KEEP IT TRUE RISING II

30.September – 02.Oktober 22

Würzburg, Posthalle

Wie gestaltet man einen Bericht über ein Festival, bei dem 27 Bands an drei Tagen aufgetreten sind, ohne die geneigte Leserschaft zu ermüden oder gar zu langweilen? Und wie wird man gleichzeitig diesem epochalen Event und den beteiligten Künstlern (Kein Gendern nötig, da tatsächlich ausschließlich Kerle auf der Bühne standen.) gerecht? Nach intensiven Vorüberlegungen habe ich mich entschlossen, dieses schier hoffnungslose Unterfangen, frei Schnauze anzugehen. Schließlich hat jede*r Festivalbesucher*in dieses lange Wochenende in Würzburg anders erlebt, hat andere unvergessliche Momente gesammelt und hatte andere Begegnungen. Ich hoffe, viele von Euch finden sich in meinen Schilderungen wieder. Falls nicht, hinterlasst gerne Eure Highlights und Erlebnisse in den Kommentaren.

Die Würzburger Posthalle ist mir über die Jahre schwer ans Herz gewachsen. Von Oli Weinsheimer auserkoren als Veranstaltungsort für Kultevents wie Hammer Of Doom, Metal Assault und seit letztem Jahr Keep It True – Rising ist der schmucklose Betonklotz zum Schauplatz so mancher metallischer Sternstunde geworden. An diesem Wochenende sollten einige dazu kommen.

Freitag, 30. September

Im Vergleich zum ersten KIT-Rising im letzten Jahr fallen diesmal die Corona-Schutzmaßnahmen weg, so dass sich der Einlass am ersten, wie auch an allen anderen Tagen völlig problemlos gestaltet. Dementsprechend stürme ich ungebremst in den Metal Market, um mich noch vor Beginn des Festivals mit allerlei Tonträgern einzudecken. Gleichzeitig gibt es erste Begegnungen mit alten Bekannten vor und hinter den Verkaufsständen.

Die Dänen von WITCH CROSS haben dann die Ehre das musikalische Tagesprogramm einzuläuten und lösen diese Aufgabe sehr ordentlich. Vor allem Sänger Kevin Moore (Nein, nicht der von Dream Theater, aber immerhin hat er schon mit den ehemaligen Saxon-Mitgliedern Graham und Dawson gezockt!) zieht mit seiner exaltierten Mimik und Gestik die Blicke auf sich. Die beiden Urmitglieder Mike Wlad (Gitarre) und John Field (Bass) haben sichtlich Spaß in den Backen, ihr 40-jähriges Bandjubiläum vor solch einer Kulisse feiern zu dürfen. Schwamm drüber, dass die Band zwischenzeitlich 25 Jahre lang auf Eis lag.

Der erste richtige Höhepunkt folgt danach mit KEV RIDDLES‘ BAPHOMET. Der ehemalige Angel Witch-Bassist gibt unter diesem Namen Klassiker aus der Frühphase des NWOBHM-Urgesteins zum Besten. Allen voran natürlich ‚Baphomet‘ vom ersten Demo und fast das komplette „Angel Witch“-Album bis zum abschließenden Titelstück, das natürlich lauthals mitgesungen wird. Alle Musiker werden am Sonntag abermals mit Tytan auf der Bühne stehen. Neben Altmeister Riddles, dem ein Dauergrinsen ins Gesicht gemeißelt zu sein scheint, brilliert vor allem Sänger Tony Coldham, der einigen von seiner Hauptband The Deep bekannt sein dürfte.

