SCALD
Titel: ANCIENT DOOM METAL
Label: High Roller Records
Spieldauer: 50:40 Minuten
VÖ: 26. Juli 2024
Eins vorweg. Schon immer hege ich eine kleine Liebe für russische Musik, Kunst und Kultur. Repin, Tschaikowski, oder die Hexe Baba Yaga in den alten sowjetischen Märchenfilmen, wunderbar gespielt von Georgi Franzewitsch Miljar sind nur ein paar Beispiele. Eine Vermutung allerdings hege ich. Die Saporoscher Kosaken aus dem berühmten Bild von Repin würden ihren Brief heute an den Kreml adressieren und nicht an den türkischen Sultan.
Die Situation russischer Kunst- und Kulturschaffender vermag ich mir nicht vorzustellen. Wie nahe geht man ans System, oder kann man kritische Töne einbringen. Zum einen ist das rigide System im eigenen Land, das mit heftigen Strafen um sich wirft, bei kleinsten Widerworten. Dazu kommen die Folgen westlicher Sanktionen. Mal eben eine Tour durch Europa, das dürfte kaum möglich sein. Hand aufs Herz, ich frage mich schon, wie sich ein Künstler in der Welt positioniert. SCALD lassen ich aber vermuten, ein wenig auch westlich orientiert zu sein. Das schon, weil sie ja einen chilenischen Sänger an Bord haben.
Gegründet wurden SCALD 1993 in Jaroslawl, einer alten Stadt an der Wolga. Der klassische Weg folgte. Ein Demo und vor allem ein ikonisches Debütalbum unter dem Titel „Will Of Gods Is A Great Power“ machten sie bekannt, daheim und in der weiten, weiten Welt. Beeinflußt von Bathory, Manowar und Candlemass gilt es als eines der wichtigsten Alben des Genres. Die hoffnungsvolle Karriere fand mit dem Tode des Sängers Agyl bei einem Bahnunfall am 06. September 1996 ein jähes Ende. Der Kult blieb. SO konnten sie überzeugt werden mit einem Ersatzsänger beim Hammer Of Doom 2019 aufzutreten. Dieser Sänger ist Felipe Plaza Kutzbach (Capilla Ardiente) mit dem sie so reüssierten, dass beschlossen wurde weiterzumachen. Neben Felipe gehören zu SCALD Harald (Gitarre), Karry (Gitarre), Velingor (Bass) und Ottar (Drums). 2021 erschien eine EP, der jetzt endlich ein Langspieler folgt.
Ich mag Doom am liebsten, wenn er stet und kraftvoll fließt. Oft hält ja das Bild der Lava als Vergleich her. Ich denke aber auch an einen Fluß. Ein Strom wie der Rhein, die Donau oder eben die Wolga, er mag still aussehen bei einer gewissen Breite. Doch in der Tiefe steckt die Kraft, die alles mitreißt. Tonnen von Sand und Geröll, die ins Meer gespült werden. Dieses Material lagert sich ab, Deltas bilden sich. Auch so formt Wasser die Landschaft. Wie auch der Nil, eine Lebensader, dessen regelmäßige Überschwemmungen dafür sorgten, dass der Boden an seinem Ufer immer besonders fruchtbar war.
Eine ähnliche Macht spreche ich dem Doom von Scald zu. Wuchtig und imposant wälzen sich ihre Riffs durch den Raum. So wie einst die Waräger, eine Teilgruppe der Wikinger, über die Flüsse die Weiten Russlands besiedelten und eroberten, ihre Stadtgründungen sind eine Wurzel des heutigen Reiches, so bohrt sich der „Ancient Doom Metal“ in mein Hirn und mein Herz. Obwohl Doom ja oft als besonders düster und hoffnungslos gilt, fällt mir auf, wie lebensbejahend viele Passagen hier klingen. Man höre einfach mal den Anfang von ´The Master Of The Lake´. Da geht doch die Sonne auf. Der Gesang Felipes tut ein Übriges. Manchmal erinnert er hier an den (für mich) besten Sänger von Black Sabbath, Tony Martin. Diese Stimme, diese Melodien!
Damit erzählen SCALD Geschichten und Legenden aus nordischen, slawischen und finnischen Welten, die sich über die Handelswege schon vor tausend Jahren in der Heimatstadt der Band begegnet sind. Von übermäßigem Nationalismus keine Spur, vielmehr geht es um das Leben, und seine Fährnisse. Doch die wahren epischen Momente liefert die Musik. Breit fließend, energisch und mitreißend, voller Kraft, majestätisch gar. SCALD nehmen an die Hand für eine Reise in eine andere Zeit, eine andere Welt. Das mag auch eskapistisch sein. Vor allem aber ist es schön.
Und ich weiß wieder, warum ich meist die langsameren Spielarten der Musik bevorzuge. Schnell ist eben doch nicht immer mächtig.
Mario Wolski vergibt 9,5 von 10 Punkten