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Lyrics in Metal & Rock: JAMES HETFIELD – METALLICA

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Die Nachricht, dass James Hetfield sich aufgrund seiner Alkoholsucht wieder in Behandlung begeben musste, hat mich zwar ein wenig geschockt; angesichts seiner Performance bei dem kürzlich von mir besuchten Konzert in Prag war ich aber nicht wirklich überrascht. Müde und abgekämpft sah er aus, redefaul war er zudem… Wer jedoch kann ihm derlei Schwäche verdenken nach einer Karriere, die sich über nunmehr beinahe 40 (!) Jahre erstreckt und einen aus zerrütteten Familienverhältnissen stammenden, mit Akne kämpfenden Jüngling beinahe katapultartig, innerhalb von lediglich zehn Jahren, in den Rock-Olymp schoss und dort ohne Netz und doppelten Boden im Orbit verharren ließ, bis er persönlich, entweder nahezu vergöttert oder aufgrund der musikalischen Ausrichtung Metallicas in den 90ern nicht selten verhasst, an seinen inneren Dämonen zerbrach, um wie Phönix aus der Asche wieder aufzusteigen?

Pathetische, abgedroschene Worte, ich weiß. Aber hier soll es schließlich um einen Aspekt gehen, der weder in Mick Walls durchaus lesenswerter Bandbiographie noch in Mark Eglintons psychologisch erstaunlich wenig aufschlussreichem Büchlein über Hetfield ausreichend zur Sprache kommen: sein lyrisches Talent. Der Beitrag des in einer Vorstadt von Los Angeles aufgewachsenen Künstlers zu den Downstroke- und palm muting-Techniken an der Gitarre sind unbestritten, aber er ist eben nicht nur Gitarrist, sondern als Songwriter und Sänger eben auch Texter. Eglinton nähert sich der Materie in dem seinem Second Hand-Duktus typischen Stil an, zitiert Gefährten, die Hetfield als „wordsmith“ bezeichnen oder seine Texte als „poetry“. Der Autor selbst weiß zum Thema (wie auch ansonsten) wenig Eigenes beizutragen. Auch Wall drückt sich in seinem hunderte Seiten umfassenden Werk um eingehende Analysen der Texte Hetfields, ebenso Matt Taylors „Master Of Puppets“-Kultbuch „Back To The Front“. Zwar scheint es im Metal durchaus üblich, die Texte als lästiges Beiwerk zu behandeln, aber gerade im Falle Metallicas scheinen mir diese doch ein wichtiger Faktor, der den Aufstieg des Phänomens und auch die Psyche seines Architekten erklären hilft. An dieser Stelle kann nur an der Oberfläche gekratzt werden, es bedürfte weitaus tieferer Einblicke in die Entwicklung von Hetfields Denken und dessen Niederschlag in seinen Texten, um auch die Entwicklung Metallicas nachhaltig nachvollziehen zu können. Aber ein erster, extrem verkürzender Versuch sei mir erlaubt. Mögen andere die Fackel weiter tragen und ggf. entscheiden, ob der hier diagnostizierte Dreischritt trägt…