MYTHRA legen los mit ‚Still Burning‘ vom gleichnamigen Comeback-Album, konzentrieren sich in der Folge allerdings vornehmlich auf altes Material wie ‚U.F.O.‘ oder ‚Death And Destiny‘. Die alten Haudegen John Roach (Gitarre) und Mo Bates (jetzt am Bass, früher Rhythmusgitarre) sind noch gut in Form, während Sänger Kev McGuire, der erst seit vier Jahren in der Band ist, zumindest mich nicht ganz überzeugen kann…

…ganz im Gegensatz zu Steve Bettney von SARACEN, dessen erste hohe Schreie bei ‚Crusader‘ mir unmittelbar Gänsehaut auf die Unterarme zaubern. Der gute Mann hat wirklich nichts verlernt und wirkt agiler denn je. Teilweise agiert er dabei zwar ein wenig überdreht, aber stets sehr sympathisch. Spätestens beim Titeltrack des unverwüstlichen „Heroes, Saints & Fools“-Albums brechen dann alle Dämme und so manches Tränchen wird verdrückt. Kult.

HOLOCAUST kann die gute Stimmung dann leider nicht ganz aufrechterhalten. Das mag zum einen an der nicht durchgehend glücklichen Songsauswahl liegen und zum anderen an der ziemlich statischen Performance. Frontmann John Mortimer ist halt mit Gitarre und Gesang voll beschäftigt und gehört auch nicht unbedingt zu den extrovertierten Mitgliedern seiner Zunft. Zumindest bei ‚The Small Hours‘ kommt richtig Stimmung auf, aber wohl auch, weil speziell dieser Song durch Metallica Weltruhm erlangte.

Auf den STEVE GRIMMETT-Tribute hatten alle Anwesenden mit Spannung gewartet. Wer würde wohl den Gesang für den kürzlich verstorbenen Grim Reaper-Sänger übernehmen? Dass Steves Sohn Russ bei den ersten Songs das Mikro schwingt, liegt auf der Hand und er macht seine Sache gar nicht so schlecht. Gleichwohl raubt ihm the one and only Harry Conklin, der vorher bereits durch die Halle streifte, bei den vier Songs danach (u.a. D.O.A.) die Show. Harry ist nicht nur einer der besten Metal-Sänger überhaupt und hat schon selbst mit Jag Panzer und Titan Force Musikgeschichte geschrieben, sondern hat sich akribisch auf diesen Auftritt vorbreitet, was man jedem Ton anhört. Auch seine wertschätzenden Worte in Richtung Grimmett senior, den er als einen seiner größten Einflüsse bezeichnet, gehen unter die Haut. Da kann nur noch Steves Frau Millie, die eine längere, sehr emotionale Rede hält, einen draufsetzen. Dritter Shouter im Bunde ist Enforcers Olof Wikstrand, dessen Stimme aus meiner Sicht nicht optimal zu den Grim Reaper-Songs passt, der aber sehr sympathisch rüberkommt und die Menge gut anheizt. Den krönenden Abschluss liefert am Schluss dann mit ‚See You In Hell‘ die Bandhymne schlechthin, welche von allen Beteiligten nebst Publikum mitgesungen wird. Einen besseren und passenderen Abschluss hätte Tag 1 nicht finden können. Statt des DIO-Covers ‚Don’t Talk To Strangers‘ wäre zumindest ein Song von Onslaughts „In Search Of Sanity“-Album, das Steve Grimmett eingesungen hat, wünschenswert gewesen, aber das spielt am Ende des Tages keine Rolle.

 

 

Samstag, 1. Oktober

Die Nacht war dank der Aftershow-Party kurz und der Dauerregen lädt auch nicht unbedingt zum frühen Aufstehen ein. Also geht`s quasi direkt vom Bett, durch den Starkregen, zur Posthalle. Schließlich „spielen“ die Doors heute bereits um halb elf und der Metal Market öffnet auch um diese frühe Stunde. Gleich beim Reinkommen treffe ich einige Bekannte, die gestern noch nicht vor Ort waren. Überhaupt ist heute einiges mehr los als am ersten Festivaltag. Kein Wunder, denn mit über 2000 verkauften Tickets ist das KIT am Wochenende ausverkauft.

