KINGS WINTER
Titel: EDGE OF EXISTENCE
Label: Eigenvertrieb
Spieldauer: 38:45 Minuten
“Edge Of Existence“ ist der erste Longplayer von KINGS WINTER aus dem schönen Sauerland. Das Ehepaar Jule und Tobias Dahs wildern hier, unterstützt von Drummer Marco Vanga, neben ihrer eigentlichen Hauptband Living Abyss, bei der sich alles um progressiven Melodic Death dreht, in den etwas softeren Gefilden des melodischen Heavy Metal. Dabei haben sie nicht etwa zu viel Game of thrones geschaut oder sich nach einer anderen Fantasy-Saga, sondern nach ihrer Heimat Königswinter, benannt.
Der flotte Opener und Titelsong gibt direkt einen guten Einblick in die vielseitigen Vocals von Frontfrau Jule, welche die gesamte Palette vom Klargesang über kraftvolle Rockröhre bis zu aggressiven Growls abdecken. Das folgende ‘Kingdom Of The Blind’ glänzt mit guter Gitarrenarbeit und einem sehr eingängigen Chorus. Wie man überhaupt sagen muss, dass die Arbeit der Rhythmussektion auf dem Album sehr beeindruckend ist. In den verschiedenen Melodielinien und Leads passiert enorm viel und was Gitarren und Bass da mit- und gegeneinander anstellen ist wirklich grandios und enorm abwechslungsreich. Die Vocals können da leider nicht ganz mithalten, sind aber andererseits oft auch zu leise und werden von den anderen Instrumenten übertönt. Schwer zu beurteilen, ob dies beabsichtigt, in der Produktion begründet oder der Qualität der vorliegenden mp3s geschuldet ist. Jedenfalls kommt Jule´s Stimme immer dann besonders gut zur Geltung, wenn die Begleitung reduziert und leise daherkommt, wie jeweils zu Beginn der beiden folgende Songs ‘Kingdom Of The Blind’ und ‘The Next In Line’. Wenn die Sängerin nur untermalt von leisen Bassklängen und Drums wie im ersten und lediglich mit Klavierbegleitung wie im zweiten Fall, loslegt sind kalte Schauer und Gänsehaut programmiert. Im letztgenannten Titel beschreibt sie zunächst mit leiser, beinahe zerbrechlicher Stimme Rassismus und Ausgrenzung im Allgemeinen und George Floyd´s tragischen Fall im Besonderen, nur um kurze Zeit später in aggressiven, fast wütenden Passagen eindringlich Gleichheit, gegenseitigen Respekt und ein Nicht-Wegschauen der Gesellschaft einzufordern.
Und da sind wir auch schon bei den hervorragenden Texten der beiden Protagonisten. Dabei dient die Instabilität und das Ungleichgewicht der Welt als lebender Organismus als große Überschrift. Im Folgenden geht es unter anderem um die Flüchtlingskrise und den Umweltschutz (‘The Human Dynasty’) und die Schattenseiten und Risiken der neuesten Technologien (‘Ghosts In This Machine’). ‘Crusaders Of Today’ beschäftigt sich mit Verschwörungstheorien und Fake News und ‘Dangerous Ascendancy’ hält der vermeintlichen Perfektion und dem Schönheitsideal der (un-)sozialen Medien den Spiegel der Realität vor. Dabei verfügen alle Songs über die genannten Trademarks der facettenreichen Stimme, der sehr guten Rhythmusarbeit und transportieren vielseitige Stimmungen und enorm viel Dynamik. Wie um das Gesagte zu bestätigen, geben KINGS WINTER im abschließenden ‘Discard The Ashes’ nochmal alles und kreieren mit seinem hymnischen Beginn, treibenden Riffs, tollem Solo und symphonischen Finale inklusive klassischen Vocals nochmal ein echtes Highlight. “Edge Of Existence“ ist somit eine tolle Scheibe mit langen, abwechslungsreichen Kompositionen und hochwertigen Lyrics, aber auch den genannten kleinen Schwächen was Sound und Teile der Vocals angeht, aber auch mit einigen Parts und Texten, die einem nach mehrmaligem Genuss nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen.
Michael Gaspar vergibt 8 von 10 Punkten