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GOLDSMITH – Wild und Heavy: “Into The Wilds” macht keine Gefangenen

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GOLDSMITH gehören zu den Bands, die sich nicht über Hype oder Image definieren – sondern über Haltung, Schweiß und Songs, die ohne Umwege ins Gesicht zünden. Auf ihrem neuen Album “Into The Wilds” treffen klassische Heavy-Metal-Wurzeln auf punkige Attacken und thrashigen Vorwärtsdrang. Dazu Texte über Angst, Wut und das Leben zwischen Bühne, Alltag und Selbstzweifeln. Ich habe mit Michael Goldschmidt über Entstehung, Sound und das aktuelle Kapitel gesprochen.

Ihr habt GOLDSMITH in Freiburg gegründet und euch über mehrere Alben vom lokalen Geheimtipp zu einer bekannten Kapelle im deutschsprachigen Raum entwickelt. Welche Erinnerungen an die Anfangszeit sind euch bis heute am stärksten im Kopf geblieben?

Michael: Die Band gründete ich in der Zeit, als ich Tourgitarrist des Bluesmusikers Bernard Allison war. Damals war ich bis zu sechs Monate im Jahr weltweit auf Tournee. In den Monaten, in denen ich zuhause war, schrieb ich die ersten beiden Alben “Shut Up & Rock” und “Fire!”. So erklärt sich auch der rockig-bluesige Touch dieser Scheiben. Bernard und ich saßen oft hinten im Tourbus und haben zusammen gejammt. In dieser Zeit habe ich unglaublich viel von ihm und den anderen Musikern der Band gelernt und war tief in der Welt des Blues verwurzelt.

Da ich damals nur wenig Zeit hatte, mit meiner eigenen Band zu proben, verzichtete ich bei den Songs der ersten beiden Alben bewusst auf komplizierte Arrangements, um es für alle Mitmusiker einfach zu halten. Wir trafen uns zwei- bis dreimal vor dem Studiotermin zum Proben und begannen danach direkt mit den Aufnahmen – so entstanden die ersten beiden Alben. Zu dieser Zeit war alles noch etwas reduzierter als heute: Im Studio verwendete ich lediglich eine Gitarre und einen Amp – heute sind es zehn Gitarren und ebenso viele Amps. Leider konnten wir damals nicht sehr oft live spielen, da ich, wie gesagt, viel mit der Bernard Allison Group unterwegs war.

Tobias: “Into The Wilds” wirkt deutlich rauer, direkter und wütender. Gab es einen Moment, an dem ihr bewusst entschieden habt: “Jetzt ziehen wir die Schrauben an”?

Michael: Nachdem ich 2015 die Bernard Allison Group verlassen hatte, zog es mich zurück zu meinen Wurzeln. Ich bin in den 90ern mit Megadeth, Slayer, Metallica, Iron Maiden und Co. groß geworden und hatte plötzlich Lust, wieder in diese Richtung zu gehen. Auf “Of Sound And Fury” (2022) konnte man bereits erkennen, wohin die Reise geht: Die Songs wurden härter, die Arrangements länger. Ich hatte nun auch genug Zeit, mich intensiv ins Songwriting zu vertiefen und verschiedene Ideen auszuprobieren. Zudem gab es in der Band einige personelle Veränderungen. Mit Christoph Brandes als neuer Produzent und Drummer war schnell klar, dass es vorerst kein Blues-Album werden würde. Trotzdem fühle ich mich in den musikalischen Gefilden, in denen wir uns derzeit bewegen, sehr wohl.

Tobias: Im Kern seid ihr ein Trio, live aber zu viert. Wie sehr verändert sich euer Sound, wenn Stan Berzon mit im Line-up steht? Zieht er euch in eine andere Richtung oder tankt er eure Energie nur weiter auf?

Michael: Es ist ja kein Geheimnis, dass man im Studio gerne Sachen ausprobiert, die live nur schwer umsetzbar sind. So habe ich zum Beispiel alle Gitarren nacheinander selbst eingespielt und anschließend die Soli darüber aufgenommen. Viele zweistimmige Parts oder gedoppelte Rhythmusgitarren könnten wir live ohne Stan gar nicht spielen. Stan ist eigentlich ausgebildeter Konzertpianist, beherrscht aber noch eine ganze Reihe weiterer Instrumente – und er ist einfach der Größte. Außerdem ist er ein begnadeter Programmierer. Er hat schon etwas von einem Cyborg oder Terminator und bringt definitiv Energie in unsere Musik.

