FEAR FACTORY, BUTCHER BABIES, IGNEA – `Disruptour` Köln
FEAR FACTORY – BUTCHER BABIES – IGNEA – GHOSTS OF ATLANTIS
02. Dezember 2023
Live Music Hall, Köln
Schneechaos in Bayern und parallel läuft die Auslosung zur Heim-EM in Hamburg und am Abend locken nur Florian Silbereisen und Big Brother vors TV, so dass außer der bekanntermaßen ein wenig angespannten Parksituation rund um die Lichtstraße wenig Ausreden für die zahlreichen rheinländischen Metalfans bleiben, um an diesem klirrend kalten, aber trockenen Abend vor dem ersten Adventssonntag, nicht in die Live Music Hall nach Köln-Ehrenfeld zu pilgern.
FEAR FACTORY, die Vorreiter des Industrial Metals und musikalischer Ideengeber für eine Myriade moderner Bands, haben seit den Neunzigern eine bewegte Geschichte hinter sich gebracht und nach allem ist lediglich noch Gitarrist Dino Cazares als einziger Überlebender der Urbesetzung übrig geblieben. Mit dem Weggang von Shouter Burton C. Bell im Jahr 2020 war FEAR FACTORYs Zukunft ungewiss, zumal das letzte Album ”Aggression Continuum” noch mit ihm eingesungen wurde. Also stellte sich natürlich die Frage, ob denn sein Nachfolger Milo Silvestro dem Original das Wasser reichen könnte. Die “Disruptour“ Show bot dann die passende eine Antwort zu erhalten, zumal mit den BUTCHER BABIES, IGNEA und GHOSTS OF ATLANTIS ein deftiger Abend zu erwarten war.
GHOSTS OF ATLANTIS
Aufgrund der sich am gleichen Abend um elf noch anschließenden Alternative 90s Party betreten zu ungewohnt früher Stunde, pünktlich um 17:30 Uhr, die britischen, modernen Extreme Symphonic Metaller GHOSTS OF ATLANTIS schick gewandet und aufwändig geschminkt die Bühne der Live Music Hall. Ende Oktober hat die Truppe aus Ipswich ihren Zweitling „Riddles Of The Sycophants“ veröffentlicht, von dem es heute `Sacramental´ und ´The Lycaon King´ zu hören gibt. Die Orchestrierungen kommen für meinen Geschmack etwas zu leise vom Band, so dass aus dem symphonischen ein höchstens melodischer Death Metal bzw. Metalcore mit den aggressiven Vocals von Fronter Phil Primmer und dem cleanen, nicht immer überzeugenden Gesang von Gitarrist Colin Parks wird. Solider Auftakt, der von der bereits ganz gut gefüllten Halle entsprechend goutiert wird, und bei dem `False Prophet´ vom Debüt “3.6.2.4“ mit Abstand am besten ankommt.
IGNEA
Bei den ukrainischen, ebenfalls im symphonischen Prog/Melodic Death Metal angesiedelten IGNEA füllt sich der Raum vor der Bühne weiter und gerät auch bereits beim eingängigen Opener `Dunes´ vom aktuellen Dreher “Dreams Of Lands Unseen“, auf dem auch der klare Schwerpunkt der heutigen Setliste liegt, deutlich mehr in Wallung als zuvor. Die
symphonischen Elemente beschränken sich allerdings auf den Gesang von Frontfrau Helle Bohdanova, die ihre Töne trifft, ohne Bäume auszureißen, den überwiegenden Teil von aktuellen Songs wie `Camera Obscura´ oder älterem Stoff wie `Jinnslammer´ und `Leviathan´ jedoch growlt.
Durch Einspieler und auch Teile der erwähnten cleanen Vocals werden immer wieder orientalische Einflüsse des Bandsounds deutlich. Zudem steht hier auch ein Keyboarder aus Fleisch und Blut auf der Bühne, der einen großen Anteil am Sound hat und sogar das ein oder andere Solo beisteuern darf. Ansonsten geht es eher derb zur Sache, woran die Menge aber durchaus Gefallen findet, gut mitgeht und die ersten kleineren Circle Pits bildet. Hier dürfte auch der Sympathiebonus für die ukrainischen Musiker eine Rolle spielen, welchen die Frontfrau mit ihrem emotionalen Dank für die deutsche Unterstützung ihrer Landsleute sowie einiger einnehmender, teilweise deutschsprachiger, Ansagen zusätzlich befeuert. Mit einem starken Doppelpack aus `Nomad´s Luck´ und `Leviathan´ verabschiedet sich das Quintett unter großem Jubel und mit dem obligatorischen Stagefoto vom nun bereits ganz gut aufgewärmten Publikum.
