Various Artists
Titel: MURDER IN THE FRONT ROW: THE SAN FRANCISCO BAY AREA THRASH METAL STORY - A DOCUMENTARY FILM
Label: MVD VISUAL
Spieldauer: 91:46 Minuten
Während ich diese Rezension schreibe, höre ich stilecht „Bonded By Blood“. Das neben „Reign In Blood“ fraglos beste reinrassige Thrash Metal-Album aller Zeiten (und für alle Zeiten) ist der heimliche Star dieser Dokumentation, auch wenn Regisseur Adam Dubin in der ersten halbe Stunden den Fokus auf Metallica und deren Umzug aus der „Poserhochburg“ Los Angeles nach San Francisco legt. Exodus‘ Debut war, wie die Buchautoren Harald Oimoen und Brian Lew wohl unumstößlich nachgewiesen haben, in vielerlei Hinsicht der Kulminationspunkt der ersten „höher, SCHNELLER, weiter“ strebenden Thrash-Welle zwischen 1983 und 1985, kam aber zu spät, um auch kommerziell noch echte Wellen zu schlagen. Anstelle der „verlorenen Söhne“ um Lars Ulrich, die schon früh um die Welt reisten und ihr erstes Album ausgerechnet (mit jüngst von Exodus abgeworbenem Gitarristen…) an der Ostküste aufgenommen hatten, waren Gary Holt & Co. vor Ort für viele Fans der Bay Area Szene die wahren Identifikationsfiguren, deren „Bonded By Blood“ Mitte der 80er ihre wahren Gefühle widerspiegelte: „it captured that youthful angst and anger,“ wie Brian Lew es auf den Punkt bringt.
Kennt man Lews und Oimoens Buch bzw. diverse andere wie Matt Taylors „Master Of Puppets“-Schinken oder Mick Walls Metallica-Biographie, kennt man auch den (strikt chronologischen) Plot dieser Doku: aus dem LA der frühen 80er mit Protagonisten wie insbesondere Kirk Hammett, Ulrich, James Hetfield und Brian Slagel geht es nach San Francisco mit seiner lebhaften Clubszene (The Stone), wo die Szene schließlich explodierte und in Metallicas Homebase in El Cerrito sowie insbesondere dem Auftritt der Lokalhelden auf dem legendären „Day On The Green“ am 31. August 1985 kulminierte. Verräterisch auch die Auslassungen in der Story: dass Metallica z. B. ein Album namens „Ride The Lightning“ aufnahmen, wird nicht einmal erwähnt – solche Lücken entlarven „Murder In The Front Row“ als Nischenprodukt für Eingeweihte. Basierend auf einigen rudimentären soziopolitischen Betrachtungen versucht man vielmehr zu erklären, warum die Jugend gerade in dieser Zeit eine derartige Aggression entwickeln und schließlich kanalisieren konnte. Aber auch wenn „Murder In The Front Row“ nicht wirklich viele Neuigkeiten ans Tageslicht zerrt, so liegt der Wert der ästhetisch ansprechend in Szene gesetzten Dokumentation neben der puren Nostalgie und all dem Recycling doch auch darin, viele Zeitzeugen wie Ron Quintana als greifbare Charaktere vor die Kamera gezerrt und so ins Bild gerückt zu haben. Aber auch weniger bekannte Protagonisten wie der Promoter Wes Robinson, der das Ruthie’s Inn (von Gary Holt und Exodus-Schlagzeuger Tom Hunting am Originalschauplatz vorgestellt) als Promoter betreute, oder „Thrash Metal Mom“ Debbie Abono finden Gehör und werden als Triebfedern im Hintergrund des Schmelztiegels gewürdigt.
