JETHRO TULL – AQUALUNG LIVE (2025 REMASTER)

JETHRO TULL

Titel: AQUALUNG LIVE (2025 REMASTER)

Label: InsideOutMusic

Spieldauer: 51:14 Minuten

VÖ: 21. November 2025

JETHRO TULL schlagen erneut ein Kapitel ihrer beeindruckenden Bandgeschichte auf: Gemeinsam mit InsideOutMusic wird am 21. November 2025 eine frisch remasterte Neuauflage von “Aqualung Live” veröffentlicht. Bereits 2005 wurde die Scheibe eingespielt, und das geschah im Rahmen einer kompletten Studio-Live-Session des legendären “Aqualung”-Materials (aufgenommen 2004 für die Sirius-XM-Reihe “Then Again Live”). Eingespielt wurden die Songs in Washington, D.C. von Ian Anderson, Martin Barre, Doane Perry, Andrew Giddings und Jonathan Noyce. Für das 2025 Remaster wurde der gesamte Audiomix neu überarbeitet, und zum ersten Mal erscheint das Material auch auf Vinyl als Gatefold-180G-LP, begleitet von neuen CD- und Digitalversionen. Bereits letztes Jahr berichtete ich über das Weihnachtsalbum und Anfang des Jahres über JETHRO TULLs neues und sehr starkes Studiowerk “Curious Ruminant”. Live bleibt die Gruppe ebenfalls präsent – mit Shows in ganz Europa bis Ende 2025 und einer großen UK-Tour im Jahr 2026.

Bevor wir ins Review des Remasters einsteigen, reden wir über das eigentlich bereits 1971 erschienene Studioalbum “Aqualung”, das die vierte Studiorille der britischen Progressive-Rock-Band ist. Kritiker bezeichnen das Werk als einen wesentlichen Meilenstein der Rockmusik. Das Line-up sah neben Ian Anderson und Gitarren-Urgestein Martin Barre auch Gründungsdrummer Clive Bunker an Bord – für ihn sollte es leider das letzte JETHRO TULL-Album bleiben. “Aqualung” wurde aber auch der Auftakt in eine neue Zeitrechnung, denn Keyboarder John Evan war erstmals festes Mitglied der Briten, und mit Jeffrey Hammond-Hammond stieg ein weiterer prägender Musiker neu ein. Die Orchesterarrangements stammen von David Palmer, der später ebenfalls offiziell zu JETHRO TULL stieß und den Sound der Band nachhaltig prägte.

Die Songs und Texte stammen von Mastermind Ian Anderson, wobei es beim Titelsong eine oft diskutierte Besonderheit gibt: Auf dem Originalalbum ist vermerkt, dass Andersons damalige Frau Jennie am Text beteiligt war. Er selbst stellte später klar, dass er sich vor allem von ihren Fotografien und ihren Schilderungen über Obdachlose im Süden Londons inspirieren ließ – Eindrücke, aus denen schließlich die Figur des titelgebenden Aqualung und der komplette Songtext entstanden.

Alle Lieder auf dieser 2025 Version tragen den beschreibenden Zusatz “Live 2004 – Remaster”; diesen lasse ich beim ersten Song auch so stehen, danach benutze ich nur die ursprünglichen Titel. Über den Titelsong ‘Aqualung Live 2004 – Remaster 2025’, der mit fast acht Minuten Spielzeit das Album eröffnet, haben wir oben schon etwas erfahren, und zwar, dass er von einem verwahrlosten Obdachlosen handelt, einer “tragischen Figur einer entfremdeten Gesellschaft”, sagt Ian Anderson. Musikalisch kommt das Lied mit mächtigem Druck, einer schleppenden und groovigen Hardrock-Attitüde und manchmal düsteren Vibes. ‘Crosseyed Mary’ geht in eine ähnliche Richtung, pendelt zwischen aggressiven Passagen und melodischen Momenten; hier gibt es ebenfalls die so charakteristisch kratzende Flöte, die noch heute zu JETHRO TULL gehört wie der Regen zu London. Auch in ‘Crosseyed Mary’ geht es um die soziale Unterschicht, den Rand der Gesellschaft. ‘Cheap Day Return’ ist die erste von drei kurzen Nummern, ein Intermezzo, das nur von Gitarre und Gesang lebt – melancholisch und ein liebenswertes Kurzstück. Aufgelockert und nicht so ernst wie die ersten beiden Lieder geht es in ‘Mother Goose’ zu. Der Mix aus Flöte, Trommel und Akustikgitarren klingt so herrlich erfrischend und urtümlich, britischer Prog-Rock aus ‘71, wie man ihn schätzt – und in diesem Live Remaster noch eine Ecke “greifbarer”. Am stürmischen Applaus der Zuhörer hört man deutlich, wie viel Spaß man während der Live-Session hatte. Das zweite Intermezzo ist ‘Wond’ring Aloud’, nicht minder liebenswert wie das erste, geht es im Liebeslied um alltägliche kleine Momente, die gefeiert werden. ‘Up To Me’ mischt Folk und Rock, kreiert mit Rhythmuswechseln dynamische Momente und lädt zum Mitgrooven ein.

Mit “Gimme the Riff” startet der scharfe religionskritische Song ‘My God’, der eine Spieldauer von über acht Minuten hat, in denen JETHRO TULL satte und mitreißende Akustikpassagen liefern, lange Flöten- und Gitarrensoli zocken und damals einiges an Mut aufwiesen. Nicht ganz so lang wie der Vorgänger ist ‘Hymn 43’ ein Proto-Rock Track, der thematisch in die Richtung des Vorgängers geht. Mit dem orchestralen ‘Slipstream’ nähern wir uns dem Ende von “Aqualung”, auf dem noch ‘Locomotive Breath’ und ‘Wind-Up’ auf der Tracklist stehen. Mit einem knackigen Intro beginnt ‘Locomotive Breath’, ein Song, der wie eine Lokomotive nach vorn prescht und lyrisch eher das düstere Gleis befährt. ‘Wind-Up’ beschließt “Aqualung Live (2025 Remaster)” mit seinem zunächst ruhigen Mood, doch die persönliche Abrechnung mit religiöser Erziehung, Fremdbestimmung und moralischer Bevormundung steigert sich in seiner Intensität kontinuierlich und beendet das Album rebellisch!

Mit dem 2025er Remaster von “Aqualung Live” liefern JETHRO TULL genau das, was man sich von einer Neuauflage eines solchen Klassikers wünscht: ein frisches Klangbild, das die Energie der 2004er Session aufnimmt und druckvoller nach vorne bringt, ohne den Geist des Originals zu zerstören. Die akustischen Passagen profitieren enorm vom neuen Drive und auch die rockige Energie kommt intensiver rüber. “Aqualung Live (2025 Remaster)” ist ein tolles Album für Fans und Liebhaber des Studioalbums von 1971 und hat als Faustpfand die Live-Atmosphäre, den spontanen Charakter und die hörbare Spielfreude von JETHRO TULL. Danke für diese zeitgemäße Verbeugung vor einem Meilenstein der Rockgeschichte, die gleichzeitig zeigt, wie souverän JETHRO TULL ihr Erbe bis in die heutige Zeit tragen.

Tobi Stahl vergibt keine Bewertung