NIGHT IN GALES – das sind drei Dekaden Melodic Death Metal mit Ecken und Kanten und einer beachtlichen Entwicklung. Zum Jubiläum kehren NIG zurück zu ihren Anfängen und legen mit “Sylphlike (Re-Recording 2025)” eine Neuaufnahme ihres ersten Demos bzw. ihrer ersten EP vor, die 1995 für Aufsehen sorgte. Wir sprachen mit Jens Basten über “Sylphlike”.
Tobias: Hi Jens! Danke, dass du dir (wieder einmal *grinst*) die Zeit nimmst um meine Fragen zu beantworten. Aber erstmal: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum. Wie fühlt man sich als Band, wenn man 30 Jahre auf dem Buckel hat?
Jens: Vielen Dank Tobias. Es ist schlimm und schön zugleich irgendwie, haha. Ich erinnere mich noch an eine der ganz frühen Konzerte, 1996 im Rock o’la Duisburg. Wir sahen den Headlinern Reign (UK) auf der Bühne zu und ich sagte so zu den anderen: “wenn ich Ü30 bin, dann gehe ich auf keine Bühne mehr, das sieht ja nicht mehr aus, will doch niemand mehr sehen dann usw…” Tja, da stehen wir nun, mit Durchschnittsalter 49, immer noch auf der Bühne. Hat irgendwie nicht geklappt mit dem “Aufhören wenn man am knackigsten ist“.
Liegt aber in unserem Fall auch an unserer verwursteten Geschichte. Wir hatten einen ziemlich steilen Start damals und dann eine längere sehr zähe und weniger produktive Phase. Diese Zeit war eher deprimierend, das konnte man nicht so stehen lassen, das konnte noch nicht alles gewesen sein. Mit der Reunion mit Christian am Gesang und dem Deal mit Apostasy Records kam dann 2017 plötzlich wieder so viel Energie und Spaß in die Sache, dass an Aufhören nicht mehr zu denken war. Und zack, waren 30 Jahre rum, unglaublich. Es ist wirklich krass, denn in zwei Stunden kommt hier heute die “Sylphlike Re-Recording 2025“ an, und es ist der 31.10., also der Releaseday. Und ungefähr zu dieser Zeit vor 30 Jahren haben wir auch die ersten 500 MCDs der 1995er Version geliefert bekommen.
Tobias: Gibt es vielleicht eine (oder mehrere) bemerkenswerte Anekdoten aus dieser Zeit von 1995 – ich habe da gerade die Berufsschule besucht und war beispielsweise mit BWL schwer ausgelastet – an Musikmachen war da nicht zu denken.
Jens: Ich ging zu der Zeit noch zur Schule, Christian Müller war in der Parallelklasse. Night In Gales war die erste Band mit der wir ernsthaft etwas reißen würden, das lag schon irgendwie in der Luft. Dass es dann so schnell gehen würde und wir nach einem Jahr aus den Plattenverträgen einen aussuchen konnten, damit hatte aber noch niemand gerechnet. Ich habe die CDs dann auch schon mal auf dem Schulhof verkauft, für 10 DM damals. Ich erinnere mich noch an dieses kleine Goth-Girl, das anscheinend ihr letztes Kleingeld zusammengespart hatte und total nervös war als sie mir den Haufen 5-, 10-, und 50-Pfennig-Stücke rüberreichte. Richtige Anekdoten habe ich nicht auf Lager, dazu bin ich wohl auch einfach zu vergesslich. Aber ich erzähle immer gerne die Sache mit der Pizza aus dem Soundstation Studio Ratingen, wo wir Sylphlike damals aufgenommen haben: Die Basic-Tracks (Drums, meine Gitarre, Bass) waren am Vormittag live eingespielt worden. Jetzt war Frank mit seinem Part (zweite Gitarre) an der Reihe. Wir hatten im Break Hunger bekommen und fuhren eine Pizza holen. Als wir nach einer knappen halben Stunde wiederkamen sitzt Frank da so auf dem Stuhl schräg links vor der Regie und haut raus: “Bin fertig, alles drauf. Hat direkt geklappt, alles gut geworden. Her mit der Pizza.“ Haha, das ist so krass, wie locker wir damals drauf waren mit sowas. Und allen hat’s ja auch gefallen. Vielleicht legen wir auch heute wieder so viel Wert auf ein gewisses Maß an Ungeschliffenheit und Rohheit der Aufnahmen. Zu viel Perfektion ist gar nicht mal so gut im Metal, soll ja nicht nach KI klingen nachher.
