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HARKON – Inspiration findet sich im Menschsein

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Björn Gooßes dürfte vielen von Euch nicht nur durch sein musikalisches Schaffen mit Night in Gales, The Very End und HARKON, um die es heute in erster Linie geht, bekannt sein, sondern auch durch sein Wirken als Coverkünstler und Mediendesigner bei Killustrations. Das brandneue HARKON-Album „Love And Vore“ ist beim Schweizer Kultlabel Doc Gator Records erschienen und damit auch gleich auf Vinyl erhältlich. Wie es zu der Zusammenarbeit zwischen Band und Plattenfirma kam und alles Weitere zur Entstehung von „Love And Vore“ erfahrt Ihr in diesem Interview.

Alex: Erstmal Glückwunsch zu einem sehr gelungenen Debütalbum, Björn! Seit eurer EP sind  sechs Jahre vergangen, in denen das Line-up stabil geblieben ist. Was hat den  Entstehungsprozess von „Love And Vore“ trotzdem relativ lang werden lassen? Ich nehme  an, das große C hat da eine Rolle gespielt, aber auch deine zweite Band The Very End, mit  denen du 2021das letzte Album veröffentlicht hast… 

Björn: Vielen lieben Dank! Die sechs Jahre zwischen „Ruins Of Gold“ und „Love And Vore“ fühlten  sich deutlich kürzer an. Klar, Corona bremste uns etwas aus, da wir zumindest den Feinschliff  des Songwritings ganz klassisch im Proberaum machen. Die Dynamik zwischen uns vieren,  wenn wir gemeinsam in einem Raum Musik machen, kann von keiner noch so motivierten  Homerecording-Session ersetzt werden. Aber zwischen Albumproduktion und  Veröffentlichung liegt ja auch immer ein ganzes Weilchen. Das Album war im April 2024  komplett fertig produziert. Eine kleine, neue Band braucht aber nunmal ein Weilchen, ein  Label zu finden, und so vergingen dann nochmal anderthalb Jahre, bis „Love And Vore“ dann  endlich am 31.10.2025 rauskam. Am Ende des Tages wollten wir uns aber auch in keiner  Phase stressen, sondern allen Songs auch eine gewisse Reifezeit einräumen. Gerade bei  einem Debutalbum einen Schnellschuss abzugeben, ergibt ja keinen Sinn. Dass wir alle auch  ein Leben neben der Musik haben und drei von vier Bandmitgliedern selbständig sind, trägt  zugegebenermaßen wohl auch einen Teil dazu bei, dass wir nicht die allerschnellsten sind.  Aber ich denke, „Love And Vore“ beweist recht deutlich, dass gut Ding manchmal Weile  haben will! 

Alex: Was mir als gelernter Englischlehrer bei „Love And Vore“ gleich aufgefallen ist, waren die  ungewöhnlichen Wortspiele im Albumtitel und im Songtitel ‚Thistleblower‘. Wie kamst du  darauf und wie gehst du allgemein beim Texten vor? Was inspiriert dich sprachlich und  auch inhaltlich? 

Björn: Als ich damals bei Night In Gales eingestiegen bin, wollte ich einen eigenen Stil entwickeln,  Songtexte zu schreiben und habe speziell bei „Thunderbeast“ (1998) und „Nailwork“ (2000)  derartige Wortspiele auf die teilweise bewusst absurde Spitze getrieben. Nach meinem  Ausstieg bei Night In Gales wollte ich diesen Stil jedoch nicht „mitnehmen“, sondern bei  meinen anderen Bands einen anderen, teilweise bewusst simpleren Ansatz verfolgen.  Dennoch lassen mich bisweilen solche kleinen Spielchen nicht los. Sie finden nur wohl etwas  subtiler statt. „Love And Vore“ zum Beispiel ist ja keine neue Wortfindung, sondern basiert  vielmehr auf der fast identischen Aussprache des allseits bekannten „Love And War“, aber  eben mit einem Twist, der vom Frontcover visualisiert wird. „Vore” ist die englische Kurzform von „Vorarephilie”, abgeleitet vom lateinischen „vorare” (schlucken oder verschlingen) und  dem altgriechischen φιλία (philía, Liebe). Die abgebildete herzförmige Geschenkbox ist  ziemlich abgenutzt und wird von diesen schmutzigen, gierigen Händen heftig bedrängt. Das  zeigt, dass wir jeden Tag um alles kämpfen müssen, was uns lieb und teuer ist, und dass es manchmal nur ein schmaler Grat ist zwischen dem Einsatz aller Kräfte, um sich über Wasser  zu halten, und dem Verschlungenwerden im Strudel der Liebe und Gier. Und Inspiration  findet sich genau dort: Im Menschsein, mit all seinen Unzulänglichkeiten, Ängsten, Freveln  und Abgründen. 

