KEEP IT TRUE – RISING

Posthalle Würzburg, 19.-20.11.21

Ihr kennt dieses Gefühl, wenn Ihr nur knapp an einem Unfall vorbeigeschrappt seid oder Euch mit viel Glück aus einer misslichen Lage befreien konntet…so oder so ähnlich fühlt sich im Nachhinein der Besuch des „KIT-Rising“ an. Schon am Nachmittag des ersten Tages wurde gemunkelt, dass der bayerische Ministerpräsident Söder für die Folgewoche alle Großveranstaltungen abgesagt habe, da die Inzidenzwerte durch die vierte Corona-Welle rasant angestiegen waren und dies bis heute tun. Umso surrealer mutete es an, mit knapp 2000 Gleichgesinnten an zwei aufeinander folgenden Tagen unter „Normalbedingungen,“ ein letztes Mal in diesem Jahr die Metal-Götter heraufzubeschwören.

 

Für die KIT-Crew um Oli Weinsheimer muss dieses Gefühl noch viel intensiver gewesen sein, nachdem etliche andere Festivals zuletzt verschoben werden mussten. Diesmal gab es lediglich eine Bandabsage und zwar von IRON ANGEL. Obwohl meine Freunde von PYRACANDA bereit gewesen wären einzuspringen, wurde leider entschieden, den Slot freizulassen. Schade, das wäre ein toller Rahmen für die Jungs gewesen, denn die Organisation war wirklich hervorragend. Eine 2G+-Veranstaltung dieser Größenordnung muss man erst mal so wuppen. Vor Betreten des Festivalgeländes wurde von Impfung, über tagesaktuellen PCR-Test und Perso, bis zum Einloggen mit der Luca-App alles akribisch kontrolliert. Dafür konnte man sich in und vor der Posthalle ohne Maske oder andere Einschränkungen bewegen.

Zwei Foodtrucks sorgten für das leibliche Wohl mit Pizza, Bratworscht und Pommes. Drinnen fiel der Metal Market zwar etwas kleiner aus als gewohnt, aber das Angebot an Tonträgern war trotzdem wieder so reichhaltig, dass ich am Ende des zweiten Tages fast blank war. Dafür war ich um 35 Tonträger reicher. Das Beste war allerdings das Wiedersehen mit vielen bekannten Gesichtern, die man viel zu lange nicht gesehen hatte und die Begegnung mit neuen Gesichtern, die man hoffentlich bald wiedersehen wird. Das musikalische Programm war allerdings so straff, dass zum Quatschen, Shoppen und Essen immer nur eine viertel Stunde zwischen den Bands blieb. Also, los geht`s!

Das tolle am „Keep It True“ ist immer, dass auch Newcomerbands eine Chance erhalten, vor einem großen und vor allem fachkundigen Publikum aufzutreten. Die Ehre des Openers gebührt diesmal VENATOR aus Österreich, die sich ob des neuerlichen Lockdowns im eigenen Land wahrscheinlich zwicken mussten, um sicher zu gehen, dass sie nicht träumen. Die Jungspunde machen ihre Sache gut und rennen mit ihrem traditionellen Metal bei den ausgehungerten Zuschauern offene Türen ein. Das Stageacting wirkt noch etwas statisch und die Kommunikation mit der Menge ist sehr zurückhaltend…

THE NIGHT ETERNAL

…ein Phänomen, das sich im Laufe des Wochenendes noch öfters wiederholen wird. Wo sind die Dee Sniders und Biff Byfords geblieben, Leute? Oder ein Metal Manfred, der in OP-Kleidung auf die Bühne kommt und die Meute anbrüllt, wie bei den Metal Hammer-Events Mitte der Achtziger? Hätte doch perfekt zur Pandemie gepasst, oder?! Das erste Ausrufezeichen setzen danach THE NIGHT ETERNAL, die sehr spielfreudig und agil daherkommen. Vor allem Frontmann Ricardo Baum ist ständig in Bewegung, bangt mit seinen Dreads was das Zeug hält und singt ganz nebenbei noch fehlerfrei. Starker Auftritt der Essener, von denen man in Zukunft sicher noch hören wird.

Danach haben es CENTURY nicht ganz einfach. Das Trio wirkt auf der großen Bühne etwas verloren und Sänger/Gitarrist Staffan ist durch seine Doppelrolle mehr oder weniger ans Mikro gebunden. Da es sich um den ersten Auftritt der jungen Schweden handelt, kann man über seine leichten Koordinationsschwierigkeiten zwischen Mikro und Klampfe hinwegsehen. Es ist mutig, eine Newcomerband, die bislang nur ein Demo veröffentlicht hat, an Platz 3 auftreten zu lassen. Ein paar Clubgigs hätte den Greenhorns zur Vorbereitung sicher geholfen. Diese Schuhe hier waren einfach noch zu groß für CENTURY.

