LEAVES´ EYES – MYTHS OF FATE

LEAVES´ EYES

Titel: MYTHS OF FATE

Label: AFM RECORDS

Spieldauer: 49:52 Minuten

VÖ: 22. März 2024

Für ein gutes, packendes Metalalbum ist es im Grundsatz nicht nötig, tiefgründige Texte zu haben und/oder einen großen thematischen Bogen zu spannen. So können auch spaßige oder weniger tiefschürfende Texte zum Erfolg führen.

Und doch sind solche Alben immer besonders nachhaltig und beeindruckend, die einen thematischen roten Faden haben, welcher die einzelnen Songs verbindet und/oder die jeder für sich eine ganz eigene Geschichte zu erzählen haben. Und hier ist nicht unbedingt von einem Konzeptalbum die Rede. Und klar ist auch, dass die Inhalte und Lyrics eine musikalisch fragwürdige Platte nicht retten.

Aber wenn beide Aspekte zusammenkommen und so in perfekter Weise und Ausführung harmonieren wie beim LEAVES´ EYES und ihrem neunten Studiolangdreher, dann kommt ein ganz besonderer, lange nachwirkender Silberling dabei heraus.

Die deutschen Symphonic Metaller feiern ihr 20-jähriges Bestehen mit dem kraftvoll-epischen „Myths Of Fate“, auf dem sie einmal mehr auf beeindruckende Weise ihren eigenen musikalischen Hybriden mit der Verschmelzung von Elementen aus Folk/Viking, Gothic und Melodic Death Metal sowie klassischer Musik zu einem fesselnden klanglichen Meisterwerk vereinen.

Dabei gilt: „Die fantastische Sagenwelt der nordischen und osteuropäischen Mythologie ist der Schauplatz für monumentale Unterhaltung.“ Angeführt von Mastermind Alexander Krull (Gesang, Songwriting, Produktion), der das lyrische Konzept entworfen hat, entführt der Fünfer uns in „eine Welt voller magischer Orte, verzauberter Waffen oder übernatürlicher Kreaturen“.

Die klassisch ausgebildete Sopranstimme der finnischen Frontfrau Elina Siirala steht im Kontrast zu Krulls harshen Vocals und den schweren Gitarren von Micki Richter und Luc Gebhardt, während Joris Nijenhuis das Schlagzeug bearbeitet.

Der Eröffnungstrack `Forged By Fire´ erweckt das magische, von gefangenen Zwergen geschmiedete und verfluchte Schwert von Tyrfing in einem bombastischen Double-Bass-Gewitter, zum Leben, das bereits deutlich macht, dass LEAVES´ EYES neben ihren mitreißenden Kompositionen dabei sind, vor allem auch das gesangliche Zusammenspiel zwischen Siiralas Sopran und Krulls Growls zu perfektionieren.

Die mittelalterliche Hymne `Realm Of Dark Waves´ führt in die Tiefen des Ozeans zu Rán, der Göttin des Meeres, und Ægir und der bombastische Banger mit seinem eingängigen Arrangement und großartigem Chorus ist schlicht und einfach einer der besten Symphonic Metal Songs, die ich je gehört habe.

Ein wenig andere, atmosphärische, zurückgenommene Töne schlägt `Who Wants To Live Forever´ über Iðunn an, eine weitere rockig-orchestrale Hitsingle des Albums, so emotional, intensiv und fesselnd wie die nordische Göttin der Jugend und Unsterblichkeit selbst.

Packende Smasher wie `Hammer Of The Gods´ und `Fear The Serpent´ legen noch einen Zahn zu und bieten klangliches, bombastisches Metal Entertainment aus dem obersten Regal. Ebenso der hymnische Powertrack `Sons Of Triglav´, im Studio von „echten“, authentischen Wikingerrufen und traditionellen Hörnern einer Reenactment-Gruppe untermalt, der über den dreiköpfigen Gott und sein Vermächtnis erzählt und uns somit in die slawische Mythologie entführt.

Die ausgereiften Arrangments mit mitreißenden Riffs, schicken Melodien, packenden Growls und die überragende Gesangsleistung der „Kriegerkönigin“ Elina Siirala machen diese wuchtigen Metalhymnen aus. Stellt Euch eine kraftstrotzende Kreuzung aus Amon Amarth, Nightwish und Manowar Chören vor – mehr Bombast, Power und Majestät ist kaum noch möglich.

Apropos Gesang: egal, ob die melancholische, akustische Ballade `Goddes Of The Night´, mysteriös und geheimnisvoll beim langsamen `Elder Sprit´ oder zart und persönlich beim von ihr selbst geschriebenen `In Eternity´, inspiriert von Alexanders verstorbener Mutter: die Sängerin brilliert und bedient die gesamte musikalische und emotionale Klaviatur meisterhaft und scheinbar spielerisch leicht.

Weitere Highlights sind das kämpferisch stampfende `Einherjar´ über die gefallenen Krieger, die von den Walküren vom Schlachtfeld zum Heervater Odin nach Walhall geführt werden, sowie der treibende, stimmungsvolle Schlusspunkt `Sail With The Dead´.

Für den glasklaren Sound sorgt Sänger Alexander Krull auf dem Produzentenstuhl einmal mehr selbst und US-Multitalent und Pyramaze Keyboarder Jonah Weingarten steuert den beeindruckenden orchestralen Score bei. Darüber hinaus sorgen Lea-Sophie Fischer (Eluveitie) an der Geige und Thomas Roths mit seiner mittelalterlichen Nyckelharpa für mystische Klänge auf „Myths Of Fate“.

Hinzu kommt, dass die Band die Wirkung ihrer fesselnden Geschichten mit optischen und multimedialen Aspekten wie an beeindruckenden Schauplätzen in Island, Deutschland und Polen gedrehten Musikvideos, ihr Engagement in der Wikingergesellschaft, ihre aufwändige Bühnenpräsentation bis hin zum abendfüllenden Dokumentarfilm „Viking Spirit“ (2020), verstärkt.

Einmal mehr haben LEAVES´ EYES einen ausgereiften, kurzweiligen Silberling erschaffen, der vor Lebendigkeit, Kreativität und Atmosphäre förmlich zu bersten droht. Und wenn dem Rezensenten aber mal so gar nichts einfällt, was man hätte besser oder anders machen können, dann darf und muss auch mal die Höchstnote erlaubt sein!

Michael Gaspar vergibt 10 von 10 Punkten