Tobias: Drei Jahrzehnte Bandgeschichte bringen zwangsläufig Höhen, Tiefen und unterschiedliche Phasen mit sich. Welche Zeit war für dich persönlich die intensivste – und wie fühlt sich der Verbund NIGHT IN GALES heute im Vergleich zu damals an?
Jens: Die Zeit von 1995–2001 war ein absolut intensiver Ritt. Das war die mit Abstand intensivste Zeit der Band. Die ersten zwei Jahre waren geprägt von der hyperaktiven Underground-Promo- und Vertriebsarbeit die vor allem Tobias und ich machten. Wir waren fast jeden Tag bei der Post in Voerde, um Kisten voller CDs, Einzelbestellungen und neue Kontakte in aller Welt zu bemustern. Manchmal trafen wir uns sogar zufällig in der Postfiliale, haha. Damals gab es kein Bandcamp oder Paypal, die 10-DM-Scheine bzw. auch größere Dollarbeträge kamen einfach in den Briefen, damit es die Postboten nicht durchleuchten konnten packte man die Scheine zwischen zwei Hochglanzflyer. 1997 – 2000 waren dann die durch den Nuclear Blast Deal geprägten Jahre. Mehrere Touren pro Jahr mit den Größen der Szene wie In Flames, Dismember, Hypocrisy, Death, u. v. a. Dimmu Borgir schliefen eine Nacht bei uns auf dem Teppich, verteilt auf das Basten-Elternhaus und Tobbes erste Bude. Erstes Mal in Wacken 1998 war auch ein Erlebnis. Wir hatten bis zur Autogrammstunde schon zu viel getankt, und bei dieser geriet ich dann irgendwie mit Tobbe in eine wilde Spaßrauferei auf der Wiese (!!!) bei der mir dann zu allem Überfluss auch noch die komplette Hose weggerissen ist, haha. Das war so eine Stoff-Schnürhose wie Sie die Gothic-Leute gerne tragen. Die war durch die ganzen schwitzigen Shows und tausend Wäschen wohl schon ziemlich morsch gewesen. Da stand ich nun in meinen bunten Boxershorts mit Sonnenbrille, Bathory-Tanktop und Lederweste…einfach nur irre alles. Auf jeden Fall war damals mehr Rock’n’Roll als heute, wir haben es aus heutiger Sicht auch hier und da gut übertrieben.
Mit der Situation heute ist das alles nur schwer vergleichbar. Es ist einfach alles anders: der Schreibprozess, der Aufnahmeprozess, die Promoarbeit, der Kontakt zum Label, der Markt, die gesamte Musikbranche, und vor allem unsere Lebenssituation ist heute natürlich eine andere. Allerdings, wenn wir nach einer gelungenen Show mit ein paar Bierchen so unseren Quatsch machen, ist es manchmal doch wieder genauso wie vor 30 Jahren. Die gleichen dummen Sprüche, die gleichen Macken, dieselben doofen Witze, aber das ist es eben auch, was eine Band ausmacht.
Tobias: 1995 habt ihr mit der auf CD veröffentlichten Demo/EP “Sylphlike” erstmals größere Wellen geschlagen. Wie war das damals, als ihr als noch junge Band plötzlich so viel Aufmerksamkeit bekam? Hat euch das gewundert, beflügelt oder unter Druck gesetzt?
