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DEZPERADOZ im Mondschein – Erste Eindrücke vom neuen Album

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Eine Einladung zu einer Pre-Listening-Session kann man förmlich nicht ausschlagen. El Puerto Records, das neue Label der Hillbillie und Country Rocker DEZPERADOZ lädt ein. Da kann man nicht „Nein“ sagen. Eigentlich kenne ich die Band bislang noch nicht. Aber dem Sänger Alex Kraft durfte ich schon begegnen. Wir hatten schon einmal eine kleine Diskussion zum Thema Sinn und Unsinn von Cover- beziehungsweise Tribute Bands, schließlich ist er auch Teil der Dirty Deeds. Dazu sagt er auch selber: „Mit der und den alten AC/DC Songs machen wir in Heidelberg die Halle 02 voll. Das dürfte uns mit den DEZPERADOZ nicht gelingen.“ In einem muss man ihm auch zustimmen, die Dirty Deeds sind nicht irgendeine AC/DC-Band. Sie spielen die alten Gassenhauer schon irgendwie, als wären es ihre eigenen. Und auf die Schuluniform wird komplett verzichtet.

Also machen wir uns auf den Weg nach Dossenheim, neben mir auch ein Kollege des Break Out Magazins. Das kleine und gemütliche Städtchen an der Bergstraße zwischen Heidelberg und Weinheim zu Füßen des Odenwald ist das Zuhause des Sängers. Hier hat er sein Studio. Nein, nicht nur Studio. Die Musikwerkstatt Alex Kraft ist eben auch Probenraum und Musikschule. Er arbeitet darin nach einem besonderen Konzept. Nicht nur sollen die Schüler lernen, ein Instrument zu beherrschen. Vor allem lernen sie hier auch das gemeinsame Spielen. Das ist auch für mich immer ein gewichtiger Teil gewesen beim Musik machen, das gemeinsame Tun. Musik machen ist nun mal auch eine Sache von Herzblut, da geht es nicht nur ums Geld verdienen, das gehen viele heute Anwesende von Band und Journaille d’accord.

In den Räumen hier ist ganz sicher Musik zu Hause. Zwei Klaviere stehen hier, an den Wänden hängen unzählige Gitarren, Bässe sogar eine Mandoline. Ein elektronisches Drumset ist zu sehen und diverse Studiotechnik. Hier wird Musik gelebt. Zwischen den Instrumenten findet man auch Fachliteratur, daneben hängen Plakate vergangener Touren der DESPERADOZ. Tourpässe und andere Erinnerungsstücke ergänzen das Interieur.

Als endlich alle versammelt sind, scharen sich alle in einem Raum. Mit Getränken versorgt wollen wir nun alle zum ersten Mal das neue Album „Moonshiner“ hören. Alex schickt ein paar erklärende Worte voraus: „Um ein Album, einen Song schreiben zu können brauche ich erst eine Idee, ein Thema. Während andere um ein Riff oder eine Melodie komponieren, brauche ich erst einen Inhalt. Das entwickelt sich wie das Drehbuch eines Filmes. Ein paar Überschriften auf einer Tafel, danach füllt sich alles von selbst.“

Alex erklärt fesselnd. Und er nähert sich nun dem aktuellen Album an. „Die Arbeit begann während der Corona-Zeit. Mir fiel auf, wie vieles nicht erlaubt war. Das erinnert an eine andere Krisenzeit. Während der Wirtschaftskrise und Prohibition, als Alkoholschmuggel in den Staaten üblich war. Feiern war kaum möglich, aber gewollt.“ Und schon sind alle im Thema und beim ersten Song. „Wir lieben Intros. Dieses Mal ist es sehr kurz geraten, für unsere Verhältnisse geht es recht schnell in die erste Nummer.“ Alle sitzen wir gespannt und mit Songtiteln und Kugelschreiber bewaffnet vor den Lautsprechern im Technikraum. Los gehts!

´Evil Wayz´ wird eingeleitet mit Schüssen, Polizeisirene und Glockenschlägen. Und direkt leitet ein starkes Riff in einen endgeilen Stampfer. Das ist schon klassischer harter Rock, ein paar Southern Motive schwingen mit. Als es in den Instrumentalteil geht bin ich innerlich noch mehr angetan. Das Ding ist wirklich heavy. Inhaltlich geht es um John Dillinger, einen der letzten Gunmen, der eine Karriere als Gangster und Killer gemacht hat.

