Du betrachtest gerade ARCH ENEMY – Es ist völlig ok, anders zu sein!

ARCH ENEMY – Es ist völlig ok, anders zu sein!

  • Beitrags-Autor:

Nach “Deceivers” sind Arch Enemy mit ihrem neuen Album “Blood Dynasty” zurück. Im Line-up gab es den Wechsel an der Gitarre und so ist Loomis leider nicht mehr dabei, nun feuert Joey Conception die Leads mit Bandgründer Amott raus, sonst ist im Line-up alles beim Alten. In meinen vielen Listening-Sessions von “Blood Dynasty” kam ich zu dem Schluss, dass die Scheibe definitiv deftig und brachial, aber nicht ganz so knackig wie “Deceivers” ist. Die Heaviness ist natürlich nach wie vor da, getreu dem Motto “Pure Fucking Metal”. Mir gefällt das und auch die musikalische Vielseitigkeit von “Blood Dynasty”, das nachdenklich, rebellisch, bockstark und schonungslos ist.

Über “Blood Dynasty” sprach ich mit Bassist Sharlee, der seit “Burning Bridges” an Bord des schwedischen Metal-Flagschiffes ist. Wir verabredeten uns zum Voicecall, viel Spaß beim Lesen!

Hallo Sharlee, ich freue mich sehr, dass wir über euer neues Album “Blood Dynasty” sprechen können und das noch so kurz vor dem Veröffentlichungstermin. Du hast bestimmt schon viele hunderte Fragen beantwortet und ich frage dich eventuell nichts, was man nicht schon gefragt hat, aber ich gebe mir Mühe – legen wir los.

Wie geht es dir denn momentan und seid ihr gerade zusammen unterwegs?

Ich bin gerade ohne die anderen von ARCH ENEMY unterwegs, wir sind über die ganze Welt verstreut. Anfang April kommen wir jedoch zusammen für unsere US-Tour, worauf wir uns gerade vorbereiten. Ich gebe Interviews und übe unsere Lieder ein, das werden alle anderen momentan auch so handhaben.

Wie ist die Stimmung innerhalb von Arch Enemy – seid ihr aufgeregt?

Absolut! “Blood Dynasty” ist schon eine Weile fertig und für uns ist es sehr aufregend, die Platte als Ganzes zu veröffentlichen und die Reaktionen der Leute zu sehen und zu hören, was unsere Fans von dem Album halten – ob es gut oder schlecht ist. Wir haben hart an “Blood Dynasty” gearbeitet und sind stolz auf das Ergebnis. Die bisher veröffentlichten Singles kamen sehr gut an und wir haben tolle Kritiken dafür bekommen, mal sehen wie der Rest des Albums ankommt.

“Blood Dynasty” ist das erste Album nach Jeff Loomis – fühlt sich das komisch an für euch? Wie ist die Arbeit mit Joey Concepcion so und wie hat er sich in euer Team integriert?

Es ist immer schwer, ein Bandmitglied zu verlieren, jemanden, den man liebt und respektiert. Aber er ist gegangen. Da können wir nicht viel machen. Doch als Joey (Concepcion, Anmerkung des Autors) kam, gab er uns neuen Schwung. Wir bekamen diesen frischen Enthusiasmus, das hilft immer ein bisschen. Aber nochmal: Es ist natürlich eine andere Situation als mit Jeff, mit dem wir 10 Jahre zusammen waren. Es ist eine große Veränderung, aber Joey macht das super, und wir sind dankbar, dass er da ist.

“Blood Dynasty” ist Arch Enemy Studioalbum #13 – eine “besondere” Zahl, oder seid ihr nicht abergläubisch?

Nein, ich habe gar nicht darüber nachgedacht, weil es auch darauf ankommt, wie man zählt. Zählt man das Album “The Root Of All Evil” mit, sind es dreizehn, manche Leute sagen, es sind aber lediglich #12, was ich auch sagen würde. Es hängt davon ab, welche Alben man zählt. Doch selbst wenn es #13 Platten wären, ich bin nicht abergläubisch, also stört mich das auch nicht.

Okay, zumindest habe ich eine Frage gefunden, die noch keiner vor mir gestellt hat. Wie gestaltete sich die Arbeit an “Blood Dynasty” oder anders, wie entstehen Arch Enemy Alben von der ersten Idee bis zum letzten fertigen Album?

