WARDRUNA dürften eigentlich jedem, der sich für nordische Musik interessiert, bekannt sein. Die Band um Einar Selvik wirkte auch am Soundtrack der Serie “Vikings” und bei der Musik zum Videospiel “Assassin’s Creed Valhalla” mit. Die Norweger veröffentlichten ihr letztes Studioalbum im Jahr 2021. Es hieß “Kvitravn” und ihm folgte 2022 das Livealbum “Kvitravn – First Flight of the White Raven”. Am 24 Januar 2025 folgt nun das neue Studiowerk “Birna”, das zwischen 2021 und 2024 geschrieben und aufgenommen wurde. Die Musik stammt von Einar Selvik und Lindy-Fay Hella, die Texte kommen aus der Feder von Einar Selvik. Das Album-Lineup besteht aus Einar Selvik, Lindy-Fay Hella, Eilif Gundersen, HC Dalgaard, Sondre Veland, John Stenersen, Arne Sandvoll und als Gäste sind Koret Artemis (Choir), Jonna Jinton (Vocals and Field recordings), Hans Fredrik Jacobsen (willow-bark flute), Kenneth Lien (Jaw-harp) und Iver Sandøy (backing vocals). Gemastert wurde “Birna” von Tony Lindgren (Fascination Street Studios), das Coverfoto stammt von Cover Foto von Tuukka Koski, das Coverartwork von Øivind A. Myksvoll und die Booklet Artwork Fotos von Einar Selvik.

“Birna” bedeutet so viel wie „Die Bärin“ und ist natürlich in altnordischer Sprache verfasst. Die Bärin ist die Wächterin des Waldes, die Hüterin der Natur und in vielerlei Hinsicht ein beeindruckendes Tier, das auch Thema vieler Mythen ist. WARDRUNA widmen dieser fantastischen und leider bedrohten Tierart ihr sechstes Album. Die norwegische Band lässt sich seit jeher von der Natur und all ihrer Lebewesen, der dort herrschenden Kräften und Energien inspirieren. “Birna” wird auf LP und auf CD erscheinen, dazu wird das Album sicherlich digital erhältlich sein und auch bei jedem Streamingdienst wird der neue Epos abgerufen werden können. Zum Album gab es bisher fünf Singles, die vorab veröffentlicht wurden, inklusive fünf Videos, die wir nachher im Text auch erwähnen werden. Das Album umfasst zehn Lieder und hat eine Spieldauer von über einer Stunde. Die Texte sind alle in altnordischer Sprache gehalten, so dass es für sprachunkundige nur mit Übersetzer möglich ist die genaue Bedeutung der Lieder wiederzugeben, deswegen möchte ich vorab sagen, dass mir WARDRUNA auch abseits vom Verstehen der Texte sehr viel geben und ich mich bei ihrer Musik fallen lassen und sie mit allen Sinnen genießen kann. Trotzdem werde ich versuchen, euch die einzelnen Songs auch thematisch ein bisschen näher zu bringen.