Ein Begriff aus der Alkoholschmuggelei ist der Titelgeber für den zweiten Song, ´Runnin‘ Shine´. Der Beginn eher harmlos mit Slide, Mundharmonika und Mandoline, ehe wir eine echte Popnummer um die Ohren bekommen, die ebenso viel Pop-Appeal mit sich bringt wie einige Klassiker von Boss Hoss. Nur härter. Weit härter. Spannend zu erfahren, als Alex zum Song erzählt, dass schon vor der Prohibition in manchen Bundesstaaten Alkohol nur in Apotheken verkauft wurde. Jetzt weiß ich auch, warum man von „tanken“ spricht, wenn sich jemand besäuft. Hat nicht Bertha Benz bei ihrer berühmten Ausfahrt von Mannheim nach Pforzheim in Apotheken ihren Sprit kaufen müssen?

Zu ´Straight Between The Eyes´ erzählt Alex, wie er erstmals Tom Angelripper getroffen hat. Da gab es wohl auch ein berüchtigtes Getränk namens Cop Killer, das neben Alkohol auch Lakritz enthielt. „Das sah aus wie Altöl. Und gut, dass ich Lakritz mag…“ Klar, hier taucht Tom als Duettpartner auf.  Das kann die Nummer auch vertragen mit ihrem starken Motörhead Speed und Punkeinschlag. Dazu kommt die Cowbell. Immer schön auf die Viertel geht die ´Straight Between The Eyes´.

Und, Leute, es wird noch besser. Das obere Ende der Begeisterungsskala ist noch nicht erreicht. Mit dem Titelsong ´Moonshine´ nähern wir uns aber schon. „Moonshiner“ waren die Alkoholschmuggler. „Das waren die ersten, die ihre Autos getunt haben. Aus dieser Tradition des Schmuggels entstammen auch die Stock Car Rennen, da damals schon jeder zeigen wollte, was er und sein Auto kann.“ So erzählt Alex, bevor uns ein Mix aus verdammt viel ZZ Top und Lynyrd Skynyrd um die Ohren fliegt. Etwas weniger hart als bisher, so tut die leichte Entspannung doch recht gut. Der verspielte Soloteil dürfte länger sein und ruft förmlich nach langen Live-Jams.

Es folgt das verschobene Intro. Das kurze wunderschöne Instrumental klingt wirklich absolut nach Spaghetti-Western und Ennio Morricone und entführt an die ´Mexican Border´. Das macht Kopfkino. Und auch hier hat Alex wieder eine Anekdote am Start. Ja, wir kennen alle „Highway To Hell“. „So wurde die Straße aus den Staaten hinüber nach Tijuana genannt, eine, wenn nicht gar DIE Schmuggelroute zu Zeiten der Prohibition.“

Der wunderschöne Hillbillie-Blues ´Man Of Constant Sorrow´ ist ein Cover und dürfte vom Soundtrack des wunderbaren „Oh Brother, Where Are Thou?“ bekannt sein. Ich bin an einem Punkt, ich denke, wie schade es ist, die Truppe bis jetzt noch nicht zu kennen. Und wie cool es ist, sie jetzt kennenlernen zu dürfen. Die hinterlassen echt Eindruck, müssen sich nicht hinter ihren amerikanischen Kollegen verstecken. Schaue ich mich im Raum um, sehe ich, auch bei den anderen Anwesenden wippen die Füße, nicken die Köpfe und leuchten die Augen. Natürlich sind auch Konzerte geplant. Auch da denkt man an Überraschungen. „Zur Hälfte der Show planen wir im Moment eine Saloon-Show mit Kontrabaß, Mandoline und akustischen Gitarren. Vielleicht können da auch einige unserer Wegbegleiter auftauchen, die schon früher für uns auch mal eine Geige oder so beigetragen haben.“

Der nächste Song ist schon recht persönlich. In ´River´ besingt Alex die Beziehung mit seinem Vater. „Mit Vater und Hund am Fluß.“ Dann kam die Krankheit. Der Punkt an dem gestandene Männer ihre Kraft verlieren, ihren Geist durch die Demenz. Gänsehaut pur. Auch oder besonders, wenn man ähnliches selbst auch schon erlebt hat. Aber gleich geht es wieder aufs Gaspedal. Mit ´Lawless´ folgt ein echter Bikersong. Starkes Riff, die Streicher am Ende machen auch einiges her.