SEVEN SISTERS

 

Wie es richtig geht, zeigen dann die SEVEN SISTERS, die so souverän und professionell wirken, dass der Auftritt davor wie der einer Schülerband anmutet. Die Londoner sind sogar so abgebrüht, dass sie ihr brandneues Album „Shadow Of A Fallen Star Pt.1“ in Gänze darbieten, obwohl kaum jemand in der Halle mit den neuen Songs vertraut ist. Das tut der guten Stimmung von Band und Publikum allerdings keinen Abbruch. Sänger/Gitarrist Kyle McNeill führt souverän durchs Programm und liefert sich mit Zweitgitarrist Graeme Farmer packende Duelle. Ein weiterer Hingucker ist Bassist Gareth Martin, der mit Rauschebart, Dauergrinsen und pinkem Bandshirt ein absoluter Sympathieträger ist. Für mich DER Höhepunkt am Freitag, cheers lads!

 

 

So leid es mir tut, muss ich bei VELVET VIPER eine Pause zum Essen, Quatschen und Shoppen einlegen (siehe oben). Das bedeutet mit Nichten, dass ich Jutta Weinhold und Band nicht mag, zumal sie heute ein ZED YAGO-Programm zum Besten geben, aber ich hatte das Vergnügen, sie erst vier Wochen vorher live erleben zu dürfen und so erschien mir dieser Verzicht am plausibelsten. Außerdem hatte ich Kohldampf, verdammt nochmal! Laut Augen- und Ohrenzeugenberichten war es ganz toll, so dass ich mir im Nachhinein dann doch in den Arsch beiße. Was mich tröstet, ist die Gewissheit, dass Jutta trotz ihres stolzen Alters sicher noch lange auf der Bühne stehen wird und sich weitere Chancen auf ein Wiedersehen ergeben werden.

 

OSTROGOTH hatte ich das letzte Mal vor sieben Jahren auf einem kleinen Festival in Innsbruck live gesehen. Seitdem hat sich das Line-up der Belgier massiv verändert und die ehemalige Gitarrenfraktion hat zwischenzeitlich eine eigene Band namens THORIUM gegründet. Drummer Mario Pauwels ist ohnehin das einzig verbliebene Gründungsmitglied und mit Josey Hindrix ist auch die markante Stimme geblieben. Die neue Gitarrenfront wirkt äußerst versiert und bewegungsfreudig und trotzdem vermisse ich meinen Kumpel Dario Frodo. Egal, der Auftritt der Belgier ist einmal mehr eine Zeitreise in die goldenen Achtziger, nicht zuletzt in Ermangelung hochkarätigen neuen Songmaterials. Da kommen einem beim abschließenden ‚Full Moon`s Eyes‘ von der gleichnamigen 83iger-EP fast ein paar Nostalgietränchen.

Genau dieser Nostalgiefaktor fehlt mir bei den folgenden KATE`S ACID, da ich mit ACID nie etwas am Hut hatte und der Namenszusatz erwarten ließ, dass lediglich Sängerin Kate vom mir ohnehin wenig vertrauten Original-Line-Up dabei sein würde. Das hat dann immer ein wenig was von einer Coverband und so wirkte Kate wie ein Hausmütterchen in Lack und Leder, die von ihren Söhnen begleitet wurde. Aber die Gute hatte ihren Spaß, ihre Begleitband ebenfalls und das Publikum sowieso. Mich ließ das Ganze leider völlig kalt, was auch an meiner mangelnden Bindung zu dieser Band gelegen haben dürfte. Mea culpa.

 