Punkt 12 locken mich die ersten Töne von KONQUEST zur Bühne. Die jungen Italiener dürften im Schnitt locker halb so alt sein wie die Bands vom Vortrag. Diesen physischen Vorteil können sie allerdings nicht in einen musikalischen ummünzen. Vielmehr wird einem schmerzlich vor Augen geführt, dass zumindest im Heavy Metal früher in der Tat fast alles besser war. Ich fand es jedenfalls nicht sonderlich aufregend. Einzig der Bassist ließ seine Matte ordentlich kreisen, wohingegen Bandleader Alex Rossi recht blass blieb.

RIOT CITY korrigieren dieses „Jung gegen Alt“-Bild danach gleich wieder. Der Calagary-Fünfer hat nicht nur das brandneue Album „Electric Elite“, sondern auch jede Menge Hymnen vom bockstarken Debüt „Burn The Night“ im Gepäck. Die Jungs versprühen genau die Energie und Spielfreude, die Konquest vermissen ließen. Insbesondere Frontturner Jordan Jacobs entpuppt sich als guter Entertainer und seine Sidekicks geben ebenfalls Vollgas. Was Jacobs unterlassen sollte, sind die immer wieder eingestreuten, super hohen Screams. Das klingt für mich gekünstelt und passt oft nicht in den Songflow. Insgesamt allerdings ein wirklich starker Auftritt der Kanadier.

Danach setzen WYTCH HAZEL nochmal einen drauf. Ihr drittes Album „Pentecost“ ist für mich einer der besten Longplayer der letzten Jahre.  Das Quartett legt los mit ‚He Is The Fight‘ und hat die Menge sofort auf seiner Seite. Was für ein sympathischer Haufen, der in seinen weißen Kostümen wirkt wie ein Schwarm Engel. Jo, die Jungs aus Lancaster haben christliche Texte, schmeißen aber nicht wie Stryper damals mit Bibeln um sich. Den Teufel scheint es trotzdem zu reizen und er lässt gleich beide Gitarrenamps abrauchen. Aber anstatt völlig gefrustet abzubrechen, posen Colin und Alex einfach mit ihren stummen Gitarren weiter, während Aaron und Andy weiterspielen und das unter tosendem Beifall, echt geil! Gott sei Dank hat man die Technik schnell wieder im Griff und kann das Set mit Hits wie ‘Archangel‘, ‚Dry Bones‘ und vor allem ‚Spirit And Fire‘ fortsetzen. Der Zweitling „Sojourn“ kommt mit ‚Still We Fight‘ und ‚See My Demons‘ zum Zuge, während ‚Wytch Hazel‘ und ‚We Will Be Strong‘ vom Debüt den Abschluss einer packenden Show darstellen.

Vielleicht haben es DEMON PACT danach deshalb so schwer, mich zu überzeugen. Das könnte aber auch an den nichtssagenden Songs, dem albernen Stageacting des Gitarristen mit freiem Oberkörper oder meinem knurrenden Magen liegen. Also entscheide ich mich nach den ersten beiden Songs für die leckere Rindswurst vor der Halle statt für die Band auf der Bühne.

Frisch gestärkt und wohl genährt, stehe ich bei BLITZKRIEG wieder front of stage. Ehrensache, denn Brian Ross ist einer meiner absoluten Lieblingsmusiker, auch wenn ich SATAN noch besser finde, aber die spielen ja am nächsten Tag. Heute kommt lediglich der Satan-Song ‚Pull The Trigger‘ vom Debütalbum „A Time Of Changes“ zum Zuge, welches in diesem old-school-Set selbstredend stark vertreten ist. Ansonsten fällt auf, dass Ross senior zwischen den Songs nicht ganz so viel labert wie bei seiner Hauptband und sein Sohn Alan nach ihm mittlerweile das dienstälteste Bandmitglied ist.

 

Witzigerweise hat Brian Ross zu Anfang seiner Karriere auch mal bei AVENGER das Mikro geschwungen. Allerdings ist sein Nachfolger Ian Swift seit 1983 in Amt und Würden und steht auch heute auf der Bühne, bzw. macht am Ende des Sets einen übermütigen Ausflug ins Publikum. Je oller desto doller, ich sag`s ja. Neben Swift zieht Gitarrist Liam Thompson immer wieder die Aufmerksamkeit durch seine filigranen Soli auf sich. Sicher nicht die Speerspitze der NWOBHM, aber durchaus unterhaltsam.