Jens: Das hat uns auf jeden Fall erstmal nur beflügelt. Bei “Towards the Twilight“ (1997) war der Druck noch nicht so groß, bzw. hatte sich noch nicht auf die Kompositionen ausgewirkt. Das kam dann aber schlagartig als die Verkaufszahlen die hochgesteckten Erwartungen von Nuclear Blast nicht erfüllten. Markus (Staiger, damals Labelchef Nuclear Blast) sagte dann immer “Ihr habt keine Hugsch“, oder “Ihr braucht mehr Hugsch“. Er meinte Hooks, er forderte mehr Hooklines in den Songs unter der Annahme, dass wir dadurch mehr Platten verkaufen würden. Auch deshalb fiel das zweite Album “Thunderbeast“ (1998) dann schon etwas rockiger aus. Es hat uns beim Songwriting eher verunsichert würde ich sagen, dazu beigetragen hat aber auch die damalige Presse, die irgendwie damals nicht so richtig darauf klarkam, dass wir so schwedisch klangen. Man hatte sich ja gerade erst so richtig auf das Verkaufsetikett “Made in Sweden“ geeinigt, und es funktionierte wunderbar. Wo Schweden draufstand, das wurde blind gekauft. Irgendwann hat uns das alles ziemlich angekotzt. Also fingen wir mehr und mehr an zu experimentieren…
Tobias: Ist die Neuaufnahme eher ein nostalgischer Rückblick oder ein bewusstes Geschenk an die Fans – und vielleicht auch an euch selbst zum Jubiläum?
Jens: Es ist all das zusammen. Das bestmögliche Release zur Feier von 30 Jahre Night In Gales und 30 Jahre Sylphlike. Es war unsere Idee und wir sind froh, dass Apostasy Records dazu ja gesagt haben. So ein Release birgt ein größeres finanzielles Risiko als ein reguläres neues Album. Und Sylphlike ist zudem nur eine EP. Ein Vinyl-Album wird ja in der Produktion nicht billiger, weil weniger Songs draufgepresst sind. Der Herstellungspreis ist der gleiche, also ist der Verkaufspreis auch der gleiche. Aber soweit denken viele Leute leider nicht und labern wenn Sie “Re-Recording“ hören gleich was von Geldmachererei und Kommerz usw.. Aber dass es bei so einer Sache ein bisschen Aufregung geben würde war uns im Vorfeld bewusst und wir sind auch ein bisschen stolz darauf, damit im Death-Metal-Bereich die ersten zu sein.
Tobias: Was genau habt ihr mit den Songs gemacht, wie habt ihr sie ins Jahr 2025 geholt? Gab es Veränderungen in den Arrangements oder der Interpretation, oder wolltet ihr den ursprünglichen Spirit möglichst unverfälscht einfangen?
Jens: Wir hatten kurz überlegt, ob wir die Stücke neu interpretieren sollten. Man hätte da ja schon sehr viel machen können, z. B. komplexere Drums oder wesentlich mehr Blastbeats, zusätzliche Leadgitarren, mehr Twin-Leads einbauen, Effekte, diverse Stimmlagen oder gedoppelte Vocalpassagen, usw., allerdings sprach einiges dagegen. Die Vergleichbarkeit wäre nicht mehr da gewesen, wir wollten den Klang der Band 1995 so pur wie möglich mit dem Klang der Band 2025 vergleichen. Wir wollten den Impact durch das Runterstimmen der Gitarren und durch die fettere Produktion hören, und nicht laufende Meter mit irgendwelchen innovativen aber eher überflüssigen Einsprengseln davon ablenken. Außerdem wäre es dann nicht die durch das Release beabsichtigte Huldigung der Kompositionen, sondern eher im Gegenteil die Aussage, dass die Kompositionen verbesserungswürdig gewesen wären und erst durch diese neuen notwendigen Ergänzungen in Perfektion erstrahlen würden. Von daher wäre es aus unserer Sicht damit in der Bewertung des Ergebnisses eher ein “Thema verfehlt“ bzw. “6 – setzen“ geworden.
Tobias: Gemischt und gemastert wurde das Re-Recording von Fredrik Nordström, einem Produzenten, der mit Alben wie “Slaughter of the Soul”, “The Jester Race” oder “The Gallery” Göteborg-Stil-Meisterwerke geprägt hat. War das der ausschlaggebende Grund, ihn mit an Bord zu holen und was hat er über eure damalige Performance gesagt?