Bevor Ihr mich am Ende noch für frauenfeindlich haltet, weil ich bei Jutta draußen war und Kate doof fand, darf ich verkünden, dass ich die TRIUMPH OF DEATH-Bassistin total klasse fand. Nein, nicht weil sie verdammt heiß aussah, sondern weil sie so cool as fuck ihren Stiefel runtergezockt hat, dass sie mich fast ein wenig an die WHITE ZOMBIE-Basserin von früher erinnerte. Aber im Mittelpunkt steht natürlich Thomas Gabriel Fischer alias Tom G. Warrior alias Satanic Slaughter, dem die tobende Meute aus der Hand frisst und den sie mit lauten „Uhuhuh!“-Rufen abfeiert. Der Schweizer Avantgardist nimmt es gelassen und selbstironisch, dass er ausgerechnet für diesen Urlaut abgefeiert wird, wo er in seiner langen Karriere doch so viele innovative Ideen hatte. Nun, bei HELLHAMMER ging es nun mal rustikal zur Sache und so kassiere ich gleich beim ersten Song eine Bierdusche, die sich gewaschen hat. Selten habe ich ein KIT-Publikum so wild erlebt. Nun ja, zur fortgeschrittenen Stunde sind viele halt auch schon ziemlich verstrahlt. Ich werde nie verstehen, wie man sich so zuschütten kann, dass man von der Mucke kaum noch was mitkriegt. Im wahrsten Sinne des Wortes asozial sind die Leute, die dann auch noch munter drauf los Qualmen, während das Gros der Raucher dazu brav vor die Tür geht. Das ist KEIN Metal, Ihr Assis!

CANDLEMASS

In KIT-Kreisen werden CANDLEMASS auch gerne als Cancelmass bezeichnet, weil sie 2010 das Festival platzen ließen und nur ihr bedauernswerter, damaliger Sänger Rob Lowe vor Ort war, der die Anreise trotz des Vulkanausbruchs auf Island aus den USA auf sich nahm, während seine schwedischen Bandmates ihre Fans bitter enttäuschten. 2019 mussten sie auch absagen. Aber das ist Schnee von gestern und die Doom-Institution ist heuer im Original-Line-Up angereist. Neben dem zurückgekehrten Bandleader Leif Edling, der sich zwischenzeitlich eine Arschmatte hat wachsen lassen, ist sogar Johan Längquist dabei, der 1986 das geniale Debüt „Epicus Doomicus Metallicus“ eingesungen hat. Für ein old-school-Set also die denkbar besten Voraussetzungen und so meistert Johan nicht nur DEN CANDLEMASS-Song schlechthin ‚Solitude‘, sondern auch die Klassiker aus der Messiah-Ära. Einzig seine Kommunikation mit dem Publikum ist mangelhaft und so übernimmt Edling die meisten Ansagen, wenn denn welche kommen. So hat das Ganze phasenweise ein wenig den Charakter einer Probe auf großer Bühne.

Alles in allem, ein großartiger erster Festivaltag, den wir mit Fachsimpeln (Gibt es nun eine schwarze ‚Sirens‘ oder nicht, Less & Leandra?! LOL!) und einem kurzen Besuch der Metal Disco ausklingen lassen, die diesmal im vorderen Teil der Posthalle stattfindet. Aber am nächsten Tag wartet ein ebenso straffes Programm auf uns und dafür wollen wir fit sein. Denn bereits am Vormittag steht ein Testtermin an. Gott sei Dank fällt dieser negativ aus, so dass ich mich danach gut gelaunt in die lange Schlange vor der Posthalle einreihe. Erwartungsgemäß wollen viele Tagesticketholder die blinden Gardinen (Ja, der MUSS sein!) sehen und es dauert heute etwas länger beim Einlass. Dadurch verpasse ich leider SPHINX, auf die ich mich sehr gefreut hatte. Das Debütalbum der Gelsenkirchener Speedster erscheint demnächst bei Diabolic Might Records, watch out!

Also fängt mein Tag mit MEGATON SWORD an, die ich aus der Konserve sehr schätze. Aber live ist halt live und da will ich Action und Spaß sehen, aber bekomme in diesem Fall eine ziemlich verkrampfte Performance geboten. Der Bassist wirkt als würde er im Kopf komplizierte, mathematische Gleichungen lösen und Sänger Uzzy kommt so verdammt ernst und leidend rüber, dass man ihn am liebsten mal in den Arm nehmen möchte. Schon klar, True Metal ist kein Kindergeburtstag, aber Rock `N` Roll ist auch keine Beerdigung. Also künftig bitte Stock aus‘m Arsch, denn musikalisch ist der Auftritt so gut wie erwartet.

WHEEL

WHEEL kenne ich tatsächlich erst seit diesem Jahr und hatte bereits im Sommer das Vergnügen, die Epic Doomster bei einem Konzert im kleinen aber feinen Hilbeck zu erleben. Wie seiner Zeit bin ich auch diesmal völlig fasziniert von der atmosphärischen Dichte, die das Quartett mit einer recht minimalistischen Instrumentierung erzeugt. Vor allem Gitarrist Benjamin Homberger hat den Bogen raus und liefert wieder packende Melodien en masse. Sänger Arkadius ist wie immer vollkommen in sich gekehrt und trägt sein Liedgut in bester Solitude Aeturnus-Tradition vor. Das aktuelle Album „Preserved In Time“ ist eines meiner Jahreshighlights und das gilt auch für die beiden Liveauftritte von WHEEL.