Die Herren von QUARTZ waren mir schon Freitagnachmittag in der Würzburger Innenstadt begegnet und ich dachte so bei mir, dass dies mit Sicherheit die älteste Band des Festivals sein muss. Ich schreibe das mit allem gebührenden Respekt und ziehe meinen Hut vor diesen Herrschaften, die im Schnitt die 70iger Marke locker nehmen müssten. Und wer dann noch eine astreine Coverversion von Sabbaths ‚Heaven And Hell‘ ins weite Rund schmettert, hat am Ende eh gewonnen.

Tygers, Maiden, Diamond Head und Saxon. Ab jetzt gibt sich das Who-is-who aus dem Vereinigten Königreich die Klinke in die Hand und es gibt keinerlei Verschnaufpausen mehr. Den Anfang machen die TYGERS OF PAN TANG, bei denen nur noch Gitarrist Robb Weir vom Original-Line-up übrig ist. Allerdings hat er eine wirklich starke Truppe um sich versammelt, von denen vor allem Sänger Jacopo Meille ein absoluter Glücksgriff ist. Mit ihm an den Vocals haben die Tygers im vergangenen Jahrzehnt mit „Ambush“, „ToPT“ und „Ritual“ drei starke Alben veröffentlicht. Aber auch hier stehen heute die alten Klassiker im Vordergrund: ‚Fireclown‘, ‚Love Don’t Stay‘, ‚Only The Brave‘, ‚Gangland‘, ‚Slave To Freedom‘, ‚Suzie Smiled‘, Hellbound‘, ‚Don`t Touch Me There‘, und zum Abschluss das The Clovers-Cover ‚Love Potion No. 9‘. Da fehlen für mich nur noch ‚Do It Good‘ und ‚Mirror‘, ansonsten keine Fragen.

Was ich weiter oben noch vollmündig als Maiden bezeichnet habe, ist in Wirklichkeit PAUL DI‘ANNO, der am heutigen Abend Songs von den ersten beiden Alben der wohl größten britischen Heavy Metal-Band aller  Zeiten zum Besten gibt. Ob der seit Jahren gesundheitlich schwer angezählte Di’Anno tatsächlich beim KIT auftreten würde, haben nicht wenige Szenekenner im Vorfeld stark bezweifelt. Doch er ist dann wirklich zur Primetime, pünktlich um viertel nach acht, auf der Bühne, zwar wie gehabt im Rollstuhl, aber bestens aufgelegt. Das hat man in der Vergangenheit schon des Öfteren anders erlebt, zumal Paule laut eigener Aussage quasi vom OP-Tisch gehüpft und direkt vom Krankenhaus hierhergekommen ist. Davor ziehe ich den Hut, auch wenn Di‘Anno im Verlauf des Abends erneut durch zweifelhafte Aktionen auf und hinter der Bühne für Kopfschütteln sorgt. Musikalisch machen er und seine Mitstreiter ihre Sache aber ganz ordentlich. Zwar leiert er manche Songpassagen wieder recht lustlos herunter, aber Klassiker wie ‚Prowler‘, ‚Phantom Of The Opera‘, ‚Charlotte The Harlot‘, ‚Remember Tomorrow‘, ‚Killers‘ und ‚Wrathchild‘ sind nun mal unkaputtbar und werden von dem mittlerweile gut angeheiterten Auditorium nach allen Regeln der Kunst abgefeiert.