Jens: Wir hatten ja bereits das letzte Album “Shadowreaper”mit ihm gemacht und da wir damit sehr zufrieden waren sind wir für *Sylphlike* wieder zu ihm gegangen für Mix und Mastering. Wir sind nach 5 Alben mit Dan Swanö zu Nordström gewechselt, da wir in relativ kurzer Zeit 4 Alben mit exakt gleichem Produktionsteam gemacht hatten und einfach mal etwas Neues ausprobieren wollten. Es ist immer spannend zu hören, wie dich ein anderer Produzent klingen lässt. Manchmal muss man an ein paar Schrauben drehen um es für alle interessant und spannend zu halten. Nordström mischt eine ganze Ecke rauer und brutaler ab als Swanö, und wir dachten, dass es an der Zeit war in puncto Härte etwas zuzulegen. Und das klappt bis jetzt ganz hervorragend und die Leute und Kritiker scheinen es auch alle zu mögen. Und generell ist natürlich immer eine sichere Nummer mit so einem Namen zusammenzuarbeiten, das Risiko hier einen Kacksound abzuholen ist relativ gering. Was Fredrik zu unserer 1995er Version denkt weiß ich nicht, wir haben nie darüber gesprochen. Ich glaube, er hat sich das Ding im Netz noch nie angehört, war für den Mix 2025 auch nicht relevant. Wir haben generell kaum Kommunikation gehabt und die war auch gar nicht notwendig. Ich gehe ja auch nicht zu einem erfolgreichen Produzenten, damit ich ihm sage was er zu tun hat. Wir haben an keiner Stelle über den Zielsound gesprochen, er hat einfach gemacht und es war gut. Dann noch ein paar obligatorische Tweaks per Liste, und fertig.
Tobias: Inwiefern haben Bands wie At The Gates, In Flames oder Dark Tranquillity euren eigenen Stil geprägt – damals wie heute? Spürt man diesen Einfluss noch, oder steht NIGHT IN GALES inzwischen völlig auf eigenen Beinen?
Jens: Wir waren zu Beginn von diesen Bands beeinflusst und sind es auch heute noch. Allerdings spielen dabei eher die Werke bis 1995 eine Rolle. Ebenso prägend waren aber für unseren Sound Dissection, Eucharist, Desultory, Cemetery, Xysma, Edge of Sanity, alte Therion und die ganz alten Amorphis und Paradise Lost. Und trotz der offenkundigen Einflüssen denke ich dass wir sowohl in der Nuclear-Blast-Phase (1997 – 2000) als auch in der aktuellen Apostasy-Phase eine ganz eigene Note entwickelt haben.
Tobias: Der Tod von Tomas “Tompa” Lindberg (AT THE GATES) hat die Szene 2025 spürbar erschüttert. Wie sehr hat euch dieser Verlust getroffen – auch im Hinblick auf seine Bedeutung für den Melodic Death Metal, der NIGHT IN GALES ja ebenfalls stark geprägt hat?
Jens: Das hat uns schon hart getroffen muss ich sagen,. Ich kann das immer noch nicht richtig glauben. Ich hatte das zuerst so als Dio starb. Da war es noch krasser, es fühlte sich an als ob jemand aus der Familie gegangen war. Ist ja auch klar, da mich Dio seit dem Grundschulalter permanent begleitet hat. Man sagt ja nicht umsonst “er war prägend“. Tompa war schlimm, weil er tatsächlich immanent wichtig für den Göteborg-Sound war. Ich glaube wirklich, dass es das ganze Melodeath-Ding ohne Ihn so nicht gegeben hätte. Er war der erste der mit eher Black Metal-typischen Vocals völlig überzeugend und höchst originell in einer Death Metal Band gesungen hat. Die Melodien von Black Sabbath, Paradise Lost, Maiden, Lizzy und Priest in den Death Metal zu integrieren war der erste wichtige Schritt um den Göteborg-Sound zu kreieren. Der zweite war dass statt der üblichen Death-Growls à la Carnage und Entombed eine Lage höher geschrieben wurde und man dadurch auch gleich viel besser Emotionen wie Wut, Schmerz oder Verzweiflung ausdrücken konnte. ‘Kingdom Gone’ lief damals häufig auf MTV und Peaceville machten einen richtig guten Job, es folgten auch direkt Touren und so erreichten ATG mit Ihrer Vision schnell das interessierte Publikum auf der ganzen Welt.