Zyniker werden die Texte „Kill `Em All“`s in den Raum werfen und Hetfield, zumindest aus bildungsbürgerlicher Perspektive, nicht nur jeglichen Genius, sondern gar rudimentäre sprachliche Fähigkeiten absprechen. Dies hieße jedoch den wohl wichtigsten Aspekt der frühen Lyrics Metallicas zu ignorieren: ihre Unmittelbarkeit, die juvenile Metalfans wie die kaum einer anderen Band anzusprechen wusste. Nicht umsonst druckte man die Texte schon früh ab, wusste also, wie wichtig sie für die Identifikation mit der Band waren. Schon hier zeigt sich bei aller Einfältigkeit Hetfields Gespür für einprägsame Wendungen der Sorte „No life `til leather“ oder ebensolche Zweizeiler der Kategorie „Sound is ripping through your ears / the deafening sound of Metal nears“, während frühe Meisterstücke wie „The Four Horsemen“ und „Seek & Destroy“ bereits ebenso einfache wie sinistre, junge Hörer aber allemal packende Geschichte zu erzählen wussten: „scanning the scene in the city tonight, looking for you to start up a fight“.
Ich selbst kam erst 1988 zu Metallica – zunächst hörte ich „One“ auf HR3s „Hard ´n´ Heavy“ (wie schön es damals war, Songs zur Gänze kredenzt zu bekommen…), woraufhin ich ob der verstörenden Schönheit des Songs schüchtern bei einem Nachbarn nachfragte, ob er mir mal seine Metallica-Platte ausleihen könne. Tiefblaues Cover, die apokalyptischen drei ersten Songs rauschen an mir vorbei, und dann diese akustischen Töne, Hetfield versucht wirklich zu singen, und schon hat mich „Fade To Black“ gepackt! Hier spielte jemand nicht nur Gitarre zu einem grandiosen Song, sondern erzählte auch eine Geschichte, die mich direkt ansprach. Auch wenn ich des Englischen nur rudimentär mächtig war, war dies der Eindruck, den ich hatte – zudem fühlte ich unmittelbar, dass die Geschichte viel persönlicher war als jene abstrakten der von mir damals vergötterten, jedoch viel distanzierteren Iron Maiden (an deren Lyrics mich „Creeping Death“ wiederum erinnerte); die Ansprache war emotionaler, direkter. Zudem hatte dies nix mehr mit „Bang Your Head against the Stage“ zu tun: die Themenvielfalt der Texte erstreckte sich viel weiter, und insbesondere kamen nunmehr existenzielle Fragen zur Sprache, wenn auch natürlich weiterhin in die Bildsprache eines Frühzwanzigers verpackt.

Was Hetfield für viele Metalfans auf „Master Of Puppets“ bewerkstelligte, sollte niemals unterschätzt werden: „Lashing out the action, returning the reaction“ ‒ diese unsterblichen Zeilen eröffnen in genialischer Weise ein Album, das wie kein zweites den Zeitgeist des Undergrounds zusammenfasste, diesen gleichsam transzendierte und zukünftige Entwicklungen vorwegnahm. Das Gesamtkunstwerk aus Artwork, Texten und alles überragenden Songs war 1986 schlicht die Apotheose der gesamten Bewegung. Den Titeltrack haben Generationen von Metalheads studiert und können ihn, auch dank der Meisterschaft Hetfields, im Schlaf mitsingen: „Come crawling faster, obey your master“! Dies gilt auch für den überwiegenden Teil des restlichen Albums. „Sanitarium“ ist von der Verfilmung des Kultromans „One Flew Over The Cuckoo´s Nest“ inspiriert und zeigte schon damals auf, dass Metal auch inhaltlich intelligent sein kann und darf (je nach Einstellung zumindest). Hetfields schärfste Waffe waren weiter die schon auf „Kill `Em All“ kultivierten, prägnanten Zweizeiler mit Endreimen: solche der Marke „dream the same thing every night, I see our freedom in my sight“ produzierte er hier im Sekundentakt, und zwar mit derart traumwandlerischer Sicherheit, dass die Texte sich unweigerlich ins Langzeitgedächtnis frästen. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre aus diesem Album niemals der Jahrhundertklassiker geworden, den man in ihm einfach sehen muss! Metallica hatten endgültig erkannt, dass Texte nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern elementarer Bestandteil langfristig wirkender Kunst sind. In „Disposable Heroes“ etwa variiert Hetfield dann auch noch, geht aus dem Paarreim instinktiv in komplexere Schemata über. Aus dem pickligen Kalifornier war plötzlich ein Sinnstifter geworden, der seinen ureigenen Stil gefunden hatte.
Der Segen wurde gleichzeitig zum Fluch. Cliff Burtons tragischer Tod beflügelte, wie es aus der Entfernung ausschaut, Hetfields Alkoholkonsum und die latent in ihm brodelnden Aggressionen. Sein ikonisches Erscheinungsbild auf der Bühne (breitbeinig gebückt wie ein Adler auf der Jagd über dem Mikro thronend) hatte aus dem Mittzwanziger inzwischen eine Ikone für abertausende Heranwachsende gemacht, und jetzt musste nach dem tragischen Unfall in Schweden auch noch ein neues Album her. Nicht nur musikalisch, sondern auch lyrisch hinkt „… And Justice For All“ bei allem Anspruch seinem Vorgänger hinterher. Bis auf wenige Ausnahmen: den konzisen Fünfsilblern in „Blackened“, dem in Hetfields neuem dog bark-Style die amerikanische Justiz anklagenden Titeltrack sowie das Metallica dem Mainstream öffnende „One“, dessen Video den textlichen Anspruch der Band nachdrücklich vor Augen führte. Und dann wäre da noch der bis dahin mit Abstand persönlichste Track in der Historie Metallicas: in dem wahnwitzigen „Dyers Eve“ schreibt der Frontmann eine ergreifende, intensive und trotz aller musikalischer Brutalität eigentümlich zerbrechlich klingende Botschaft in Form eines Briefs an Eltern, die ihren Sohn niemals zur Selbständigkeit erzogen hatten: „I´m in hell without you / cannot cope without you two … innocent victim please rescue me“. Alter Schwede, starker Tobak, und ausgerechnet hier klingt Hetfield zerbrechlich wie sonst nirgendwo auf diesem verstörenden SciFi-Metal-Monolithen. Die autobiographischen Züge des Stücks sind offensichtlich, und die unbedarfte, aber völlig verständliche Kluft zwischen textlicher Botschaft und musikalischer Aggression ist geradezu ergreifend.