Eine Textzeile von Johnny Cash ist Pate für ´My Lucky Graveyardboots´. Das Ding dreht sich um das sogenannte Saint Valentines Day Massacre. Kurz gefasst, am 14. Februar 1929 überfielen ein paar als Polizisten verkleidete Gangster eine Autowerkstatt einer anderen Gang, inszenierten eine Razzia und erschossen ihre Kontrahenten. Bis heute ist nicht jedes Detail aufgeklärt. Es gehen aber Gerüchte, dass das Chicago Outfit, die Gang von Al Capone, hinter dem Anschlag steckte. Der Songtitel passt wunderbar auf dieses dramatische Stück Musik. Ich will nicht weiter ausholen, aber diese Nummer schreit förmlich nach einem Videoclip. Kein Zeichentrick-Lyric-Video, sondern ein richtiges. Mit vollem Aufwand, Schauspielern und literweise Kunstblut. Zu dem Thema noch eine Buchempfehlung. Der Roman „Todesblues In Chicago“ von Ray Celestin erzählt einen Krimi genau aus der Zeit in Chicago mit Louis Armstrong als einer Hauptfigur. Ein Buch voller Verbrechen, Geschichte und Jazz.

Was ist ein ´Angel Share´? „Angel Share nennt man bei der Herstellung von Getränken den Teil, der durch Verdunstung verloren geht. Im Fass fehlt immer ein klein wenig. Und dies macht sich ein kleiner Junge zunutze, der aus den Fässern etwas von dem Alkohol stiehlt, um damit die Finanzen seiner Familie aufzubessern.“ Ein wenig klingt dieses entspannte Lied, als ob sich Elvis an Country versucht. Macht Laune. Noch mehr Laune macht ´A Gunmans Trail´. Das Anfangsriff schon ist ein Knaller. Ich sehe mich um und sehe, wie scheinbar noch mehr Leute neben mir den gleichen Gedanken haben. Auf das Riff könnte man tatsächlich etwas singen, wie man das Licht verläßt und die Nacht betritt. Allerdings glaube ich, dass die DEZPERADOZ nicht absichtlich so nahe an „Enter Sandman“ sein wollten. Aber die Ehrung ist sehr gelungen. Eine Idee für die Liveumsetzung teile ich mit Alex. Wenn sie das umsetzen, dann würde ich vor der Bühne auf alle viere gehen, um meinen Respekt zu bekunden.

Noch ein toller Songtitel, noch ein persönlicher Song. ´Never Stop To Start Again´ ist jetzt schon mein Lieblingssongtitel. Alex Lebensweisheit in einem Herzenssomg, sehr ergreifend, mit so viel Tiefe. Für das streckenweise auch brutale Album, auch ohne Thrash Metal aber textlich, ist es ein mehr als versöhnlicher Abschluß. Und ich bin schockverliebt in die Oboe am Ende des Songs. Ich bin schockverliebt in das ganze Album. Damit hätte ich wahrlich nicht gerechnet, dass ich einen solchen Hit zu hören bekomme. Oder eigentlich sind das ja zwölf Hits.

Da sind sich auch alle einig. Die anwesenden Musiker platzen schier vor Stolz. Es geht der Whisky rum, es wird gefeiert. Und die Zeit wird genutzt, um Anekdoten auszutauschen und Erinnerungen zu teilen. Aber das sind Geschichten, die hier nicht so viel zu suchen haben. Hier kommt nur ein guter Rat. Haltet die Augen offen, die DEZPERADOZ kommen. Und sie bringen einfach nur Rock’n’Roll. Mit Tiefgang und Spaß, aber mit verdammt viel Energie. Jetzt heißt es warten. Bis Ende Juli müssen wir uns noch gedulden, wenn „Moonshiner“ aus dem Presswerk kommt und in unsere Regale.

 

Text: Mario Wolski

Photo Credit: Emeraldpics @ Oliver Haremsa