Dadurch, dass wir über große Entfernungen voneinander getrennt sind, machen wir, im Grunde genommen, kleine Demos, die wir hin -und herschicken. Sind wir dann zusammen unterwegs, tauschen wir Ideen aus, hören uns bestimmte Ideen an und reden darüber. Dieses Mal war das nicht so. Wir haben uns erst im Studio miteinander ausgetauscht – das ist eben der Distanz zwischen uns geschuldet. Aber das ist alles nicht wichtig. Wir sind alle in einem Studiokeller groß geworden und wissen, was wir wollen und wie wir es wollen – auch wenn wir nicht gemeinsam im Studio sind. Wenn ich dann ins Studio komme und aufnehme, kommen immer mehr Ideen hinzu – so läuft es ungefähr.

Ich habe “Blood Dynasty” für meinen Artikel schon sehr oft gehört und finde sie richtig stark! Welche Themen stehen im Mittelpunkt – der Titelsong handelt wahrscheinlich von dem Vermächtnis, das wir unseren Kindern hinterlassen. Ist ‘Blood Dynasty’ ein Song über unser Schicksal, unsere Welt und was daraus wird, wenn die Scheiße, die gerade überall passiert nicht aufhört?

Das ist es. Weißt du, wir scheinen eine Spezies zu sein, die es sehr schwer hat, aus ihren eigenen Fehlern zu lernen. Und wir wiederholen diese Fehler immer wieder und machen es immer schlimmer. Also, ich denke, für den Titelsong ist es das Kernthema. Was den Rest des Albums angeht, sind Reflexionen über die Welt, in der wir leben. Es ist introspektiv. Es geht um persönliche Dinge. Insgesamt ist das Album also ein bisschen eine Mischung aus allem, textlich.

Apropos Titelsong: Ich finde das Lied brutal atmosphärisch, besonders die Momente im Refrain rund um das schicksalhaft klingende “the drowning of the Bell” – so ikonisch und bedrohlich zugleich. Welches Standing hat der Track für euch und als Single wird er sicher live gespielt, oder?

Mal sehen, ob er am Ende auf die Setlist kommt – wir werden ihn Proben. Ich denke, er hat gute Chancen, live gespielt zu werden.

Ich bete dafür. Mit den Liedern ‘Dream Stealer’, ‘Paper Tiger’ und ‘Liars & Thieves’ kamen noch drei weitere Singles mit Video. Wird es ein fünftes geben, eventuell die Hymne ‘March of the Miscreants’?

‘March of the Miscreants’ wird es nicht sein, manchmal ist es echt schwer die Singles auszusuchen. Trotzdem, wir haben noch Singles in der Pipeline, aber welche es sind soll eine Überraschung bleiben.

Siehst du “March of the Miscreants” als Hymne, sich nicht unterdrücken zu lassen?

Das kann man so sehen, es geht aber auch um das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören, nicht der “Norm” zu entsprechen. Ich finde, dass es okay ist, anders zu sein, und darum geht es in diesem Song.

Absolut, das sehe ich genauso. Wie kam es denn zum Coversong ‘Vivre Libre’?

‘Vivre Libre’ ist ein Song, den wir schon länger aufgeschoben haben. Michael steht besonders auf alte, obskure Metal-Bands aus den frühen 80ern. Das ist so sein Ding. Er hat sich sehr, sehr intensiv mit französischem Metal beschäftigt. BLASPHEME ist eine dieser Bands, an die ich mich auch aus den 80ern erinnere. Ich habe sie damals nicht so oft gehört, er hat mich irgendwie wieder auf sie aufmerksam gemacht. Ich sagte, es wäre toll, ein Cover aufzunehmen. Jetzt haben wir auch die geeignete und erfahrene Sängerin für dieses Lied. Alissa spricht französisch und hat eine tolle Stimme, also probierten wir es aus. Ich finde, sie hat das fantastisch gemacht, denn auch das Original ist einfach fantastisch. Man kann es nicht wirklich übertreffen, aber man kann es anders machen, damit es funktioniert. Normalerweise sind Coverversionen etwas, das wir als Bonustracks für Sondereditionen oder für verschiedene Länder oder Gebiete machen. Aber dieses Mal dachten wir: Wir hatten noch nie einen Coversong auf einem richtigen Album. Ich finde, es hat super geklappt.