BUTCHER BABIES
Dennoch gelingt es im Anschluss den US Slut Metaller:innen von den BUTCHER BABIES spielend das Energielevel nochmal deutlich zu erhöhen sowie weiter und weiter an der Euphorieschraube zu drehen. Frontfrau Heidi Shepherd scheint nicht nur stimmlich, sondern auch was Bühnenaction und Intensität des Auftritts angeht, die Abwesenheit ihrer Kollegin Carla Harvey, die sich in der Heimat von einer schweren Augen-OP erholt, vergessen machen zu wollen. Sie hüpft wie ein wild gewordener Flummi über die Bühne, lässt ihre blonde Mähne kreisen und wagt den ein oder anderen halsbrecherischen Sprung von den diversen Podesten. Die Truppe ist mit ihrem krawalligen Groove Metal, bei dem man einfach nicht stillstehen kann und
die simplen Hooks und Shouts einfach mitgröhlen muss, einmal mehr der perfekte Anheizer.
Trotz zahlreicher Auftritte in Deutschland steht die Band heute zum ersten Mal in Köln auf der Bühne und gibt wie bereits im Vorprogramm von Beyond The Black vor ziemlich genau einem Jahr einfach alles. Der blonde Duracell Hase schreit und singt sich die Seele aus dem trainierten Body und dirigiert zu den „Can‘t stop moving“ Chören von `Monsters Ball´ die mitgehenden Massen. Mit energiegeladenen Songs wie `It’s Killin‘ Time, Baby!´, `Beaver Cage´ und `Spittin‘ Teeth´ kann man aber auch mal so gar nichts falsch machen. Und mit dem aus dem Publikum erwählten Pitmaster und dem Track `King Pin´ wird der bisher größte Circle Pit des Tages gestartet.
Für den Lacher und Faux-Pas des Abends sorgt Gitarrist Henry Flury, der vor Killing Time´ die Zuschauer in Frankfurt heißzumachen versucht. DER Gänsehautmoment des Abends bleibt allerdings Heidi Sheperd vorbehalten, als sie zur Einleitung der emotionalen und unter die Haut gehenden Ballade `Last December´ über ihre eigene Leidensgeschichte, ernsthafte Suizidgedanken und ihre „Rettung“ durch Musik und Fans berichtet. Nur um kurz darauf das Menschenmeer zu teilen, sich todesmutig in die „Fluten“ zu stürzen und den folgenden Track inmitten der tobenden, zirkulierenden Menschentraube zu zelebrieren, bevor das grandiose `Magnolia Blvd.´ den umjubelten Schlusspunkt eines starken Auftritts setzt.
FEAR FACTORY
Nach der energiegeladenen Show der BABIES hatten FEAR FACTORY keine leichte Aufgabe aber praktisch mit dem Ende des Terminator-Intros und dem Opener `Shock` hatten sie die inzwischen bis zum Bersten gefüllte Halle blitzartig im Griff. Milos optische Nähe zu Burton erstaunte, war aber kein Grund zur Beschwerde, zumal auch klanglich alles im alten, also grünen Bereich war. Was an manchen Stellen vielleicht an purer Gewalt der frühen FEAR FACTORY fehlte, machte Milo durch leidenschaftliches Engagement und den gewohnten Technikeinsatz wett.
Die Setliste bot erwartungsgemäß eine Mischung aus Nostalgietrip und neueren Tracks, bei denen naturgemäß, der jüngere Teil des Publikums stärker abging. Was jedoch bei `Linchpin`, `Replica` oder auch `What Will Become` an „jumping Action“ im Publikum zu sehen war, war generationenübergreifend. Für mich selbst und zahlreiche andere waren Songs wie `Martyr`, bei denen Heidi Sheperd mitgrowlte und natürlich der unnachgiebige “Demanufacture“ Titeltrack die Highlights im Programm. Das bei zehn Longplayern nicht alle „big Tracks“ zum tragen kommen, ist zu erwarten und auch zu verschmerzen.
Die Band war neben ihrer derben, tight vorgetragenen Show immer wieder sichtbar bemüht auch ein persönliche bzw. menschliche Ebene mit den Fans herzustellen, so wurde der gerührt wirkende Dino ausgiebig mit Chören gefeiert und auch zwischen den Tracks wurde angeheizt und vergleichsweise viel mit dem Publikum gesprochen.
Kurzum, die Halle hatte richtig Spaß und FEAR FACTORY eine vielversprechende und eben keine dystopische Zukunft.
Setliste FEAR FACTORY:
Shock
Edgecrusher
Recharger
Dielectric
Disruptor
Powershifter
Freedom or Fire
Descent
Linchpin
What Will Become?
Slave Labor
Archetype
Martyr (mit Heidi Shepherd)
Demanufacture
Zero Signal
Replica
Resurrection
Text: Michael Gaspar, Sven Bernhardt
Photo Credits: Sven Bernhardt