Alex: Wenn du einverstanden bist, würde ich gerne mehr über meine Lieblingssongs auf dem  Album erfahren. Da wäre zunächst das explosive Eröffnungsduo ‚Watch The World Go By‘  & ‚Double Down‘, dann ‚Disconnected‘ (wegen des gleichnamigen Albumtitels meiner  Lieblingsband), die Powerballade ‚The Errorist‘ und ‚The Disease‘. Natürlich kannst du auch  gerne etwas zu deinen persönlichen Albumfaves sagen. 

Björn: Meine persönlichen „Love And Vore“-Faves wechseln, und das halte ich für ein sehr gutes  Zeichen. Deine Auswahl ist aber auch sicher nicht die schlechteste. “Watch The World Go By” handelt davon, auch in dem steinigen Weg, der vor einem liegt, dessen Schönheit zu sehen –  selbst wenn es dazu manchmal nötig ist, die Aussenwelt mit all ihrem Chaos und Schmerz an  sich vorbeiziehen zu lassen. “The Errorist” befasst sich damit, Fehler nicht als Versagen zu  sehen, sondern als Chance. Jeder Mensch macht Fehler – Man kann aber durch sie lernen, zu  sich und in einer immer gespalteneren Welt vielleicht auch wieder zueinander zu finden, und  dabei den wahren Terror vom vermeintlichen Error unterscheiden. “Double Down” setzt ein  Ausrufezeichen für Dich selber. Für eine gesunde Portion Selbstliebe, wenn Du Dich in Gefahr siehst, von all den Lebenskämpfen in den Staub getreten zu werden. Denn manchmal spürt  man gerade in den beschissensten Zeiten, dass man noch lebendig ist und denkt sich “Jetzt  erst recht!”. “The Disease” ist weniger positiv. Auch wenn die Menschheit Großartiges  hervorgebracht hat und liebevolle zwischenmenschliche Verbindungen vielleicht sogar sowas wie der Sinn des Lebens sind, so glaube ich, dieser wunderschöne Planet wäre ohne die  Menschheit besser dran. Wir sind die Krankheit. 

Alex: Was bei „Love And Vore“ noch auffällt, ist die absolut professionelle Darbietung des  Ganzen, von der Produktion, über das Cover bis hin zum Marketing. Auch wenn du das  tolle Cover natürlich selbst gemacht hast, hat diese hohe Professionalität sicher ihren Preis. Wie wichtig ist dir das und was hältst du von dem Trend, dass viele Bands heutzutage  lieber kostengünstig mit KI & Co arbeiten? 

Björn: Erstmal Danke für die Blumen! Ein Album ist für mich immer ein Gesamtkunstwerk, das  mit einer entsprechenden Sorgfalt bedacht werden sollte. Natürlich thront die Musik über  Allem, und ich selber kann auch Alben genießen, die ein meines Erachtens grässliches  Artwork und/oder schräge Texte haben, wenn mir die Mucke was gibt – Aber der Idealfall ist doch, wenn alles ineinandergreift und sich gegenseitig pusht. Wenn Musik & Texte  sich gegenseitig erzählen und das Artwork das Ganze eben noch visualisiert. Das Thema generative K.I. ist ein Abendfüllendes, zu dem ich als Bildgestalter natürlich  auch eine klare Meinung habe, aber ich versuche, mich halbwegs kurz zu fassen: Aus  vielen Lebensbereichen ist K.I. aus gutem Grund nicht mehr wegzudenken. Sie darf  gerne meine Steuererklärung machen oder Krebs heilen. Aber generative K.I. ist halt ein  anderes Thema. Aus Kunst sollte sich diese meines Erachtens heraushalten. Kunst ist eine  der ursprünglichsten, intuitivsten Ausdrucksformen von Menschen. Von Höhlenmalerei bis zu Hollywood-Blockbustern, von archaischen Trommeln bis zu epischen Opern, von  rudimentärer Sprache zu erhabener Poesie, von Stammestänzen zu Ballet, und so weiter und  so fort.

