CHVE – KALVARIE

CHVE

Titel: KALVARIE (EP)

Label: RELAPSE RECORDS

Spieldauer: 15:42 Minuten

VÖ: 31.Mai 2024

CHVE (oder auch einfach Colin H. Van Eeckhout), besser bekannt als Stimme von Amenra, veröffentlicht am 31.05.2024 seine Solo EP „Kalvarie“. Für Colin stellen CHVE und Kalvarie die Möglichkeit völliger kreativer Freiheit dar: ohne jegliche Einschränkungen mit Klängen zu experimentieren und die Verletzlichkeit zu akzeptieren, die das Alleinsein mit sich bringt.  Zu finden ist auf dieser EP genau ein Track namens `Eternit`, der dafür aber auch knapp 16 Minuten dauert. „Kalvarie“ wurde von Amenras Bassisten Tim De GIeter aufgenommen und produziert, von Seth Manchester gemischt und von Matt Colton gemastert.

Ein interessantes Klangexperiment hat Eeckhout da geschaffen. Zu Beginn hört man drei Minuten davon erstmal nur Steine aneinander schlagen. Ich gebe zu: Ich wurde langsam etwas ungeduldig und legte das Ganze zur Seite: Nicht der richtige Zeitpunkt.

Erst am Abend und vor allem mit Kopfhörern versehen konnte ich mich auf diese Klangreise einlassen die, inspiriert von den Werken von Jean-Marie Massou (1950-1920), eine Mischung aus Wahnsinn und Genialität darstellt. Massou lebte 45 Jahre lang isoliert tief in einem Wald. Er verbrachte seine Tage damit unterirdische Gänge in Vorbereitung auf das Ende der Welt zu graben und er nahm seine eigene Stimme auf Kassetten auf. Er war Gegenstand des Dokumentarfilms „Le Plein Pays“ aus dem Jahr 2009, der sein faszinierendes Leben ans Licht brachte. Massous Arbeit mit den Steinen war es, die Colin dazu inspirierte diese anstelle traditioneller Perkussion zu verwenden. „Ich liebe die Vorstellung, dass dieser Mann in seiner eigenen Welt lebte […]“, sagt er. „Er hat sich entschieden, diese Musik zu singen und aufzunehmen, nur um es zu tun. Er hatte nicht vor, Alben aufzunehmen oder Shows zu spielen. Ich fand das schön: dass die Musik nur da war um sein Leben zu bereichern.“Erst mit den Kopfhörern fiel mir auch auf, dass der Sound der Steine zwischen meinen Ohren hin und her waberte. Interessantes Gefühl, das mir den Einstieg auch etwas einfacher gemacht hat. CHVE ist ja schon mit Amenra dafür bekannt eine durchaus rituell anmutende, atmosphärische Grundstimmung aufzubauen. Auf Solo-Pfaden hat er nochmal mehr Spielraum den Hörern eine Geschichte zu erzählen, die sie in Ihr Inneres führen und etwas Ursprüngliches ansprechen soll. Etwas das in uns allen wohnt. „Ich denke, man verbindet sich mit dieser Art von Musik auf instinktive Weise“, sagt Colin. „Ich vergleiche es mit einem Feuer: Wenn man ein Feuer sieht, schaut man es an, man verliert sich darin. Das Gleiche kann passieren mit sich wiederholendem Sound: Er löst etwas im Inneren aus. Es geht darum, sich zurückzunehmen und zu versuchen, Musik so zu verstehen wie sie gedacht war.“„Kalvarie“ ist dem Soundgefüge von Amenra Tracks also nicht ganz unähnlich. Das schließt Colin aber auch garnicht erst aus: „Dies ist die Geschichte, die von 1/5 von Amenra erzählt wird, also wird es immer eine Verbindung geben.“ Wie stark diese Verbindung ist zeigt auch das Cover: Ein Galgen, der auch zum Synonym von Amenra geworden ist und gleichzeitig auch seinen Rücken ziert, auf einem Stein – passend zur vorrangigen Klangfarbe. „Kalvarie“ ist wiederum nicht nur Anspielung auf den Berg auf dem Jesus gekreuzigt wurde sondern auch der Name der Straße in der Colin zur Schule ging. Alles ist also -wie immer- miteinander in irgendeiner Art und Weise verbunden. `Eternit`, so der Name des Tracks, baut sich allmählich und repetitiv auf. Nach etwas über 6 Minuten ertönt zum ersten mal die Drehleier, die sich neben den Steinen zum Hauptinstrument heraus kristallisiert. Bei Minute 7 setzt dann der erste, klagende Gesang in französischer Sprache über das Ende der Zeit ein. Dieser verstummt dann wieder ab Minute 11 und der Track schleicht sich so langsam aus. Erst der Gesang der in leicht wahnsinniges Gegrummel mündet, dann die Drehleier, dann die Steine. Das ganze hat, wie zu erwarten war, eine düstere Grundstimmung.

Fazit: Wer es schafft sich auf dieses einzigartige, atmosphärische Klangexperiment (am besten im Dunkeln mit Blick in ein Feuer) einzulassen kann für sich bestimmt etwas mitnehmen. Der andere hört halt nur Wahnsinn.

Judith Kroll vergibt 8,5 von 10 Punkten