Interessanter Weise sollte gerade dieser Schritt sich als wegweisend erweisen. Hetfield öffnete sich neuen Einflüssen, auch lyrisch. In Zukunft war er auch gewillt, seine Gefühle nicht nur hinter massiven Riffwänden zu verstecken. Bob Rock kitzelte in „Nothing Else Matters“ Gefühle aus diesem vordergründig von Testosteron, schnellen Autos und Alkohol beflügelten Dämonen heraus, die die seit „Master Of Puppets“ eigentlich vollkommen loyale Fanbasis zersplittern ließ. An die Stelle epischer, hochkomplexer Songstrukturen traten kompromisslos auf den Punkt arrangierte Songs – ein Ansatz, der unweigerlich auch die Herangehensweise an die Lyrics verändern musste. Man mag dies geißeln, der unaufhaltsame Aufstieg Metallicas in bisher unbekannte Sphären hat jedoch auch damit zu tun, dass sich Hetfield lyrisch universellen Themen in sehr viel fragilerer Form öffnete: „Nothing Else Matters“ oder „The Unforgiven“ etwa, wohingegen „Holier Than Thou“ oder „Of Wolf And Man“ kompromissloser Dinge in den Vordergrund rückten, die Hetfield selbst unmittelbar persönlich ansprachen und bewegten, wodurch auch seine jenseits des metallischen Spektrums angesiedelten musikalischen Vorlieben mitunter schmerzhaft ehrlich zu Tage traten („Mama Said“…). Damit konnte nunmehr nicht mehr nur eine begrenzte Hörerschaft etwas anfangen, denn die Botschaft war beliebiger, sprach potenziell weitere Hörerspektren an. Und somit war paradoxer Weise aus einem Nischen- ein Massenprodukt geworden. „The God That Failed“ etwa setzt sich in weit abstrakterer Form mit dem für Hetfield so traumatischen Glauben seiner Eltern auseinander als die direkte Anklageschrift „Dyers Eve“. Aus einem offenen Buch wurde auf dem Black Album ein in verschlüsselter Form agierender Texter.
Trotzdem drückte sich weiter ein tiefgründiges Bedürfnis nach Harmonie mit seiner Hörerschaft in Hetfields Texten aus: bei „Wherever I May Roam“, „Ain´t My Bitch“ oder „Fuel“ handelt sich es um typisierte Karteikarten aus dem Themenregister der harten Rockmusik (Rebellion, individuelles Freiheitsstreben, schnelle Autos), mal mit mehr („Wherever I May Roam“), mal mit weniger („Fuel“) Esprit vorgetragen. In dem wahnwitzigen Experimentierfeld „Load / Reload“ kristallisiert sich außerdem ein für Hetfield neues wichtiges Thema heraus, das ihn zu seinen besten Leistungen beflügelte: die Schattenseiten des Ruhms und die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an den Messias Rockstar. Für mich sind das poetische „Until It Sleeps“ (vollkommen unterbewertet, ein fantastischer Song!), „Bleeding Me“ (dito, hier entwickelt Hetfield aus Textfragmenten einen nachhaltig hallenden Song und löst sich endgültig von seinem ihn durchaus einschränkenden Reimschema) sowie „Memory Remains“ einige der textlichen Highlights dieser musikalisch mitunter fragwürdigen Phase, die jedoch an einigen Stellen wiederentdeckt werden will.
Lyrisch packt mich selbst weder auf „St. Anger“ (surprise…) noch auf „Death Magnetic“ (Ausnahme: „All Nightmare Long“) irgendetwas nachhaltig. Es scheint, als habe er im Nachgang zu seiner Entziehungskur den Fokus etwas zu sehr auf die rein aurale Perspektive gelegt, was sich jedoch auch darin äußerte, dass sonisch reichlich wenig nachhallte. Mit „Hardwired… To Self Destruct“ (und weitaus besserem Songmaterial) jedoch sollte sich dies wieder ändern. „Atlas, Rise!“ etwa birgt schon in seinem Titel wahre Majestät, die sich denn auch in ironischen Zeilen wie „blame the world and blame your maker, wish ´em to the undertaker…“ niederschlägt, während das seine Thin Lizzy-Vorlieben (nicht zuletzt für Phil Lynotts Texte) vor sich her tragende „Moth Into Flame“ Hetfields seit den Mittneunzigern eben immer wieder aufflackernde Thema „Ruhm als Fluch“ am tragischen Beispiel Amy Winehouses aufgreift. Endlich orientiert sich die lyrische Gestaltung der Songs wieder an den rhythmischen Gegebenheiten der Songs; et voilà, ein grandioses Metalalbum.