DIAMOND HEAD gehören zu den NWOBHM-Dinos, die – genau wie Satan – auch heute noch erstklassige Alben veröffentlichen, die teilweise sogar noch besser sind als ihr altes Zeug. Daher war ich gar nicht mal so begeistert als es hieß, dass ihr Debüt „Lightning To The Nations“, welches vor zwei Jahren wiederveröffentlicht wurde, heute im Mittelpunkt stehen würde. Denn „Diamond Head“ und „The Coffin Train“ gefallen mir mindestens genauso gut wie „Lightning…“ und „Borrowed Time“. Letzterer Klassiker ist dann auch nur mit ‚The Heat Of The Night‘ vertreten, während die beiden o.g. Alben neueren Datums immerhin dreifach zum Zuge kommen. Im Endeffekt haben die Mannen um Brian Tatler es also hinbekommen, einen guten Mix aus alten und neuen Titeln zusammenzustellen. Am Ende ist  es aber selbstredend „Lightning…“ und speziell das Abschlussdoppel aus ‚Helpless‘ und ‚Am I Evil‘, welches die Halle so richtig zum Beben bringt. Gänsehaut pur.

 

Am nächsten Tag ließen sich einige Leute, mit denen ich meine Begeisterung über den Headliner-Gig von SAXON teilen wollte, ungefähr so ein: „Ach weißte, ich hab‘ Saxon schon soooo oft gesehen, ich bin schon früher abgehauen.“ Freunde der Sonne, was stimmt nicht mit euch?! Auch ich habe diese Band im Laufe der Jahre schon unzählige Male live erlebt und nie hat sie mich enttäuscht oder gar gelangweilt. Was könnte nach all den Entbehrungen der letzten beiden Jahre schöner sein, als die Helden seiner Jugend und damit sich selbst mal wieder so richtig hochleben zu lassen?! Und verdammt, was haben die alten Herren wieder abgeliefert! Allen voran Biff Byford, an dem seine Herzerkrankung völlig spurlos vorbeigegangen zu sein scheint und der gewohnt souverän durch ein Programm führt, das nur aus Hits besteht. Dazu mit Quinn/Scarratt das hinter Satan wohl beste Gitarrentandem des Festivals, Drum-Uhrwerk Nigel Glockner und Bewegungswunder Nibbs Carter am Bass. Gemeinsam bringen diese fünf die Posthalle zum Beben. Evergreens wie ‚Wheels Of Steel‘, ‚Strong Arm Of The Law‘ ‚Princess Of The Night‘, ‚747‘ oder ‚Crusader‘ werden aus hunderten Kehlen mitgesungen und selbst die bei Fans der ersten Stunde eigentlich ungeliebten ‚Broken Heroes‘ und ‚Ride Like The Wind‘ oder die beiden Stücke vom aktuellen „Carpe Diem“-Album (‚The Pilgrimage‘ als Zugabe und der Titeltrack) kommen heute super an. Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen und Freudentränen fließen, ein einziger Triumphzug! Ein kleiner Wermutstropfen ist lediglich, dass von der Zeit her eigentlich noch ein oder sogar zwei Songs drin gewesen werden, aber das verbuchen wir großzügig unter Altersteilzeit.

Sonntag, 2. Oktober

Und täglich begrüßt uns das Würzburger Murmeltier mit Bindfäden artigem Regen, der den viertelstündigen Fußweg zur Posthalle nicht eben Vergnügungssteuer pflichtig gestaltet. IRON FATE entschädigen alle Frühaufsteher jedoch mit astreinem US-Metal made in Goslar. „Crimson Messiah“, das letzte Album der Jungs, hatte mich ja schon begeistert, aber was sie heute hier abziehen, ist ganz großes Kino. Vor allem Sänger Denis Brosowski klingt noch besser als aus der Konserve und beschwört mehr als einmal selige Geoff Tate- und Tom Mallicoat-Momente herauf. Als man dann auch noch ‚Walk In The Shadows‘ als Zugabe bringt, steht für mich fest, dass dies hinter Jogi von Sieges Even die beste Gesangsleistung eines deutschen Sängers ist, der ich je live beiwohnen durfte.

Bei TENTATION holt mich dann wiedermal meine metallische Frankophobie ein. Wo Andere von der Einzigartigkeit von Bands wie Trust, Sortilege und wie sie alle heißen, schwärmen, lässt mich Metal made in France schon immer völlig kalt. Ganz grauselig wird es, wenn auch noch in der Landessprache gesungen wird. Nicht falsch verstehen, ich mag Land, Leute und Sprache eigentlich, aber mein Heavy Metal ist einfach frei davon. Daran ändert leider auch dieser Auftritt nichts, je suis desole (Nicht mal die Accents kriege ich mit meiner Tastatur hin!).

