STRANGER VISION
Titel: FAUST Act1: PRELUDE TO DARKNESS
Label: Wasteland Records
Spieldauer: 45:52 Minuten
VÖ: 08. November 2024
„(Ich bin) Ein Teil von jener Kraft, // Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“
Ich hatte erst eine Verbindung der Italiener STRANGER VISION zu einer vielgelobten Netflix-Serie vermutet, ehe ich feststellte, ich muss genauer lesen. Aber Ihr wisst ja: „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ Allerdings dreht sich die Serie ebenso um den Kampf von Gut und Böse.
Nach zwei Alben haben sich STRANGER VISION nun einem größeren Projekt gewidmet. Mit der neuen Scheibe beschäftigen sie sich mit Goethes Drama um den namensgebenden Gelehrten, der sich mit dem Leibhaftigen einlässt. Es liegt vielleicht sogar nahe, denn die Band stammt aus Modena. Dort findet sich eine der ältesten Universitäten des Landes. Wissen, dessen Erlangung und Nutzung dürfte also für die vier genau so ein Thema sein, wie für Goethes „Faust“. Ich vermute, jeder hat in seiner Schulzeit sich mit diesem Thema befassen müssen. Da kann ich mich wohl direkt dem musikalischen Inhalt zuwenden.
Nach einem ´Prologue in Heaven´, einem hollywoodreifen sinfonischen Intro, startet das rasant thrashige ´Strive´. Auf druckvollem Riffing finden sich der kraftvolle aber sehr melodische Gesang. Da passt alles, jedes Break, die Soli, bis hin zum Ende. Darauf folgt ´Nothing Really Matters´. Hopple, denke ich, der klingt aber schon heftig nach James LaBrie. „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.“ Der Groschen fällt aber schnell. „Das also war des Pudels Kern!“ Es ist der Vokalist von Dream Theater, der hier als Gast zu hören ist. Und ich gestehe, diese Nummer hätte auf den letzten Alben seiner Band wirklich bella Figura gemacht.
Dabei haben STRANGER VISION mit DT eher weniger zu tun. Ihre Songs sind kürzer, kompakter. Es wird weniger gefrickelt, auch wenn das instrumentale Niveau ebenso hoch ist. Der Gesang ist insgesamt etwas rauer. Manchmal erinnert er an John Oliva. Noch eher aber denkt man immer wieder an Symphony X. Da sind wirklich ähnliche Wurzeln vorhanden. Auch an frühere Blind Guardian darf sich der geneigte Hörer gemahnt fühlen, als sie noch nicht ihre Nächte in der Oper verbracht haben. „Uns ist ganz kannibalisch wohl, // Als wie fünfhundert Säuen!“, zumindest mir geht es beim Hören so. Insgesamt ist diese Faustiade sogar noch etwas stärker als der Vorgänger ´Wasteland´, der allerdings mit einer längeren Gästeliste aufwartet.
Eigentlich brauche ich diese ganzen Zwischenspiele nicht. Auf „Faust Act1“ aber machen sie Sinn. Sie verbinden Szenerien und Gedankengänge, sind Atempausen und bringen Stimmungen und malen Bilder. Viel wichtiger aber sind die energiegeladenen Songs, die ganz ohne unnützem Pomp ums Eck kommen. So sind STRANGER VISION weit spannender als die ganzen Rhapsody-Clones der letzten Jahre. Und wenn Ihr meint: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“? Geht hin, leiht der Band ein Ohr. Und am Ende, wenn Ihr überzeugt seid, es ist bekannt. „Denn was man schwarz auf weiß besitzt, // Kann man getrost nach Hause tragen.“ Oder eben auf einen Tonträger gepresst.
Ein verwendetes Zitat entstammt nicht Goethes Faust. Mal schauen, ob jemand weiß, woher dieses stammt…
Mario Wolski vergibt 9 von 10 Punkten