Es ist dem Original sehr ähnlich, dass ich ehrlich gesagt gar nicht kannte. Natürlich ist euer Song moderner als das Lied aus den 80ern, aber ihr seid sehr, sehr nah am Original, und ich mag das Lied.

Ich empfinde “Blood Dynasty” als nicht ganz so druckvoll wie “Deceivers”, Alissa`s Anteil an Klargesang ist so hoch wie selten, was ich ganz und gar nicht schlimm finde, ich mag beide Stimmen und ich mag AE und die Entwicklung die ihr gemacht habt. Einige wenige sehen das kritisch – wie begegnet ihr dieser Kritik?

Also, ich denke, die Kritiker haben Recht wenn sie sagen, das es nicht das ARCH ENEMY ist als zuvor. Aber wir probieren gerne Neues aus. Andererseits ist es gar nicht so extrem anders. Wenn man unsere heutige Musik wirklich als so anders empfindet, dass man sieh nicht mehr hören möchte, ist man vielleicht sehr sensibel, aber ich meine, es ist jedem selbst überlassen. Jeder hört Musik auf seine eigene Art, und wir können nur ein Album machen, das wir interessant finden, hinter dem wir stehen können und das uns gefällt. Wir können nichts daran ändern, wie die Leute darüber denken. Aber es ist komisch, dass du das sagst, denn ich habe auch schon das Gegenteil gehört. Viele Leute sagen, dass “Deceivers” ein experimentelles Album gewesen sei und dieses hier erinnert eher an die “alten ARCH ENEMY” und ist aggressiver. Man sieht also, wie verschiedene Leute Dinge auf ihre eigene Art interpretieren und das ist cool so. Am Ende liegt es an jedem Einzelnen, darüber nachzudenken, ob ihm gefällt, was er hört.

Ihr seid bald auf Europa-Tour, vorher steht die Festivalsaison an. Ich durfte euch 2022 auf dem Summer Breeze sehen, bei Regenwetter. Kommt ihr diesen Festivalsommer nach Deutschland?

Wir spielen nicht viele Festivals. Nein. Ich meine, wir spielen diesen Sommer überhaupt keine Festivals, wohl erst im nächsten Sommer. Wir haben jedoch eine eine große Europatournee im Oktober und November, die wir spielen.

Apropos Tour: Wie schaffst du es, mit deinen ganzen Bands zu touren, Alben zu machen etc. Laugt dich das nicht aus? Wie erholst du dich von den Tourstrapazen?

Ich glaube, ich erhole mich gar nicht. Es ist eher so, das ich mich auf Tour vom Zuhausesein erhole. *lacht* Touren ist etwas, was ich gerne mache und ich möchte gerne vor Leuten spielen, Leute treffen, ihnen in die Augen schauen und die Energie spüren, die das Musikmachen mit sich bringt. In einem Raum voller Leute zu stehen und ihnen die eigene Musik vorzuspielen, ist einfach toll. Die Leute freuen sich riesig auf Live-Konzerte und es ist wie ein ständiger Energiekreislauf, der von der Band zum Publikum und wieder zurückgeht. Man kennt die Leute zwar nicht alle, aber irgendwie sind sie Freunde. Warum seid ihr denn alle hier? Weil wir alle die gleiche Musik mögen. Da gibt es also eine Art Seelenverwandtschaft, glaube ich, und davon werde ich nie genug haben. Ich kann mir kein besseres Leben vorstellen.

Ich kann nicht sagen, dass ich viel vom Tourleben verstehe, weil ich nicht auf Tour bin und es auch noch nie war. Ich als Fan von ARCH ENEMY genieße eure Lieder, eure Konzerte und andere Live-Gigs. Sie liefern unglaubliche Momente, man spürt diese Live-Energie, die entfacht wird und ich freue mich auf euren Auftritt in Frankfurt – mein Ticket habe ich schon seit letztem Jahr. Möchtest du denn zum Abschluss des Interviews euren Fans etwas sagen?

Ich kann nur Folgendes sagen: Ich bin sehr, sehr glücklich und sehr, sehr dankbar, dass so viele Leute immer noch unsere Musik hören und zu unseren Konzerten kommen. Und wisst ihr, tut das bitte weiter. Wir werden versuchen, euch die bestmögliche Unterhaltung zu bieten, so gut wir können.

Interview Tobias Stahl
Photocredit Ttelbild: Katja Kuhl
Photocredit: Promo / Livebilder: Sven Bernhardt