Mit TYTAN steht im Prinzip die gestrige Mannschaft von Kev Riddles‘ Baphomet plus Keyboarder Andy Thompson abermals auf den Brettern. Der Sound unterscheidet sich freilich grundlegend von den gestrigen Angel Witch-Klassikern. Gitarrist Chris Borsberry muss viel weniger auf seinen Harmonizer zurückgreifen, da TYTAN-Songs wie ‚Blind Men And Fools‘ oder ‚The Watcher‘ von Hause aus nur auf eine Gitarre ausgelegt sind. Trotzdem ist er, neben Sänger Tony Coldham und Kevin Riddles himself, wieder Dreh- und Angelpunkt der Show. Da man am Day Off gestern noch ein Festival in Frankreich dazwischengeschoben hat, kann man mit Fug und Recht von einem vollen Working Weekend dieser Herren sprechen.

TORCH sind tatsächlich die einzige schwedische Band im diesjährigen KIT-Rising-Billing und dazu noch eine, die man nicht allzu oft live bewundern darf. Mit Lasse Gudmundsson hat man einen neuen Frontmann am Start, der diese Aufgabe recht souverän meistert. Bei der Songauswahl hat man das Hauptaugenmerk auf das selbstbetitelte 83iger Debütalbum gelegt. Und so erfreuen wir uns an ‚Battleaxe‘, ‚Beauty And The Beast‘, ‚Sweet Desire‘ und der Doublette ‚Watcher Of The Night‘/ ‚Warlock‘ zum Abschluss des Sets. Optisch sind die Schweden mit dem riesigen Backdrop ihres letzten Albums ‚Reignited‘, von dem allerdings nur ‚Knuckleduster‘ als Opener und ‚Collateral Damage‘ gebracht werden, ganz weit vorn.

Danach entern CLOVEN HOOF die Bretter, die die Welt bedeuten und ich frage mich, wer da am Mikro steht. Gut, dass ich Experten kenne, die mir diese Frage beantworten können: Der Mann heißt Chris Dando und ist ein sympathischer Typ, der seine Sache gut macht, aber George Call weder gesanglich noch optisch adäquat ersetzen kann. Was dessen Rauswurf angeht, kann ich nur mutmaßen, dass es mit seinen mehr als fragwürdigen Äußerungen in den sozialen Netzwerken und politischen Ansichten zusammenhängt, lasse mich aber auch gerne korrigieren. Vom Original Line-up ist ohnehin nur noch Lee Payne übrig, der es heute nochmal richtig wissen will, dabei aber zumindest einmal ins Wanken gerät und mit dem Hosenboden auf dem Drumriser landet. Nix passiert. Songtechnisch bleibt man in den Achtzigern, obwohl man auch in den letzten Jahren viele gute Alben veröffentlicht hat.

Was jetzt kommt, ist leider der Tiefpunkt des Festivals und betrifft ausgerechnet zwei deutsche Bands: GRAVESTONE und Tyrant. Ich muss vorwegschicken, dass deutsche Eigengewächse, bis auf wenige Ausnahmen wie Accept, Helloween, Angel Dust und Destruction, bei mir in den Achtzigern nie einen leichten Stand hatten. Ausgerechnet die beiden heutigen Teutonenkapellen gehörten seiner Zeit aber durchaus zu meinen Faves und ich habe mich wirklich auf ihre Auftritte heute gefreut. Von Gravestone lege ich beispielsweise „Back To Attack“ immer noch gerne auf, aber selbst das Titelstück, ‚Tiger‘ und ‚I Love The Night‘ können mich heute nicht packen. Zu bieder und kraftlos kommen die Bayern daher, so dass der Funke auch beim neuen Song ‚Flames‘ nicht überspringen will (Pun intended!).

