SANGRE DE MUÉRDAGO
Titel: O VENTO QUE LAMBE AS MIÑAS FERIDAS
Label: Independent
Spieldauer: 45:16 Minuten
VÖ: 06. Oktober 2023
Wer ob des Blutes im Bandnamen jetzt die derbe Schlachtplatte erwartet, der darf mit einer Überraschung rechnen. Hier wird weder gekillt noch Satan angebetet. Der Name bezieht sich auf die Misteln, eine Pflanzenfamilie, die weit verbreitet ist und oft parasitär lebt. Misteln werden magische und heilende Eigenschaften zugesprochen. Das kennt man durch den wohl bekanntesten Druiden Galliens. Und natürlich ist sicher auch die weihnachtliche Tradition des Kusses unter dem Mistelzweig bekannt. Man darf die Mistel aber nicht verwechseln mit der Mispel, einem sehr leckeren, leider nicht mehr so häufigen Obst. Für die Saarländer, dort heißen sie Hundsärsch. Sorry, ich schweife ab.
Wie gesagt, SANGRE DE MUÉRDAGO sind nicht Black, nicht Death, sie sind gar nicht Metal. Beheimatet in Galicien (und Leipzig), beschäftigen sie sich mit der Musik der Folklore ihrer Heimat. So, noch mal schlaumeiern, hier handelt es sich um die nordwestliche Region Spaniens, sozusagen das Ende der Welt. Der bekannteste Ort hierzulande ist wohl Santiago de Compostela. Mit Gallego hat man sogar noch eine eigene Sprache. Diese Region darf man aber nicht mit Galizien verwechseln, einer historischen Region in Ostpolen und Westukraine mit der Hauptstadt Lemberg/Lviv. Sorry, es ist gerade verlockend, abzuschweifen.
Noch einmal. SANGRE DE MUÉRDAGO spielen Folk, Volksmusik im besten Sinne. Sie spielen auf historischen und regional üblichen Instrumenten, singen in ihrer Sprache. Man hört natürlich eine klassische Gitarre. Man hört Flöte, Drehleier und Hurdy Gurdy. Mehr braucht es nicht. Mit diesen Dingen verbreiten sie eine melancholische Stimmung, die dann doch einen Doom Fan, ganz ohne Metal, fesseln sollte. Und auch wenn der Opener mit ´Wo Sich Fuchs Und Hase Gute Nacht Sagen´ einen deutschen Titel hat, die Gesangsstücke sind in Gallego gesungen. Gut, dass in der Promo wie im Booklet neben den Texten auch Übersetzungen zu finden sind. Denn nur damit kann der Hörer den wirklich tiefen Sinn dieses Liedes erfassen. Nein, das soll jetzt jeder selbst entdecken.
Im folgenden werden noch wilde Landschaften besungen. Die Liebe zur Natur. Der Wind, der die Wunden leckt und mich fliegen lässt. Das Instrumental ´Galska (7th Polska Of A 7th Polska)´ bringt als Würze Einflüsse polnischer Siedler in Skandinavien und spielt, warum auch immer, auf einen Song von Iron Maiden an. Und am Ende geht es, wie so oft, um Abschiede.
Ich kann gar nicht erklären, warum ich dieses Album mag. Mit diesen vielen schlagerhaften deutschen Bands, die Rock und Folklore und Mittelalter mischen, stehe ich eher auf Kriegsfuß. Wenn ich schon Dudelsäcke höre, oder ähnliches, dann rollen sich meine Fußnägel und ein gewisser Fluchtreflex wird ausgelöst. Aber hier, beim Blut der Misteln, ergreift mich die Magie. Ich spüre die Echtheit. Die Leidenschaft. Das Gefühl. Ich spüre, wie die Wärme mich umfasst, wie ich vom Wind getragen werde und Liebe mich umfängt.
Ich bin dann mal weg.
Mario Wolski vergibt 9 von 10 Punkten