Mich hat deren Debütalbum “The Red in the Sky is Ours” damals direkt völlig geflasht. Mich hat sein Tod also umgehauen, weil ich realisieren musste, dass es ohne Tompa kein Night In Gales gegeben hätte.
Tobias: Wenn man heute “Sylphlike” hört, fällt neben der ungestümen musikalischen Energie vor allem die lyrische Tiefe auf. Die Texte wirken nachdenklich, symbolisch und ungewöhnlich poetisch für eine junge Death-Metal-Band jener Zeit. Lasst uns also kurz über die lyrische Seite sprechen.
Jens: Die Texte zu “Sylphlike” hatten wir anders als die Musik damals nicht als Kollektiv geschrieben. Es war unser alter Drummer Christian, der diese beisteuerte. Wenn ich mich recht erinnere, war er der Einzige von uns, der sich zutraute, hier etwas Vernünftiges zu Papier zu bringen damals. Aus heutiger Sicht bin ich mir übrigens ziemlich sicher, dass er auch die beste Wahl für den Job war, haha. Das Poetische und philosophische passte zum Melodeath einfach generell besser als der okkulte Kram oder der Gore-Kram wie man es vom klassischen Death Metal bis dato kannte.
Tobias: ’Bleed Afresh’, ’Sylphlike’ oder ’Mindspawn’ sind poetisch und vielschichtig. Themen wie Identität, Wahrnehmung oder innere Zerrissenheit tauchen immer wieder auf. Wie seid ihr damals an die Texte herangegangen – war das eher ein intuitiver Prozess, mit Erlebtem aus den jüngeren Tagen oder steckte da schon ein bewusster philosophischer Gedanke dahinter?
Jens: Ich denke, Christian hat sich hier sicherlich auch von anderen Alben inspirieren lassen, hat aber möglicherweise (dazu müsste ich ihn aber konkret mal fragen) auch seine eigenen Gedanken/Themen mit einfließen lassen. Das passiert ja auch manchmal ganz automatisch, ich merke es jedenfalls seitdem ich Lyrics für Night In Gales schreibe, genau genommen also seit “The Last Sunsets“. Man legt so los und auf einmal merkt man beim Lesen “hey das bin ja ich, oder hey das ist doch dies und das usw…”, und schwuppdiwupp hat ein Text einen persönlicheren Bezug. Es kann auch unbewusst passieren, man merkt es erst nach einigen Jahren dass man da an der einen oder anderen Stelle ggf. etwas mehr zu verarbeiten hatte oder so, ausschließen würde ich es jedenfalls nicht.
Tobias: Einige Passagen von “Sylphlike” wirken zeitlos – Isolation, Sinnsuche, geistige Überforderung. All das liest sich fast wie ein Liedblatt aus 2025, ein Zeitalter, das u. a. von digitaler Reizüberflutung geprägt ist. Habt ihr das Gefühl, dass diese Themen heute vielleicht sogar aktueller sind als damals Mitte der Neunziger?
Jens: Das habe ich so tatsächlich noch gar nicht wahrgenommen, nope. Ich denke, es passt aber viel besser in 1995, da wir heute aufgrund der Reizüberflutung und permanenten Ablenkung durch die Smartphone-Werbetafel in unserer Hand gar nicht mehr zur Sinnsuche kommen. Damals hatte man dazu viel mehr Zeit und Ruhe.
Tobias: Auch der Titel “Sylphlike” selbst ist spannend – “sylphenhaft”, “ätherisch” – ein Begriff, den man im Death Metal der Neunziger nicht unbedingt erwartet hätte. Wie kam es damals zu diesem EP-Namen? Was verbindet ihr heute, dreißig Jahre später, mit diesem Wort?