Bei TYRANT ist es dann noch schlimmer. Was haben wir damals auf deren Partyhits ‚Making Noise And Drinking Beer‘ und ‚I Wanna Make Love‘ abgefeiert und nun werden beide Songs zum Grande Finale so saft- und kraftlos dargeboten, dass sich nicht mal mein Fuß im Takt bewegen will. Dabei kann man der Band nicht mal vorwerfen, dass sie nicht enthusiastisch zu Werke gingen. Besonders der Bassist lässt seiner Begeisterung freien Lauf, allerdings ist das eher zum Fremdschämen. Es tut mir wirklich leid, aber ich bin echt erleichtert, als das Ganze dann endlich vorbei ist und der neue Song ‚Spacetrain‘ kann mich da auch nicht umstimmen. Allerdings sei gesagt, dass es auch durchaus positive Publikumsreaktionen gab und Tyrant insbesondere bei den nicht gerade wenigen anwesenden Fans aus Südeuropa und Südamerika anscheinend Kultstatus besitzen.

Umso größer ist die Vorfreude auf meine geliebten SATAN. Doch leider verzögert sich deren Auftritt, weil es (mal wieder) Probleme beim Flug gibt. Keine Ahnung, warum das immer bei diesen Herren aus Newcastle passiert, muss wohl am Namen liegen. Irgendwann geht es dann endlich mit ‚Trial By Fire‘ los und Brian Ross lässt es sich trotz der fortgeschrittenen Stunde nicht nehmen, immer wieder zu seinen berühmt berüchtigten Monologen anzusetzen, in denen es dann auch noch immer um Zeitreisen zu gehen scheint. Britischer Humor halt. Immerhin kommen die Jungs auf insgesamt zehn Songs, bei denen der Schwerpunkt auf „Court In The Act“ liegt. Neues Material der letzten beiden Alben und zwei Stücke des ultimativen Metal-Albums der Neuzeit „Life Sentence“ kommen dazu. Überhaupt gehört SATAN für mich zu den wenigen Bands, die heutzutage besser sind als in den Achtzigern. Das gilt für alle Bandmitglieder und vor allem für das Songwriting. Egal ob ‚Twenty Twenty Five‘, ‚Into The Mouth Of Eternity‘ oder ‚Burning Portrait‘, keines der jüngeren Stücke muss sich hinter ‚Alone In The Dark‘, ‚Break Free‘ oder ‚Blades Of Steel‘ verstecken, im Gegenteil! Okay, nicht wenige Fans wünschten sich Tracks der Michael Jackson-Ära, aber von „Into The Future“ und „Suspended Sentence“ wird von diesem Line-up wohl niemals etwas live zu hören sein. Vielleicht machen Steve Ramsey und Russ Tippins ja irgendwann nochmal was in der Richtung und integrieren gleich noch ihre Blind Fury-Phase. Insgesamt waren Satan und ihr Sound heute ein wenig unterdurchschnittlich für ihre Verhältnisse, was am Verspätungsstress gelegen haben dürfte. Am Ende des Tages gilt allerdings wie üblich: Satan ist Gott.

