NIGHTWISH – YESTERWYNDE

NIGHTWISH

Titel: YESTERWYNDE

Label: NUCLEAR BLAST RECORDS

Spieldauer: 71:14 Minuten

VÖ: 20. September 2024

Über zehn Millionen verkaufte Platten, mehr als 60 Gold- und Platin-Auszeichnungen, sechs Nummer-1-Alben und 13 Nummer-1-Singles sprechen für sich: NIGHTWISH stellen weiterhin die weltweite Speerspitze des Symphonic Metal dar. 2020 erschien ihr aktueller “Human. :II: Nature“ Dreher, welcher sowohl in Finnland als auch Deutschland Platz 1 belegte. Nun wird es nach dreijähriger Entstehungszeit also Zeit für den Nachfolger: “Yesterwynde“.

Voller Erwartungen auf das, was kommt, beginnt das cinematische Intro und gleichzeitige Titelstück mit einem mechanischen Geräusch, das ich als den Start eines alten Filmprojektors zu identifizieren meine, und sobald die ersten Töne von Floor Jansens Stimme, die man vermutlich aus hunderten heraushören könnte, ertönen, läuft mir ein wohlig warmer Schauer über den Rücken.

Und schnell wird deutlich, dass sich NIGHTWISH nach wie vor dem bombastischen, ausgereiften Symphonic Metal verschrieben haben. Es folgen elf neue Kompositionen, die noch ausgefeilter und ein wenig progressiver, gleichzeitig düster und erhebend, nennen wir es geheimnisvoll und versonnen, daherkommen als zuvor. Mastermind Tuomas Holopainen hat sich ein wenig weg von den Naturthemen mehr dem Menschen zugewandt.

So handelt die großartige, chorlastige Vorabsingle `The Day Of…´ beispielsweise von öffentlicher Angst- und Panikmache, während das grandiose, ein wenig elektronisch angehauchte `The Children Of ‚Ata´ von der wahren Geschichte von sechs Jugendlichen von der Insel Tonga, die auf der unbewohnten Insel Ata strandeten und dort gemeinsam fünfzehn Monate überlebten, berichtet. Sänger aus dem polynesischen Inselstaat übernehmen dann übrigens auch Teile des Gesangs des Stücks. Das ebenfalls vorab veröffentlichte `The Antikythera Mechanism´ schließlich thematisiert eine bereits im antiken Griechenland gebaute Maschine, die man aus heutiger Sicht mit Fug und Recht als den ersten analogen Computer bezeichnen kann.

Stücke wie die überlange Auskopplung `An Ocean Of Strange Islands´ oder das ein wenig düstere und mächtig riffende `Something Whispered Follow Me´ brauchen ihre Zeit und die ausladenden Arrangements und unterschiedlichen Sequenzen gehen nicht immer unmittelbar ins Ohr. Dafür gibt es aber immer wieder viel Neues zu entdecken und man kann heraushören mit wie viel Liebe zum Detail hier wieder einmal gearbeitet wurde.

Doch es gibt sie auch hier, die typischen eingängigen, mitreißenden NIGHTWISH Songs, neben den bereits genannten drei Vorabsingles `The Day Of…´, `The Children Of `Ata´ und `The Antikythera Mechanism´ ist da vor allem der symphonische Mega-Ohrwurm `Perfume Of The Timeless´ zu nennen.

Wie auch live wird Troy Donockley nun auch auf Platte zum heimlichen Star und unverzichtbaren Puzzleteil der Band. Denn nicht nur als Multiinstrumentalist, der den irischen Dudeksack, die Low Whistle (Schnabelflöte), akustische und elektrischen Gitarren, Bouzouki, Bodhrán (irische Rahmentrommel) und Aerophon bedient, hat er seine Meriten verdient. Nach dem Ausstieg von Marko Hietala ist er auch der einzig verbliebene Vokalpartner für Floor Jansen, der mit seiner Stimme Duette wie das verträumte, folkig-akustische `Sway´ und das balladeske `Hiraeth´ bereichert.

Schließlich gefällt auch das mysteriöse `Spider Silk´ und in `The Weave´ werden wuchtige Gitarren, üppige Synthieklänge und ein majestätisches Orchester zu einem packenden Track verwoben, bevor die Platte mit der zarten Streicherballade `Lanternlight´ und dem Verstummen des Filmvorführautomaten endet.

NIGHTWISH folgen konsequent ihrer künstlerischen Linie und haben ein starkes Album vorgelegt, dass jedoch bei allem Herzblut, allem musikalischen Können und aller Pracht einige Durchläufe benötigt und dessen komplexe Songstrukturen und die manchmal ein wenig fehlende Eingängigkeit zum “Problem” werden könnten. Den Stellenwert der Scheibe in der Diskographie der Band wird wohl erst der Test der Zeit erweisen. Einige Kandidaten für die Setliste, wenn die Touraktivitäten der momentan eine Live-Pause einlegenden Band wieder starten, sind aber zweifelsohne auf “Yesterwynde” zu finden.

Michael Gaspar vergibt 8 von 10 Punkten