FATES WARNING – LONG DAY GOOD NIGHT

FATES WARNING

Titel: LONG DAY GOOD NIGHT

Label: METAL BLADE / SONY

Spieldauer: 72:24 Minuten

Über 72 Minuten neue Musik von einer Band wie FATES WARNING sind harter Tobak. Zumindest für Rezensenten. Das komplexe Songmaterial eines Jim Matheos zu analysieren ist dabei jedoch im Regelfall ebenso anstrengend wie erlabend, denn seine Musik spricht Intellekt wie Emotionen zu gleichen Maßen an. Um anno 2020 ein Album mit dreizehn Stücken (auf dem dreizehnten Album…) zu veröffentlichen, bedarf es allerdings eines gerüttelt Maß an Selbstvertrauen, zumal nicht wenige Songs auf „Long Day Good Night“ sehr zurückgenommen sind und mitunter geradezu meditativ wirken (das wunderbare „Under The Sun“, aber auch das sperrig instrumentierte „When Snow Falls“). Nicht, dass FATES WARNING in den letzten 30 Jahren durch übertriebenen metallischen Aktionismus aufgefallen wären, doch Matheos ist sich mehr wie die allermeisten Künstler bewusst, dass ein solcher Koloss der Durchdringung und genauen Planung bedarf.

Für die sonnigen Momente sorgt nicht selten der Wahl-Iberer Ray Alder (siehe obige Songtitel), und überhaupt setzt man uns hier sehr den Elementen aus: neben Sonne und Schnee kommt auch noch herbstlicher Regen zum Einsatz (der Hit „Now Comes The Rain“). Zu was Matheos an der elektrisch verstärkten noch imstande ist, zeigt allein schon das vorab vorgestellte „Scars“ – solche Riffs (höre auch „Shuttered World“) bringen das Blut des Prog-Metallers unweigerlich in Wallung. Jedoch: irgendwann holt selbst einen Könner wie Matheos der Fluch des langen Albums ein. Spätestens ab dem langatmigen, auf einem unspektakulären Riff basierenden „Begin Again“ will nicht mehr jede Songidee zünden. Stücke wie „Liar“ oder „Glass Houses“ wären auf vorigen Alben sicher durchs Raster gerauscht und locken im FATES WARNING-Kosmos spätestens seit „Parallels“ keine Supernovas mehr hinterm Ofen hervor, sondern allenfalls ein paar speckige Funken. Hier scheint anstelle der Durchdringung und Planung Zeitdruck der Berater gewesen zu sein. Auch die in heftige Metalriffs überführten Fusion-Gitarren in „The Longest Shadow Of The Day“ wünschte man sich etwas stringenter komponiert, es wird nicht ganz klar, wie die beiden Parts des Songs zusammenhängen.

Sollte der „Last Song“ tatsächlich das Ende dieser großartigen Band einläuten, würde verständlich, warum Matheos so darauf versessen schien, alle verfügbare Musik zu veröffentlichen. Der Homogenität von „Long Day Good Night“ hat dies nicht an allen Stellen gut getan. Ich bin mir sicher, dass auch jene, die „Long Day Good Night“ jetzt über den grünen Klee loben, in einigen Jahren, wenn sie sich für eines der 2000er Alben FATES WARNINGs erntscheiden müssen, weit eher zu „Darkness In A Different Light“ oder „Theories Of Flight“ greifen werden. Trotz der nicht eben seltenen großartigen Momente ist beispielsweise Ray Alders Soloalbum tatsächlich als Gesamtwerk ein Stück stringenter als „Long Day Good Night“.

 

Patrick Müller vergibt 8 von 10 Punkten