AYREON – ELECTRIC CASTLE LIVE AND OTHER TALES

AYREON

Titel: ELECTRIC CASTLE LIVE AND OTHER TALES

Label: MASCOT / ROUGH TRADE

Spieldauer: 158:26 Minuten

Ich erinnere noch gut, als ein Bekannter meiner damaligen Freundin mir Ende der 90er berichtete, dass die Zeiten des Progrock vorbei seien und er eh nur noch Gentle Giant, Genesis, Yes, Jethro Tull oder ELP höre. Daraufhin händigte ich ihm Ayreons kürzlich erschienene Doppel CD „Into The Electric Castle“ mit der Maßgabe aus, sich das Werk in aller gebotenen Ruhe zu Gemüte zu führen. Eine Woche später meldete er sich, um mir mitzuteilen, dass dieser Arjen Lucassen ihm den Glauben an die moderne Musik zurückgegeben habe… Dies mag etwas hochgegriffen formuliert sein, jedoch ist das dritte Album Ayreons unbestritten ein absoluter Klassiker des Neoprog. Auch wenn das vermittels „The Live Equation“ auch bereits ausführlich nachbereitete „The Human Equation“ für mich das (wenn auch gänzlich anders geartete) Meisterwerk Lucassens bleibt, so musste sein früher Geniestreich doch auch eine ähnliche Bearbeitung erfahren.

Nach „Ayreon Universe“ liegt nunmehr also die dritte abendfüllende Vollbedienung vor, und es ist wieder einmal ein absolutes Fest. Grandiose Musiker erwecken Lucassens cineastische Ideen bei fantastischem Sound zu neuem Leben. Natürlich wird nicht jeder die doch etwas kitschige, Lord Of The Rings-artige Kulisse inklusive stylischer Kostümchen goutieren, aber dennoch ist die visuell unterstützte Variante aufgrund der theatralischen Ausrichtung der Story hier der rein auditiven unbedingt vorzuziehen (auch wenn Lucassens Outfit unmittelbar zu Augenflimmern führt). Hervorzuheben ist hier gar nix, „Electric Castle“ ist ein zeitloses, absolut schlüssiges Gesamtkunstwerk ohne nennenswerte Schwachstellen, und die Performance aller an diesem Projekt beteiligten Künstler ist sehr gut bis wundervoll. Bei Namen wie Fish, Ed Warby, Damian Wilson, Anneke van Giersbergen (ok, bei der elefantösen Folkballade „Valley Of The Queens“ ist bei mir doch immer besonderer Tränendrüsendruck angesagt) verwundert dies auch nicht. Zwischen allen Facetten des Classic Prog und dezent futuristischen Metal-Achterbahnen ist alles vertreten, was das Herz begehrt.

Der zweite Teil der Show ist hingegen nicht wirklich essenziell (daher auch der Abzug in der B-Note), auch wenn es verständlich ist, dass Lucassen der Versuchung, Abseitiges aus seinem eigenen, nicht immer überzeugenden Katalog (Stream Of Passion) zu verwursten oder Fish „Kayleigh“ (recht unspektakulär) trällern zu lassen nicht verstreichen lassen wollte. Dieser Teil ist dann mitunter doch etwas arg schunkelig ausgefallen. Anyway: steht man auf gediegenen Prog, so muss man das Ding hier besitzen. Gibt es für verschiedene Sparschweinformate, ich habe mich für die zweitteuerste Earbook Edition entschieden. Ich denke, für Otto Normalprogger reicht die BluRay absolut aus.

Patrick Müller vergibt 9 von 10 Punkten