Neben dem genannten Personal kommen wenig überraschend die üblichen Verdächtigen wie Kerry King, Alex Skolnick, Chuck Billy, Phil Demmel, Robb Flynn, Larry Lalonde, Mark Osegueda, Dave Mustaine (seine zur Genüge ausgebreitete Fehde mit Metallica wird zum Glück nur am Rande behandelt), André Verhuysen und, ja, ein in ein frühes Metallica-Shirt gequetschter Alex Gernandt (den der als Szeneoriginal hinreichend gewürdigte Paul Baloff bei Gelegenheit später wohl standrechtlich exekutiert hätte) zu Wort. Neben den kleinen (aber nicht wirklich erhellenden oder gar neuen Ankedoten) gefallen die emotionaleren Momente, etwa wenn Cliff Burtons Vater sowie seine ehemalige Lebensgefährtin sich erinnern oder aber Holt und Hunting an Baloffs Grab kurz sentimental werden dürfen. Interessant auch, dass die ex-Freundin des Exodus-Shouters, dereinst Autorin diverser „Kill Posers“-Comics, inzwischen als Nuklearwissenschaftlerin ihr Unwesen treibt… Was jedoch die Vorstellung des Metal Allegiance-Projekts am Ende an wirklichem Erkenntnisgewinn bringen soll (als echtes Szeneprodukt dürfte dieses wohl kaum durchgehen), bleibt schleierhaft; diesbezüglich sind die frühen inzestuösen Züge der Szene wie etwa Kerry Kings Intermezzo bei Megadeth deutlich erhellender. Zudem bedarf natürlich jede Story eines Helden, jedoch hätte ich mir nichtsdestrotrotz eine Nische für weniger bekannte Bands der Zeit gewünscht: warum etwa war die Szene in San Francisco auch musikalisch soviel radikaler als in LA, und welchen Einfluss hatten Bands wie Trauma auf diesen Umstand?
Kritische Stimmen gibt es auch nicht: „Murder In The Front Row“ glorifiziert eine offensichtlich nicht zuletzt recht gewalttätige und (selbst-)zerstörerische Szene. Lediglich der Verweis auf Bill Grahams Zurechtweisung Hetfields nach dessen After Show-Eskapaden auf dem „Day On The Green“ mag als leiser Zwischenruf durchgehen, aber auch dieser löst sich hier schließlich in hetfieldschem Gebelle auf; diesbezüglich leisten Ulrichs Kommentare in Taylors Buch für den kritischen Leser zumindest sporadisch mehr. Dementsprechend geht „Murder In The Front Row“ nicht als wirklich ausgewogene Dokumentation der Ursprünge eines Subgenres durch (Dubin wird wohl auch in seinen Beiträgen zur Deluxe Edition des Black Albums nicht als Enthüllungsjournalist tätig werden). Vielmehr bietet es auf Spielfilmlänge gute Unterhaltung für eh schon gewogene Metalfans, die sich der eigenen Leidenschaft be- und gesinnungslos hingeben wollen. Das darf natürlich auch mal sein, manchmal wünschte man sich von einem solchen Projekt jedoch etwas mehr Reflexion. Hammett am Ende in reiner Nostalgie den Tränen Preis zu geben geht als solche wahrlich nicht durch.
Die mir vorliegende Version bietet als three panel-DVD-Digipack im Pappschuber eine ansprechende und authentisch-old schoolige Optik mit zahlreichen Fotos im Innencover, einem Sticker und zwei coolen Postern. Auf dem Backcover des Pappschubers fällt allerdings gleich im ersten Promo-Zitat ein heftiger Tippfehler auf. An Extras bietet die DVD 28 mitunter recht amüsante, kurze Features, etwa zu „Kerry King’s spikes“ (auch die in der Doku enthaltenen sarkastischen Kommentare zu den Eyelinern auf dem Backcover zu „Show No Mercy“ regen zum Schmunzeln an).
„Bonded By Blond“ ist jetzt auch vorbei. Schnell „Kill ‚Em All“ reingeworfen… Manchmal ist Nostalgie ja auch schön.
Patrick Müller vergibt 7,5 von 10 Punkten