Als erstes Lied auf der Tracklist von “Birna” kommt ‘Hertan’. ‘Hertan’ wurde als Single mit Video veröffentlicht. ‚Hertan‘ bedeutet ‚Herz’ und jenes Herz hört man schlagen, bevor die ersten Worte gesungen und die ersten Instrumente gespielt werden. Im Video vom finnischen Filmemacher/Fotograf Tuukka Koski gibt’s englische Untertitel – klasse Sache, wie ich finde und obendrein sehr sehenswert. ‘Birna’ “illustriert einen Dialog zwischen Mensch und Bär und veranschaulicht die verschiedenen Eigenschaften und Fähigkeiten, die wir Menschen im Laufe der Geschichte von diesen bedeutenden Totemtieren zu übernehmen versucht haben. Der Bär braucht weder meine Hilfe noch meine traditionelle Ausschmückung, um sein eigenes, kraftvolles Selbst zu sein. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man vergangene Traditionen, in denen der Bär die zentrale Rolle spielt, betrachtet. Wir lernen, wir träumen davon, uns seine Eigenschaften und Fähigkeiten anzueignen. Wir fürchten und verehren ihn und versuchen, neben ihm, aber auf einem separierten Weg zu gehen. Wir beanspruchen Raum und geben ihn gleichzeitig – auf eine respektvolle Art. Wie unbequem es auch sein mag, eine weitere Zähmung der Wildnis kann niemals der fruchtbare Weg sein. Für mich war es der richtige Zeitpunkt, der Birna, der Mutter und Hüterin der verschwindenden Wälder, eine Stimme zu geben.”, so Selvik zum Lied. Das Video wurde im Rondane-Nationalpark in Norwegen gefilmt und liefert beeindruckende Bewegtbilder aus Norwegens Natur. Genau solche Bilder sind es, die ich vor Augen habe, wenn ich dem hingebungsvollen Gesang Einars oder Lindy-Fay lausche und den Instrumenten wie Bukkehorn, Lure, Flöte und Moraharpa. Mit Chören und Trommeln startet ‘Ljos til Jord’ und entfaltet nach und nach die Kraft des Winters, jene Kraft welche die Sonne schlafen legt, die Vögel nach Süden schickt und die Bärin den Winterschlaf begeht und auch Mutter Erde sich ausruht. ‘Dvaledraumar’ bedeutet soviel wie “Ruhende Träume” und ja, auch die Soundkulisse des Liedes ist ruhig, so ruhig wie gefrorenes Wasser, so mystisch wie unsere Träume und ja, man könnte fast in den Winterschlaf gehen, so viel innere Ruhe verleiht dieses Lied in seinen über 15 Minuten Spielzeit voller Atmosphäre. In ‘Jord til Ljos’ kommt das Licht zurück auf die Erde und lässt die Tage länger werden. Die Natur erwacht und singt “Wecklieder” für alle. ‘Himinndotter’ bedeutet “Himmelstochter”. Komponist Einar Selvik erklärt:

‘Himinndotter’ (Himmelstochter) ist Teil einer sechs Songs umfassenden Erkundung des Bären auf “Birna”. Der Titel spielt auf die weltweit verbreitete Vorstellung vom mythischen Ursprung des Bären als himmlisches Wesen an. Als Gäste sind die Mitglieder des norwegischen Chors Koret Artemis zu hören.

Der angesprochene Chor eröffnet das Lied, kurz danach steigt Einar in den Gesang mit ein und Zupfinstrumente sowie Bläser sind ebenfalls zu hören. Das Video zum Lied zeigt erneut viel Natur aus dem Rondane Nationalpark und eine Tanzdarbietung – vielleicht schaut ihr mal  rein, es lohnt sich nicht nur für Fans.  Mit “nur” gut drei Minuten ist die Singleauskopplung ‘Hibjørnen’ der kürzeste Track auf “Birna” und im bedrohlich wirkenden ‘Skuggehesten’ geht es um das “Schattenpferd” und den Raben, der vor der Dunkelheit und dem Schatten warnt. Auch ‘Tretale’ (“The Voice Of Trees” gibt sich geheimnisvoll und mystisch, der Song handelt von der Stimme der Bäume, die nicht jeder hören kann. Das große Finale ‘Lyfjaberg’ wurde bereits live auf der Tour 2023 gespielt und ist auf der neuen Live DVD/Bluray zu sehen und zu hören, aufgenommen in Athen im Odeon Theater. ‘Lyfjaberg’ bedeutet “Healing Mountain” und ist ein der rhythmische Abschluss von “Birna”

“Birna” ist ein verträumtes, episches und sehr eingängiges Album, das ebenfalls ziemlich zugänglich ist, wenn man sich damit beschäftigt. Hat man sich dann mit dem sechsten Album von WARDRUNA auseinandergesetzt weiß man, dass in “Birna” auch mahnende Worte mitschwingen. Die gesamte Produktion von “Birna” ist ein Traum und nicht nur die großartigen Videos sind ein “Vorstellungsverstärker” der Albumversion, auch die vielen unterschiedlichen Naturklänge entführen den Hörer ins Reich der Bären und deren Leben. Wo “Kvitravn” viel Tiefe hatte, hat “Birna” noch mehr Tiefgang und Atmosphäre als sein Vorgänger. Der Einsatz historischer Instrumente führt in eine andere Zeit und eine andere, sehr ursprüngliche Welt – macht euch auf den Weg, es lohnt sich.

Tobi Stahl vergibt 9,5 von 10 Punkten

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