Womit wir wieder am Anfang dieses Essays angelangt wären. James Hetfield hat an der lyrischen Front unbestreitbar Vieles für extreme und harte Musik geleistet: er hat im ersten Schritt eine ganze Szene zusammengeführt, indem er ihr als Sinnstifter diente; danach führte er diese Szene mit ihren begrenzten musikalischen Mitteln auch vermittels seiner unverbindlicher, gleichsam abstrakter werdenden Lyrik in den Mainstream, um anschließend die aus diesen Leistungen sich ergebenden Folgen in Spiegelungen der dunklen Seite seiner Seele zu übertragen. Dieses Mäandrieren spiegelt in zugespitzter Form die Wendungen der „human condition“ zwischen privaten und öffentlichen Bedürfnissen wie kaum ein Oeuvre eines anderen Rocktexters wider, ein Umstand, der die zeitlose Strahlkraft der Texte Hetfields erklären helfen mag. Und man sollte dies durchaus als große Leistung begreifen und würdigen.
Gerade die immer wieder aufflammende, bis zu einem gewissen Grade (!) durchaus nachvollziehbare Kritik an Hetfield (Konservatismus, Waffenlobbyismus etc. pp.) schwillt, über die soziale Medien allzu leicht angefacht, nicht selten zu Hysterieanfällen an. Dabei werden nicht selten die Lyrics von Metallica (die erste größere Causa entfachte sich am patriotischen „Don´t Tread On Me“ und dessen scheinbarem Widerspruch zu den drei Jahren zuvor geäußerten gesellschaftskritischen Tönen auf „… And Justice For All“) als Beweismittel gegen Hetfield angeführt, wobei im Überschwang der Emotionen jedoch nicht zwischen öffentlicher und privater Person getrennt wird. Führt man sich diese Texte jedoch etwas genauer vor Augen, so sieht man dort genau jene Widersprüche thematisiert, an denen Hetfields Persönlichkeit anscheinend auch in regelmäßigen Abständen zu zerbrechen droht. Wer mag also den ersten Stein werfen? Für mich ist James Hetfield als Künstler in seiner Gesamtheit eben nicht nur als großartiger Gitarrist, sondern auch als hochbegabter Texter von Metallica zu begreifen. Get well soon, James…

Top 12 (extended version):
Fade To Black
Battery
Master Of Puppets
Until It Sleeps
Moth Into Flame
Bleeding Me
The Unforgiven
Sad But True
Atlas, Rise!
Creeping Death
Four Horsemen
Seek & Destroy

Patrick Müller