Jens: Der kam wie die kompletten Lyrics auch von Christian. Es ist ja der Titeltrack der EP. Wir kannten das Wort überhaupt nicht und löcherten ihn dann auch irgendwann und immer mal wieder was das eigentlich bedeuten solle, usw. Wir fanden es aber direkt sehr passend und gut, da es sehr originell war und man es direkt im Kopf behielt. Besonders in Kombination mit dem Artwork regte es zur Interpretation an, anders als der sich selbst beim Joggen zurück zum Leben essende Zombie auf einem Cannibal-Corpse-Cover z. B.
Tobias: Was dürfen Hörerinnen und Hörer klanglich von “Sylphlike (Re-Recording 2025)” erwarten? Die Neuaufnahme habt ihr in kurzer Session eingespielt, um die Energie des Originals einzufangen? Wie habt ihr es hinbekommen, den Spirit des Originals beizubehalten?
Jens: Wir haben uns absichtlich wenig Zeit gelassen die Sachen einzuspielen, haben nicht jedes Quäntchen begradigt bzw. begradigen lassen und konnten dann sicher sein, dass Fredrik Nordström mit seiner Produktionsweise noch den nötigen Rotz on top liefern würde, damit das Endergebnis brachial und frisch genug klingen würde. Wir haben auch die Arrangements nicht verändert und vor allem auch die harte rechts-links Aufteilung der Gitarren beibehalten.
Tobias: In den letzten Jahren habt ihr einige Reissues eurer Frühwerke veröffentlicht. Wird das in Zukunft weitergehen – oder steht als nächstes wieder komplett neues Material im Fokus?
Jens: Erst mal steht wieder neues Material an. Danach hoffe ich, dass es mit der “Nailwork” die nächste Reissue geben wird. Und wenn die “Towards the Twilight” Reissue mal vergriffen sein sollte frage ich Tomasz ob nicht eine “Towards the Twilight” Picture Disk machen will, dan aber remastered by Swanö. Vielleicht liest er das jetzt auch hier und denkt sich “auf gar keinen Fall!“ *grinst
Tobias: 2025 neigt sich dem Ende zu. Wie sehen die Live-Aktivitäten für 2026 aus? Wird man euch wieder auf Festivals oder vielleicht auf einer eigenen Tour erleben können?
Jens: Touren werden wir nicht, dazu reicht die Zeit einfach nicht mehr aus und finanziell gesehen kann sowas auch schnell ein Abenteuer werden das man nicht unbedingt braucht. Ein paar Clubshows und auch ein paar Festivals werden wieder dabei sein, wie das Chronical Moshers, das Rage Against Racism oder Dat Unland Fier.
Tobias: Apropos 1995–2025. Damals dachte man, man würde 2025 mit Schwebeautos umherkurven, heute steht man mehr im Stau denn je. Wie habt ihr damals in die Zukunft geschaut?
Jens: Gar nicht so konkret irgendwie. Wir hatten immer nur Musik im Kopf und haben da nicht groß rumspekuliert. Aber aktuell denke ich aufgrund der schnell voranschreitenden KI-Revolution schon öfters drüber nach und kann mir nicht wirklich vorstellen, wie die Menschheit ohne sinnvolle Beschäftigung nicht komplett durchdrehen soll. Dazu reicht mir momentan einfach die Vorstellungskraft nicht.
Tobias: Die letzten Worte gehören natürlich dir – was möchtest du den Leserinnen und Lesern, euren Fans und vielleicht auch jenen, die NIGHT IN GALES erst jetzt für sich entdecken, noch mit auf den Weg geben?
Jens: An die alten Hasen: Danke, dass ihr uns bis hierher und ggf. schon 30 Jahre lang (wenn auch mit Pausen..) gefolgt seid, macht so weiter! An die frisch Dazugekommenen: Besorgt euch unbedingt auch unsere alten Scheiben, komplettiert die Sammlung mit den Reissues von Apostasy oder auch bei Discogs und eBay. Man sieht sich hoffentlich mal auf einer Show, wir stehen meist selbst am Merch und sind immer für einen Plausch zu haben. Cheers.
Interview: Tobias Stahl
Photocredit: NIGHT IN GALES

