SENTRY – SENTRY

Sentry - Sentry

SENTRY

Titel: SENTRY

Label: HIGH ROLLER RECORDS

Spieldauer: 54:20 Minuten

VÖ: 1. März 2024

Wow, da isses! Das bereits seit fünf Jahren angekündigte und – zumindest in Underground-Kreisen – lang erwartete Debüt der Quasi-Manilla-Road-Nachfolger SENTRY. Das Album heißt der Einfachheit halber auch schlicht „Sentry“, hört und fühlt sich einfach saugeil an und übertrifft sogar meine eigenen hochgesteckten Erwartungen. „Sentry“ dürfte nicht nur eingefleischten Manilla-Roads-Anhängern, sondern auch allen gefallen, die mitreissenden Epik-Doom wie Grand Magus, Sorcerer oder Candlemass und/oder kraftvoll-kauzigen US-Metal von Bands wie Cirith Ungol über Omen bis hin zu Sanctuary/Nevermore abfeiern. Und auch Fans von neueren Epic-Metal-Hoffnungen wie Visigoth, Eternal Champion oder Gatekeeper sollten unbedingt ein Ohr riskieren.

Das Erbe von Manilla Road

Letzten Endes sind SENTRY imho der einzig legitime Nachfolger der  Ende der 70er gegründeten – immer etwas kauzigen und umstrittenen, zuletzt aber erfreulicherweise immer mehr gewürdigten – Kultband Manilla Road. Nach dem überraschenden Tod von Bandleader, Sänger und Gitarrist Mark Shelton – direkt nach einem grandiosen und umjubelten Auftritt beim 2018er Headbangers Open Air – gab es beim 2019er Keep It True Festival eine legendäre und tränentreibende Manilla-Road-Tribute-Show mit zahlreichen Gastmusikern. Und genau unter diesen Umständen und Freundschaften entstand 2019 auch die Idee, die Musik und den Spirit von Mark Shelton bzw. Manilla Road unter neuem Bandnamen gemeinsam zu würdigen und weiterzutragen.

SENTRY – die Band

SENTRY bestehen dementsprechend zu drei Vierteln aus der letzten Manilla-Road-Besetzung, nämlich Sänger Bryan „Hellroadie“ Patrick (seit dem 2001er „Atlantis Rising“ an Bord), Andreas „Neudi“ Neuderth (seit dem 2013er „Mysterium“ an den Drums), sowie Bassist Phil Ross, der erst zum letzten Studioalbum „To Kill A King“ zur Band gestossen war. Vierter und einzig „Neuer“ im Bunde ist Neudis langjähriger Weggefährte Kalli Goldsmith, der mit ihm auch schon bei Roxxcalibur, Jameson Raid, Trance, Griffin, Savage Grace und den Masters Of Disguise Bühne und/oder Studio geteilt hat und schon als Gastgitarrist beim Manilla-Road-Tribute dabei war.

Prinzipiell atmet die Band (glücklicherweise) weiterhin diesen gewissen Manilla-Road-Spirit, ist aber weit von einer schnöden „Tribute-Band“ entfernt. Während auf den meisten Manilla-Road-Alben immer mal wieder 70er-Hardrock- und Proto-Metal-Einflüsse inkl. unorthodoxer bis kauziger Passagen und Songstrukturen auszumachen waren, gehen SENTRY nämlich insgesamt (auch produktionstechnisch) etwas eingängiger und „metallischer“ zu Werke. Den durch den Tod von Mark Shelton zweifellos verlorenen Kult- und Kauzfaktor macht die Band mit umso schlüssigeren, mächtigen und durch die Bank spannenden Songs tatsächlich mehr als wett.

SENTRY – das Album

Die Scheibe startet mit dem kurzen, hitverdächtigen Uptempo-Opener ‚Dark Matter‘, der für mich wie eine Hommage an die straight(er)en Manilla-Road-Songs der 80er Jahre (allen voran natürlich das kultige „Necropolis“) im zeitgemäßen Gewand rüberkommt. Geiler Albumeinstand: Hier kann ich mir bereits bildlich vorstellen, wie im Publikum abwechselnd die Mähnen geschüttelt, Fists geraist und imaginäre Drumsticks gewirbelt werden.

Mit den folgenden fünf- bis siebenminütigen Highlights  ‚The Haunting‘, ‚Heavensent‘, ‚Valkyries (Raise The Hammers)‘, ‚Black Candles‘ und ‚Raven’s Night‘ überzeugen Sentry danach einfach komplett mit einer tollen – gleichzeitig homogenen wie abwechslungsreichen – Mischung aus mitreissendem klassischem Doom und dramatischem Epic Metal, der sogar stärker an die Schweden Sorcerer und alte Candlemass als an Manilla Road erinnert. Zusätzlich erinnern Songs wie ‚Valkyries‘ und  die obergeile Halbballade ‚Raven’s Night‘ sowohl gesags – als auch songtechnisch ein wenig an melancholische Sanctuary und Nevermore.

Gerade Sänger Bryan Patrick liefert hier die mit Abstand beste, souveränste und variabelste Gesangsleistung seines Lebens ab und zeigt erstmals in vollem Umfang, was er alles drauf hat. Überzeugt gesanglich mit einer Mischung aus Johan Langquist (Candlemass), Anders Egberg (Sorcerer) und gerade bei Songs wie ‚Valkyries‘ und dem fantatischen ‚Raven’s Night‘ auch Warrel Dane (R.I.P.).

Dass Bryan Patrick auch noch passabel growlen kann, hat er bei Manilla Road früher schon hin und wieder (vor allem z. B. beim Album „Voyager“ 2008) bewiesen. Mit dem Death-Metal-lastigen ‚Awakening‘ sorgen Sentry ebenfalls für einen kleinen stilistischen Ausreisser bzw. für eine coole Abwechslung mittendrin.

Einen härtetechnischen Gegenpunkt bildet als LP-Ausklang die Ballade ‚Funeral‘, die bis auf eine kurze Eskalation zum Schluss nahezu vollständig ohne Drums oder verzerrte Gitarren auskommt. Wirkt auf mich wie eine melancholisch-düstere Doomversion von „Scarborough Fair“.

Käufer der CD-Version können sich danach noch an einer gelungenen Cover-Version des Candlemass-Klassikers ‚Incarnation Of Evil‘ (Ancient Dreams, 1988) erfreuen, die noch einmal die Einflüsse des regulären Albums bestätigt. Super gemacht, für Vinyl-Fans aber jetzt auch kein Versäumnis.

Fazit

Auch wenn es mir in Ehren an Mark Shelton im Herzen wehtut: „Sentry“ reisst mich in seiner Gesamtheit tatsächlich mehr mit als jedes (und definitiv nie schlechtes) Manilla-Road-Album der letzten zwanzig Jahre. SENTRY agieren vielleicht nicht origineller/einzigartiger, vor allem sound- und songtechnisch etwas eingängiger und geradliniger – und ja, vielleicht auch „mainstream-mäßiger“ – als frühere Manilla Road.

Wären einige Songs schon in den 80ern oder spätestens Anfang der 90er geschrieben worden, hätte das Album heutzutage wohl schon Kultstatus. Warum keine höhere Punktzahl? Na, wir wollen der Band doch noch ein wenig Luft nach oben und Anreiz für’s nächste Album geben… 😉

Joe Nollek vergibt 9 von 10 Punkten