NAUTIKS
Titel: LEBEN UND LIEBE SIND WARTEN UND ABSCHIED
Label: Rokkfilm
Spieldauer: 40:34 Minuten
VÖ: 14. Oktober
Als wir neulich zum 80. Geburtstag unserer Tante waren, durfte ich da mich am Bücherregal bedienen. Eines der Bücher, das mich mit nach Hause begleiten durfte, was ein „Dickes DDR Buch“ aus dem Eulenspiegel-Verlag von 2002. Selbst da aufgewachsen, habe ich in dem Schmöker viel Bekanntes wiederentdeckt. Aber auch einiges Neues gelernt. Zum Beispiel wusste ich vorher nicht, dass es in der DDR eine Seife namens Nautik gab, „bei der die mit blauen Wellen verzierte Verpackung das Gefühl von Frische aufkommen ließ, aber selbst bei heftigstem Reiben gab sie keinen Schaum.“ Passender Soundtrack für die Lektüre also ist dieses Album der Erfurter Band NAUTIKS.
Was uns Rokkfilm hier präsentiert, ist vorher nie als Album erschienen. Denn, wie viele Bands der DDR Ende der 60er, anfangs der 70er, hatten sie doch einige Schwierigkeiten. Wie sagte Walter Ulbricht? „„Ich denke, Genossen, mit der Monotonie, mit dem Yeah, Yeah, Yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen.“ Das war übrigens der gleiche Mann, der auch behauptete, dass niemand die Absicht hätte, eine Mauer zu bauen. Mit dem Yeah, Yeah, Yeah, war Schluß. Ganz viele Bands kamen an ihr Ende. Musiker wurden zur NVA eingezogen, einfach, damit sie nicht weiter musizieren konnten. So erging es auch den NAUTIKS. 1971 wurde Sänger und Gitarrist Hans-Jürgen Gottschalk für 18 Monaten eingezogen. Für die Band eine Art Bruch, aber es gelang, weiterzumachen. Dennoch existierte sie nur recht kurz. Ein Album ist nie erschienen. Lediglich auf drei Split Singles war die Band vertreten. Die zweite davon, ´Auf dem Abstellgleis´ teilte man sich mit Electra mit ihrem grandiosen ´Eine Strähne Deines Haars´. Diese drei Singletracks sind übrigens nicht auf dieser toll hergerichteten Platte zu finden. Dazu kommen in der Diskographie noch ein paar Beiträge auf verschiedenen Kompilationen.
Allein das dicke Booklet mit einer Menge Infos zu Band und Musikern ist Gold wert. Natürlich auch das passend zum Cover grün-gelbe Vinyl. Elf Songs sind darauf enthalten. Die wurden aufgenommen zwischen 1970 und 1973 für den Rundfunk der DDR. So wie sie jetzt aufgereiht sind, so hätte man sie damals auch auf einer Platte zusammenführen können, Das ist genau die Dynamik, die eine Scheibe jener Zeit hatte und brauchte. Und ja, danach war auch schon Schluß. Mehrere Umbesetzungen und Neustarts ließen die Karriere recht zügig zu Ende gehen. Aus heutiger Sicht glühten sie auf. Und verglühten wie ein Komet.
Aber, wie sie glühten. Glühlampen von Narva erzeugten nicht so viel Licht. ´Gestern Ist Vorbei´ ist ein orgelgeschwängerter Start. Trauer und Wehmut, hier geht es, wie so oft in Musik und Leben um Leben und Liebe, um Warten und Abschied. Aber nach dem Regen kommt die Sonne. Gestern ist vorbei, doch manchmal denkt man zurück an die schönen Momente.
Ein Klavier treibt das drängend fragende ´Liebst Du Mich Wirklich´ vorwärts. Zweifel und Gewissheit. Das verpackt in Klänge, die ich so aus der DDR für mich nicht erinnere. Die NAUTIKS klingen hier amerikanischer, als ich es je vermutet hätte. Als Thüringer kannten sie natürlich auch den guten, alten Bach. Das hört etwa am Intro von ´Ich Fand Liebe, Ich Fand Dich´. Der Rosentanz entstand während Gottschalks Zeit bei der Fahne, hier singt an seiner Stelle Gabi Merz. Der Gesang ist etwas gewöhnungsbedürftig. Eigenwillig. Dafür gibt es tolle Bläser und ein schönes Saxophon-Solo. ´Winter Ade´ wurde verfeinert mit Geigenklängen von Sany Tong, der später bei Bayon zu finden war. Ein musikalischer Osterspaziergang, für mich ein Höhepunkt. Auch durch die ironischen Zwischentöne im Text. Die fallen erst so gar nicht auf. Das leicht beatleske ´Gestempelt´ beendet die A-Seite mit einer Dreifachbeziehung.
Die B-Seite birgt etwas spätere Songs. Immer noch latent psychedelisch, findet sich in ´Auch Das Ist Das Leben´ ein Hauch Soul. Zum immer noch „weissen“ Rock wurden unmerklich ein paar „schwarze“ Momente hinzugefügt. Das bluesig getragene ´Denn Su Bist Ein Mensch´ kommt mit einem ziemlich philosophisch angehauchten Text. Worte über das Miteinander, über das gemeinsame Leben im Kleinen wie im Großen. Vielleicht ein Grund, warum dieser Band doch immer wieder auch Steine in den Weg gelegt wurden. Die Bachzitate im dramatischen ´Sturm´ sind ein Musterbeispiel psychedelisch progressiver Rockmusik. ´Frag Doch Mich, Mein Freund´ gehört für mich zum Schönstem, was ich lange hören durfte. Auch hier ist der Text ein Beispiel dafür, zwischen den Zeilen zu sprechen. ´Tage Des Wartens Sind Vorbei´ quält leider wieder durch den wirklich eigenwilligen Gesang von Gabi Merz. An sich ein starker Song, aber wenn ich höre, was etwa Joy Fleming gleichzeitig in Mannheim geboten hat, da zieht Gabi deutlcih den Kürzeren.
Um ehrlich zu sein, für vieles, was in der DDR musikalisch passiert ist, bin ich zu jung es zu kennen. Das ist in vielen Fällen auch eine Gnade der späten Geburt. Im Falle der NAUTIKS möchte ich das fast bedauern. Umso schöner, dass Jens-Uwe Berndt hier wieder eine tolle Entdeckung gemacht hat, die von Jörg-Rainer Friede kongenial restauriert und remastert wurde. Nach Prinzip ein weiteres Stück Rockgeschichte auf Rokkfilm. Ich weiß, dass das Label noch einige Pläne für die Zukunft hat. WIe sagt man so schön? Mal gucken, was man so zu hören bekommt…
Mario Wolski vergibt 10 von 10 Punkten