Kunst ist etwas, das uns seit jeher zu Menschen macht. Wenn Maschinen und  Algorithmen Kunst übernehmen, verlieren wir einen bedeutenden Teil unserer  Menschlichkeit. Das Budget mag bei einigen Alben eine Rolle spielen, aber es gab und  gibt immer eine Alternative zu generativer K.I. – und das günstig bis gratis. Einem  vielleicht schlechten, aber menschgemachten Artwork gegenüber bringe ich jedenfalls mehr Respekt auf als jeglichen K.I.-generierten. Egal ob schlichtes Foto, Krakelzeichnung der Nichte des Drummers oder schwarzes Logo auf schwarzem Grund – Alles ist besser  als A.I. Slop. Gerade in unserer Stromgitarren-Bubble, die sich so oft mit Authentizität und Integrität rühmt, wirken K.I.-generierte Bilder für mich in höchstem Maße paradox. Von  dem moralischen Dilemma hinsichtlich des ökologischen Fußabdrucks (Wahnwitziger  Strom- & Wasserverbrauch der Serverfarmen, Klickfarmen mit fragwürdigen  Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern etc.) und der Tatsache, dass das Ganze auf  milliardenfachem Datenmissbrauch und der Ausbeutung menschgemachter Kunst basiert,  ganz abgesehen, schreit ein K.I. Artwork für mich nach Achtlosigkeit, Ignoranz und  Desinteresse – was im totalen Gegensatz dazu steht, dass man meines Erachtens  seinem Album als Gesamtkunstwerk mit dem entsprechenden Respekt begegnen sollte. 

Alex: Mit Doc Gator Records habt ihr neuerdings ein namhaftes Undergroundlabel im Rücken,  das sich auf die Veröffentlichung von Vinyl spezialisiert hat. Wie kam es zu der  Zusammenarbeit und was erhoffst du dir davon? 

Björn: Oli und Frank, die beiden leidenschaftlichen Freaks hinter Doc Gator Records, mochten das  Album einfach sehr. Sie haben uns weder das Blaue vom Himmel versprochen, noch den  Eindruck vermittelt, als müsse man seine Seele verkaufen und begegnete uns von  vornherein auf Augenhöhe. Mehr wollen wir gar nicht. Und die Zusammenarbeit verläuft  bisher sehr positiv. Wir erhoffen uns von der Zusammenarbeit ganz einfach, dass „Love And  Vore“ möglichst viele Hörer*innen findet, denn das hat das Album zweifelsohne verdient. 

Alex: Euer Sound wird mit den Attributen „progressive“ und „melodic“ vermarktet. Beides trifft  sicher zu, gleichwohl seid ihr nicht wirklich leicht zu kategorisieren. Wenn ich eine  Referenzband nennen sollte, wäre dies tatsächlich Greydon Fields, die ja quasi eure  Nachbarn sind und für die du mit Killustrations auch bereits covertechnisch tätig warst.  Kannst du das nachvollziehen und wie würdest du selbst euren Stil beschreiben? 

Björn: Seine eigene Musik zu beschreiben oder gar zu kategorisieren, ist meistens total für’n Arsch.  Zumindest, wenn man so zwischen den Stühlen sitzt wie Harkon. Klar ist das manchmal auch  schwierig für die Promo-Maschinerie, aber für die macht man ja keine Mucke. Scheint irgendwie Segen und Fluch zugleich zu sein, aber wir machen einfach das, was wir für gute  Musik und stimmige Songs halten. Ob das nun Heavy Metal, Hard Rock, Prog, Power Metal  oder wie auch immer genannt wird – vor allem, da wir sicherlich Elemente all dieser Spielrichtungen einbauen, ist mir am Ende des Tages eigentlich total egal. Klar brauchen die  Leute eine grobe Umschreibung, wenn sie ne neue Band noch nicht gehört haben. Aber da zu  sehr ins Detail zu gehen, führt bisweilen eher in die Irre. Daher rate ich allen  Musikinteressierten, einfach immer in möglichst viel neuen Kram reinzuhören, völlig  unabhängig von irgendwelchen Beschreibungen. Würde ich mich lediglich auf letztere  verlassen, wären mir bereits viele musikalische Schätze entgangen. 

