SPOCK'S BEARD
Titel: THE ARCHAEOPTIMIST
Label: Madfish/Edel
Spieldauer: 61:01 Minuten
VÖ: 21. November 2025
Alte Liebe rostet nicht. Sagt man. Aber Liebe verändert sich. So würde ich SPOCK’S BEARD als eine große Liebe von mir bezeichnen. Allerdings mit schwierigem Verlauf. Mit „Beware Of Darkness“ habe ich sie kennengelernt. In der Bochumer Zeche in der Kneipe sass die Band einmal essend am Nebentisch. So ist erwähntes Album nicht nur mein immer noch liebstes, es ist auch eine der ganz wenigen CDs, die ich mit Autogrammen veredeln lassen habe. Bis zum fünften Album war ich regelmäßig auf Tour dabei. „Snow“ fand ich schon etwas überambitioniert. Wenn ich mit Leuten über Musik spreche, sie genauer wissen wollen, was ich mag, spiele ich ´The Doorway´. Spiele ich ´June´.
Und dann war Neal Morse plötzlich raus. Die Nick d’Virgilio Ära am Mikro folgte. Schon mit „Feel Euphoria“ wurden manche Songs irgendwie austauschbarer, flacher. Dann kam plötzlich „Brief Nocturnes And Dreamless Sleep“. Plötzlich war die alte Liebe wieder warm. Die habe ich wieder in der Dauerschleife gehört. Dagegen war „The Oblivion Particle“ fast schon schwach. Die inflationäre Ausgabe von Livealben stört mich auch bei den traumtheatralischen Kollegen. Die kann man haben, muss man aber nicht. So habe ich irgendwie gar nicht damit gerechnet, dass ein neues Album mich so überzeugt.
Schon der Titel. Da kommt der Wortwitz der Band wieder durch. Und auf der kompletten Scheibe der musikalische Spielwitz. Es ist kaum zu glauben. Ich vermisse Neal Morse hier überhaupt nicht. Dennoch erinnert vieles an seine Zeiten. Sei es der Beginn mit ´Invisible´, dem chorischen Gesang und den klassischen Orgelsounds, die schon „Beware“ prägten. Daves Bass knöttert in der Magengrube wie eh und jeh. ´Electric Monk´ bedient die eher straighte Schiene der Band ehe der folgende Song die Gedanken-Reihe weiterführt. ´Afourthoughts´ holt den Hörer wieder in die Frühzeit der Band. Die Zeit, als sie jugendliche Frische mit musikalischer Reife paarte. Man könnte das selbstreferentiell nennen. Es ist es vielleicht sogar. Aber es weckt Gefühle. Es erinnert an Zeiten, wir unterwegs in die Zeche, ´Thoughts´ war da oft auf der Playlist. Die irrwitzigen Sounds werden hier zitiert. Die Gentle Giant Chöre schmeicheln sanft dem Ohr.
Will man bös, könnte man die Mucke von SPOCK’S BEARD als Musik für Lehrer und Gelehrte, Übersetzer und Schüler bezeichnen. Bezeichnend darum, dass der nächste Song dem Schutzpatron eben jener gewidmet ist. ´St. Jerome In The Wilderness´ ist klassisches SB-Futter, leicht proggig, leicht easy listening (im positiven Sinne). Glücklich machend. Der Löwe, ein bekannter Begleiter des Heiligen, ist hier bei weitem nicht so handzahm, wie in der Heiligenlegende.
Danach der Titelsong. 20-Minüter kennt man ja von den Bärten. Aber um ehrlich zu sein, an die Grandiosität eines ´The Light´ oder ´The Water´ reicht der ´Archaeoptimist´ nicht ganz heran. Das liegt vielleicht schon ein wenig daran, dass die einzelnen in sich gelungenen Teile des Epics nicht so genial miteinander verklammert zu sein scheinen, wie man es vom Banddebüt noch kennt. Vielleicht habe ich aber auch noch nicht alle Feinheiten entdeckt. Und ja, ich nörgel gerade auf verdammt hohem Niveau. Ein Niveau, das andere Bands wohl kaum erreichen. Für die BEARDS scheint es immer noch leicht zu sein. Zumindest klingt es leicht.
Da wird es fast zur Fußnote, dass ´Next Step´ so eine Art Doorway-Piano-Intro bekommen hat. Hier ist die Art des Musizierens der Truppe noch einmal auf den Punkt gebracht. „The Archaeoptimist“ ist nicht einfach nur eine Platte, eine CD. „The Archaeoptimist“ ist ein sechsgängiges Feinschmeckermenü. Nur die erlesensten Zutaten, nur die feinsten Gewürze. Da kann die Liebe wieder neu erblühen.
Mario Wolski vergibt 9 von 10 Punkten


