential. Und die erste CD schon am Ende.

Zum Booklet kurz, macht es nicht Sinn, wenn man heimische Bands vorstellt, die (meist) in Vergessenheit geraten sind, könnte man ja auch das Begleitheft in deutsch halten. Ich glaube kaum, dass das Interesse wirklich international ist.

Natürlich hat auch der zweite Silberling seine Höhepunkte. STRETTA etwa, eine Thrash Band aus Hanau. Deren ´The Cup Of Reason´ hat einen leichten proggigen Einschlag. Mit viel Melodie passen sie doch gut in meine Beuteschema. Genau wie FRANZ K. Deren ´Rita B.´ ist wunderbarer Kraut Hard Rock. Und der Text heute noch aktuelle Konsumkritik.

Bei CARESS aus Bühl fällt besonders die wirklich gute Sängerin auf. ´Return Of The Beast´ gefällt mir besser als vieles von Warlock. Obwohl ich zehn Jahre in der NAchbarschaft gelebt habe, die Bielefelder STAINLESS STEEL sind mir nie untergekommen. Dabei ist ihr ´H. M. Bomber´ ein gutes Beispiel für rohen teutonischen Speed Metal. Eher melodisch ging es bei BLACKROSE aus Edenkoben in der schönen Pfalz zu. Entspannter AOR oder Melodic Rock, ´High Heeled Shoes´ funktioniert sicher auch bei einem örtlichen Weinfest.

Lars Niedereichholz, damaliger Keyboarder von FALCON PREY aus Oberursel bei Frankfurt, hat sich später einen Namen gemacht als Teil des Comedy-Duos Mundstuhl. Allerdings gefällt mir ´Danger´, eine Demotrack von 1986 weit besser, als das wenige, was ich von Mundstuhl kenne.  Die Speedster ANUBIS aus Schwäbisch Gmünd erinnern mit ´Pear Is Dull´ an Pyracanda. Und endlich hat es sogar einen Fund auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gegeben. Das Städtchen Hettstedt in Sachsen-Anhalt ist mir sogar bekannt, Familienkram halt. Dennoch kenne ich INFLUENCE nicht. Deren Thrash ist auch nicht sonderlich meine Baustelle. Deren Drummer René Jauernik allerdings ist mir nicht unbekannt, neben vielen anderen Bands spielt er aktuell auch bei Quasimodo und Depressive Age.

Mal abgesehen vom Schlußgag, dem unbekannten Song einer unbekannten Band in Proberaumqualität, ist dieses Doppel wirklich stark. Selbst nicht erwähnte Stücke sind von hoher Qualität. Selbst solche, die eigentlich nicht nach meinem Geschmack sind. Für Leute, die gern in der Geschichte graben und alte Bands neu entdecken wollen ist S&A Teil 4 fast schon essentiell.

Wie heißt es auf neudeutsch? Must have.

Mario Wolski vergibt keine Bewertung