Alex: Neben deinem prägnanten Gesang und deinen Texten prägt vor allem Volker Rummel als  Songwriter die Geschicke bei HARKON. Er war ja auch mal bei The Very End mit dir aktiv.  Warum klappte die Zusammenarbeit dort anscheinend nicht mehr und warum funktioniert  es in der jetzigen Konstellation offensichtlich so gut? Außerdem sind noch Marcel Willnat am Bass und Lars Zehner am Schlagzeug Teil der  HARKON-Mannschaft. Marcel habe ich tatsächlich schon mit Adrian Weiss live erlebt und  kenne ihn auch von Forces Art Work. Lars war mir bis hierher unbekannt, aber ich mag sein Spiel auf „Love And Vore“. Was sind das für Typen und was macht sie für HARKON so  wichtig?

Björn: Die Zusammenarbeit mit Volker funktionierte bei The Very End bis zu seinem Ausstieg  hervorragend. Das hatte einfach andere Gründe. „Leben ist das, was passiert, während wir  dabei sind, andere Pläne zu machen“, sagte John Lennon und hatte ziemlich recht damit,  denke ich. Auch nach seinem Ausstieg kam Volker z.B. für ein paar Unplugged-Shows zurück  zu The Very End. Und gerade weil wir immer gut harmonierten, natürlich vor Allem im  Kreativen, fanden wir bei Harkon wieder zusammen. Lars müsstest Du eigentlich auch mit der Adrian Weiss Band gesehen haben, denn da ist er  auch der Drummer. Ausser Du warst bei einer der wenigen Shows, bei denen er von Sabir  (Auch ehemals Forces At Work) ersetzt wurde. All unsere Wege kreuzten sich bereits  mehrfach vor Harkon. Marcel spielte zum Beispiel Bass bei Bleed, mit denen wir die allererste The Very End Show gespielt haben damals. Fun Fact: Deren Drummer war Harkon-Produzent  Cornelius Rambadt und deren Gitarrist der zwischenzeitliche The Very End Soundmann  Helge, der wiederum gemeinsam mit Corny das erste The Very End Album mixte. Der  Heavy-Metal-Stammbaum ist halt ein Kreis. Typen sind wir alle vier richtig hervorragende! Und haben darüber hinaus eben auch eine  großartige musikalische Chemie, sprechen individuelle, aber kompatible und harmonierende  kreative Sprachen. Jeder trägt also seinen gleichwertigen Teil dazu bei, Harkon zu dem zu  machen, was es ist. Ganz klar. 

Alex: Zuletzt würde mich noch interessieren, wo man HARKON mal live erleben kann. Sind  vielleicht eine kleine Tour oder Festivalauftritte geplant? 

Björn: Ne Tour wäre schön, scheint mir aber aktuell ausser Reichweite. Selbst für etablierte Bands  ist das Livegeschäft ja nicht gerade einfacher geworden und viele größere Acts beschränken  sich auf Weekender statt längere Touren. Zwei Festivals haben wir für 2026 aber immerhin schon bestätigt. Davon wurde das Krawall’o’Rock Open Air in der schönen Eifel bereits  veröffentlicht, bei dem wir uns die Bühne mit so illustren Acts wie Destruction, Tankard,  Grave Digger, Motorjesus, Ghosther und vielen mehr teilen dürfen. Wir sind natürlich offen  für Bookinganfragen, pflegeleicht und handzahm – Also meldet euch! 

Alex: Bonusfrage – Falls ich irgendetwas nicht gefragt habe, was du gerne beantworten würdest,  kannst du das gerne an dieser Stelle loswerden. Mich als Hundehalter würde zum Beispiel  interessieren, wie Karlsson in dein „Metal-Leben“ passt. Nimmst du ihn manchmal zu  Konzerten oder anderen Terminen mit?  

Karlsson hört meistens Bark-Core. Wenn er nicht gut drauf ist, auch mal ne Katzenjammer Operette. Aber Harkon is ihm zu peinlich. Deshalb nehme ich ihn auch nicht mit zu Proben  oder Konzerten. Bei anderen Terminen meines „Metal-Lebens“, zum Beispiel bei  Fotoshootings für Albumartworks, drängt er sich allerdings auch sehr gerne mal in den  Mittelpunkt!

Wer jetzt Bock auf „Love And Vore“ bekommen hat, sollte sich die Scheibe am besten direkt beim Label Doc Gator Records bestellen. Dort gibt es noch mehr hörenswertes Vinyl in verschiedenen Farben und zu fairen Preisen.

Interview: Alex Fähnrich
Photocredits: Sebastian Freitag, Janine Crepulja (live)