WHEEL – Hilbeck
Schützenzentrum Hilbeck – 04.06.21
Selten war die Vorfreude auf ein Konzert so groß wie diesmal und selten wurde eine Veranstaltung so schnell auf die Beine gestellt wie an jenem Wochenende Anfang Juni, als Dirk ‚Else‘ Niggemann und seine Hilbecker Mitstreiter die Arme hochkrempelten und den Platz hinterm örtlichen Sportplatz zu einem bestuhlten Open Air-Gelände umwandelten. Durch die beiden Eichen, die die Bühne umrahmen, hat die Veranstaltung das Flair einer Gartenparty. Konzerte in Zeiten von Corona zu veranstalten ist kein Zuckerschlecken. Umso erstaunlicher, dass alles völlig entspannt und reibungslos ablief.
Schon die Anbahnung gestaltete sich äußerst unkompliziert und angenehm, nachdem sich herausstellte, dass Veranstalter Dirk und ich bereits 1991 beim ersten deutschen Gastspiel unserer gemeinsamen Lieblingsband Psychotic Waltz im Werler Kult dabei waren und uns somit eigentlich bereits seit 30 Jahren kennen. Vor Ort entpuppt sich der sympathische BVB-Fan (Als Schalker benutze ich diese beiden Worte nur selten im selben Satz. 😉) als perfekter Gastgeber, der sich trotz des enormen Stresses am Veranstaltungstag stets Zeit für ein Schwätzchen nimmt. Gerade der Einlass gestaltet sich nicht ganz einfach, weil alle Besucher einen negativen Corona-Test vorweisen und ihre Personalien zur Nachverfolgung angeben müssen. Jedem wird dann gleich eine Platznummer zugewiesen, so dass man nur noch den Stuhl mit seiner Nummer finden muss. Das Ganze hat etwas von „Reise nach Jerusalem“, nur dass es für jeden einen Sitzplatz gibt und niemand stehen muss.
Das wäre auch schade, denn dann hätte man gleich zu Anfang den Auftritt von WOODEN STEEL versäumt. Das rein akustische Trio hat sich quasi für diese Veranstaltung formiert, was de facto eine Vorbereitungszeit von knapp zwei Wochen mit nur ebenso wenigen gemeinsamen Proben bedeutet. Umso bemerkenswerter, dass die drei Jungs die knapp 150 Zuschauer mit DIOs ‚Rainbow In The Dark‘ von Beginn an in ihren Bann ziehen. Das Konzept ist also bekannte Metal-Klassiker im akustischen Gewand zu präsentieren und das gelingt den Jungs um Gitarrist/Sänger Thorsten ‚Toto‘ Lipiensky wirklich gut. Toto, der hauptamtlich in der Thrash Band McDeath tätig ist, entpuppt sich nämlich als souveräner Sänger und Frontmann. Auch im Sitzen hat er die Menge gut im Griff und seine rauen Vocals passen gut zu Songs wie ‚Painkiller‘, und ‚Enter Sandman‘. ‚Ace Of Spades‘ wird allerdings vom Drummer gesungen, der sich prompt ein wenig verhaspelt, was bei der kurzen Vorbereitungszeit aber kein Wunder und auch gar nicht schlimm ist. WOODEN STEEL sind jedenfalls ein toller Anheizer für die beiden angekündigten Bands.
Die Umbaupause bietet die willkommene Gelegenheit, sich am Merchstand umzusehen und mit ein paar Bekannten ins Gespräch zu kommen – mit Abstand und Maske versteht sich. Also schnell die beiden Wheel-Shirts eingesackt, bevor der ausgehungerte Mob alles plündert, und mit meinem Obliveon-Kollegen Ecki und seinem Freund Ray ein wenig gefachsimpelt. Ecki nimmt mit seiner Band Life Artist gerade selbst ein neues Album auf, so dass es genügend Gesprächsstoff gibt. Doch dann betreten ENOJADO die Bühne und es heißt schnell ab auf die Sitzplätze. Die Truppe wurde als Stoner Rock angekündigt, doch es wird schnell klar, dass wir es hier eher mit einer Sludge-Combo in der Tradition von Crowbar und Down zu tun haben, also schön dreckig und fies. Gitarrist/Sänger Stephan Kieserling hat ein paar verdammt schmissige Riffs im Repertoire, mit denen er vorzugsweise die Songs einleitet und in die Drummer Tobias Breer und Basser Martin Merkle dann groovig einstimmen. Dabei entwickeln die drei eine ziemliche Dynamik, bei der Breer dann auch gerne mal einen Drumstick himmelt und Merkle seine Matte schüttelt. Sicher nicht das ganz große Kino, aber für Metalheads, die größtenteils seit über einem Jahr keine Livemucke mehr genießen durfte, ein absoluter Hochgenuss!