Eigentlich wollte ich mir nur den ersten Song von NESTOR anschauen und dann eine Essenspause einlegen, aber die Schweden hauen mich mit ihrer unbändigen Spielfreude fast aus den Socken, so dass ich keine Sekunde ihrer Show verpassen will. Normalerweise lässt mich Neo-AOR völlig kalt und ähnlich gehypte Genrevertreter wie The Night Flight Orchestra öden mich an. Bei NESTOR springt der Funke aber einfach über und als dann auch noch Marta Gabriel (Crystal Viper) ein herzzerreißendes Duett mit Sänger Tobias auf die Bretter legt, bin ich baff. Das sind keine grünen Jungs sondern gestandene Vollprofis, die so mit dem eigentlich wenig AOR-affinen KIT-Publikum spielen, wie ich es mir von allen Bands gewünscht hätte, Chapeau!

PRAYING MANTIS

Sorry, aber die verschobene Essenspause muss ich wegen akutem Magenknurren bei KILLER einlegen. Zwar hätte ich das dritte belgische Metal-Urgestein des Festivals gerne gesehen, aber noch weniger wollte ich die darauffolgenden PRAYING MANTIS verpassen.

Eine richtige Entscheidung, wie sich schon bei den ersten Tönen von Sänger John Cuijpers herausstellt. Was für eine Rockröhre, für mich zweifellos der beste Sänger des Wochenendes! Obwohl ich mit dem Material der Band nicht wirklich vertraut bin, überzeugt mich die professionelle und gleichsam unbeschwerte Darbietung der Niederländer zu hundert Prozent. Auch die Gründungsbrüder Chris und Tino Troy liefern richtig ab und demonstrieren eindrucksvoll, dass man auch jenseits der 60 noch eine verdammt gute Figur on stage abgeben kann. Respekt, meine Herren!

 

 

Wie hatte ich mich auf ATLANTEAN KODEX gefreut! Schon beim letzten Hammer Of Doom an gleicher Stelle und beim KIT 2014 hatten die Bayern mich völlig weggebeamt. Heute sollte es nicht anders sein und der KODEX legt wieder einen Triumphzug auf die Bretter. Frontmann Becker genießt es sichtlich wieder eine Haarlänge zu haben, die ihm das Headbangen ermöglicht und Coralie Baier ist mittlerweile voll integriert und bestens eingespielt. Und wer Songs wie ‚Sol Invictus‘ und ‚Twelve Stars And An Azure Gown‘ im Gepäck hat, die von der Menge Wort für Wort mitgesungen werden, kann eh nur gewinnen.ATLANTEAN KODEX

Und wer es geschafft hat, DEMON bislang noch nicht live erlebt zu haben, muss die letzten 20 Jahre im Koma gelegen haben. Gleichwohl waren die Briten Pandemie bedingt in den letzten zwei Jahren mehr oder weniger auf ihrer Insel gefangen und sind sichtbar glücklich, mal wieder in good old Germany auf der Bühne zu stehen. Und so führt Fronter Dave Hill gewohnt souverän und launig durch ein Set, das fast nur aus Klassikern wie ‚Blackheath‘, ‚Night On The Edge‘ oder ‚Night Of The Demon‘ besteht. Bei ‚Don`t Break The Circle‘ liegen sich wie immer alle in den Armen und die Schrecken von Corona sind für einen Moment vergessen, danke dafür!

 

Den mit großer Spannung erwartete Auftritt von BLIND GUARDIAN habe ich dann nur noch am Rande miterlebt. Nach zwei Tagen und 18 Bands machten sich dann doch leichte Ermüdungserscheinungen sichtbar und ehrlich gesagt war ich nie ein großer Fan der Krefelder. Klar sind Songs wie ‚Welcome To Dying‘ oder ‚Valhalla‘ Klassiker teutonischen Liedgutes, aber es galt auch Freunde und Bekannte zu verabschieden, die man wohl lange nicht mehr sehen können wird. Denn nach vier Festivalwochenenden hintereinander war das KIT-Rising wohl mein letztes Liveevent für längere Zeit. Es wird schon wieder über einen Lockdown diskutiert und die Kultur wird erfahrungsgemäß zuerst dichtgemacht. Umso glücklicher bin ich, hier dabei gewesen zu sein.

Danke Oli und vielen Dank für die Fotos, Moni!

BLIND GUARDIAN

Text: Alex Fähnrich

Fotografie: Monique Bernard