Man sah Todd Michael Hall schon vorher Smalltalk haltend und für Selfies posierend durch die Halle schlendern. Dieser Typ ist einfach too good to be true. Der Mister Perfect des Metal: Engelsgesicht umrahmt von Engelshaar, Oberkörper eines Schwimmolympioniken, Stimme eines Metalgotts und in den USA mittlerweile ein Star. Trotzdem ist der Gute anscheinend total bodenständig geblieben. Die gesamte RIOT V-Mannschaft ist eine ultra sympathische Truppe und führt das Erbe von Mark Reale & Co voller Würde und Anmut fort. Obschon vom original „Thundersteel“-Line-up nur noch Bassist Don Van Stavern dabei ist, gerät die Präsentation dieses epochalen Meilensteins heute zu einer Sternstunde der nicht eben Höhepunkt armen KIT-Festivalgeschichte. Zu dick aufgetragen? Mit Nichten! Selbst Todd stellt nach dem Opener fest, dass es merkwürdig ist, mit dem Titelstück zu beginnen, da es normalerweise immer erst im Zugabenteil platziert ist, aber „Thundersteel“ hat noch so viel mehr zu bieten: ‚Fight Or Fall‘ – eine Hymne vor dem Herrn, ‚Flight Of The Warrior‘ – ein Refrain zum Niederknien, ‚On Wings Of Eagles‘ – Entenpelle ohne Ende!…und…und…und… Man kommt aus dem Bangen, Fistraisen und Mitsingen gar nicht mehr raus. Und auch die Zugaben haben es in sich: Zuerst das einzige Stück vom Riot V-Album „Armor Of Light“, dann ‚Magic Maker‘ mit Harry Conklin als Gastsänger, danach das unvermeidliche ‚Swords And Tequila‘ und zum Schluss ‚Warrior‘. Ohne Wenn und Aber das Highlight des gesamten Festivals. Punkt. Aus. Ende.

Und schlagartig fühle ich mich ins Jahr 1985, ins Amphitheater auf der Loreley zurückversetzt. Damals waren es Metallica, noch mit Cliff Burton am Bass, die Venom die Show gestohlen hatten. Heute sind es Riot V, die so ein Brett hingelegt haben, dass VENOM INC. eigentlich gar nicht mehr auftreten müssten, weil das Beste ja bekanntlich immer am Schluss kommt. Doch das Trio um Venom-Urgestein Mantas schafft es tatsächlich, die Posthalle nochmal so richtig zum Kochen zu bringen. Alleine die vielen Pyros und das martialische Zertrümmern der Instrumente am Ende der Show wirken im Zeitalter von Nachhaltigkeit und Vernunft so aus der Zeit gefallen, dass man aus dem Schmunzeln kaum mehr rauskam. Aber der Kampfname Demolition Man kommt nun mal nicht von ungefähr und so droht der Sänger/Bassist schon mit den ersten drei Songs ‚Witching Hour‘, ‚Die Hard‘ und ‚Black Metal‘ ganz Würzburg in Schutt und Asche zu legen. Im Fotograben muss ich mich immer wieder vor fliegenden Fäusten, Nietenarmbändern und Haaren wegducken. Die Frontrow geht ab wie seiner Zeit auf der Loreley, nur dass es nicht mehr die alten Säcke der Venom Legions Germany, sondern größtenteils junge Metalheads aus aller Herren Länder sind, die völlig ausrasten. Für mich persönlich war damals nach dem zweiten Album Schluss, so dass ich vor allem satanische Evergreens wie ‚Buried Alive‘, ‚Welcome To Hell‘ und das immer noch saugeile ‚In League With Satan‘ abfeiere. Danach ist bei mir zugegebener Weise die Luft raus und die Beine und vor allem der Kopf werden nach drei Festivaltagen immer schwerer. ‚Bloodlust‘ heißt dann bei mir Bettlust und ich schleppe mich noch gerade so die viertel Stunde zu Fuß zum Wohnmobil, wo ich sofort in einen komatösen Schlaf falle.

Am nächsten Morgen ist nichts mehr wie es war. Zunächst einmal regnet es nicht. Auf der Fahrt nach Hause gehen mir allerlei Gedanken durch den Kopf: „Vielleicht hättest Du doch was von Band X oder Y kaufen sollen.“, „Wo waren eigentlich X und Y, die wollten doch auch zum KIT?“, „Ob Satan wohl gut nach Hause kommen oder ob wieder irgendeine Flugpanne passiert?“, „Warum haben eigentlich Raven nicht gespielt?… Da überholt mich ein Golf mit Kölner Nummer „K-IT XY…“ und ich muss herzhaft lachen. Es war ein glorreiches Festivalwochenende, an das sich alle Anwesenden noch lange mit einem Lächeln erinnern werden. Vielen Dank allen, die das möglich gemacht haben, an erster Stelle natürlich Oli und seiner Keep It Crew!

 

Text: Alex Fähnrich

Fotos: Mario Lang