Das besagte „ganz große Kino“ soll dann beim Headliner folgen. Die Doomster WHEEL hatten ja bereits zwei starke Alben vorgelegt, aber was die Dortmunder auf ihrem neuen Longplayer „Preserved In Time“ abgeliefert haben, ist internationale Spitzenklasse und erinnert fatal an die verblichenen Solitude Aeturnus. Insbesondere Sänger Arkadius Kurek klingt darauf sehr nach Rob Lowe und so war die Gretchenfrage zunächst einmal, ob er das auch live hinkriegen würde. Die Auflösung folgt in den ersten beiden Songs, die auch die ersten zwei Albumtracks sind und ihren Zauber unmittelbar über das mittlerweile in Dunkelheit gehüllte Gelände versprühen. Der Sound ist wie schon den ganzen Abend wirklich gut und die Lightshow sehr atmosphärisch. Der Opener ‚At Night They Came Upon Us‘ ist somit Programm und könnte besser nicht gewählt sein. ‚When The Shadow Takes You Over‘ verfehlt seine Wirkung ebenso wenig und ergreift Besitz von meinem Oberkörper, der anfängt wie wild zu Bangen und die gute alte Luftgitarre auszupacken. Im Sitzen kein ganz einfaches Unterfangen, aber durchaus machbar. Es stellt sich heraus, dass WHEEL das gesamte neue Album en bloc darbieten. Das kommt mir entgegen, da ich das Ding famos finde, bei Teilen des Publikums stellen sich allerdings nach der ersten Hälfte des Sets leichte Ermüdungserscheinungen ein, was sich darin äußert, dass immer mal wieder Leute aufstehen, um sich die Beine zu vertreten oder Getränke zu holen. Es mag aber auch daran liegen, dass die Band und insbesondere ihr Frontmann kaum mit dem Publikum kommunizieren. Das kann man als Defizit betrachten oder Doom as fuck nennen. Wenn man bedenkt, dass sicher nur ein Teil der Zuschauer mit dem Material der Band vertraut ist, spielt der Entertainmentfaktor aber schon eine gewisse Rolle. So spielen die vier Stoiker halt ihren Stiefel runter, wobei Kurek während den Songs durch seine eigenwillige Gestik auffällt und dabei singt wie ein junger Gott. Der zweite Blick- und vor allem Ohrenfang ist Gitarrist Benjamin Homberger, der sich die dunkelsten Riffs und traurigsten Melodien aus dem Ärmel schüttelt. Den Schlusspunkt setzen mit ‚To My Love Departed‘ vom Debütalbum und dem Titelstück vom Zweitling „Icarus“ zwei Bandclassics. Von der improvisierten Zugabe zeigt sich selbst Kurek, der die Bühne bereits verlassen hatte, überrascht. Die Menge ist begeistert.
Nach dem Konzert ergibt sich noch die Gelegenheit, ein bisschen mit Musikern und Veranstalter zu plaudern. Das ist nach all den Monaten privater Isolation fast noch schöner als die Livemusik zuvor. Und so begebe ich mich, nach einer ruhigen Nacht im Wohnmobil, am nächsten Morgen nochmal auf das Konzertgelände und werde mit Bratwurst und einer Cola empfangen. Die ersten Helfer sind schon wieder vor Ort und Dirk hat auch zwei seiner drei Kids mitgebracht. Spätestens jetzt wird mir klar, was für eine tolle Dorfgemeinschaft die Hilbecker hier haben. Da halten alle zusammen und Familie wird ganz großgeschrieben. Am heutigen Tag wird es mit „Randale“ ein Konzert für die Kinder geben, das quasi sofort ausverkauft war. Es sieht so aus, als wäre das Leben nach Hilbeck und nach ganz Deutschland zurückgekehrt. Das stimmt mich zuversichtlich, danke Else!
Text & Fotografie: Alex Fähnrich