Tobias: Die Songs auf “Into The Wilds” wirken organisch und ungefiltert – nicht wie totarrangierte Studiokonstrukte. Wie entstehen eure Songs? Jammt ihr zusammen oder liefert jeder seine Ideen einzeln an?

Michael: Ich denke, ich bin der Hauptinitiator, wenn es um neue musikalische Ideen im Sinne von Riffs und Songstrukturen geht. Zu Hause auf meinem Rechner habe ich eine große Sammlung neuer Riffs und Licks. Manchmal probieren wir neue Parts in der Probe aus, um zu sehen, wie sie sich anfühlen. Christoph und Dominik arbeiten dann für sich an ihren Parts, während ich mich um Details wie Gesangslinien, Background-Vocals, Endings oder Soli kümmere. Über File-Sharing lassen wir uns unsere Parts gegenseitig zukommen, und ich baue daraus am Ende etwas  (hoffentlich) Vernünftiges.

Tobias: Welcher Song auf dem Album hat euch beim Einspielen am meisten gefordert – und welcher war schneller im Kasten, als ihr dachtet?

Michael: Am herausforderndsten für uns alle war der Titeltrack ‘Into The Wilds’. Der Song hat ein aufwendiges Arrangement mit mehreren Tempowechseln, Dynamikwechseln und unterschiedlichen Taktarten. In den Soli dieses Stücks habe ich teilweise ungewöhnlichere Skalen verwendet, um einen besonderen Klang zu erzeugen. Auch die typischen 80er-Jahre-Shredding-Techniken wie Sweeping, String Skipping oder Tapping habe ich irgendwie untergebracht. Das aufzunehmen war schon eine echte Herausforderung und hat mir das eine oder andere graue Haar eingebracht.

Relativ einfach war dagegen ‘Baron Blood’. Der Song besteht aus wenigen Parts und folgt einem klassischen Strophe-Chorus-Strophe-Chorus-Arrangement. Er ist eher im Midtempo-Bereich angesiedelt.

Tobias: Gab es eine Stelle auf der Platte, bei der ihr beim Anhören selbst grinst und denkt: “Genau deswegen machen wir das”?

Michael: Ich bin unter anderem mit dem Album “…And Justice For All” groß geworden und habe in unserem Song ‘The Nowhere Kids’ versucht, die kalte, sterile Stimmung dieses Metallica-Albums im Songwriting einzufangen. Wenn ich den Song jetzt mit ein bisschen Abstand höre, finde ich schon, dass mir das ziemlich gut gelungen ist. Natürlich ist bei uns zum Glück der Bass noch zu hören. *lächelt*

Tobias: Textlich geht es auf dem Album um Urängste, Heuchelei und das Leben on the road. Gibt es Zeilen, die für euch emotional näher an der Realität sind, als man vielleicht beim ersten Hören denkt?

Michael: Ich habe wenig übrig für Religionen. Wenn ich sehe, wie an Heiligabend alle in die Kirche rennen – nur um von der Nachbarschaft gesehen zu werden und sich ein “reines Gewissen” zuzuschreiben – geht mir das richtig auf die Nerven. Diese Scheinheiligkeit kotzt mich an.

Bei ‘Slingshot Boogie’ geht es um das Leben als kleine Band auf Tournee. Der Song ist ziemlich nah dran an dem, was ich über die Jahre mit Bernard Allison erlebt habe: stundenlange Fahrten, Flugzeuge, Hotels, schlechtes Catering, wenig Schlaf … aber irgendwie zahlt sich all das wieder aus, sobald man auf der Bühne steht und das Publikum abgeht.

Tobias: Der Spagat zwischen aggressiven Krachern wie ‘We Will Burn In Hell’ und eher getragenen Momenten wie in ‘Here’s My Revenge’ – das natürlich im Refrain bissiger ist – fällt sofort auf. Wie bewusst plant ihr solche Kontraste – oder kommt das auch spontan?

Michael: Teils, teils würde ich sagen. Ich habe jahrelang als Gitarrist in Musicals gespielt und schätze die vielfältigen musikalischen “Farben”, die dort zu finden sind. Diese Art des Komponierens übernehme ich gerne in meine eigenen Songs. Ein schlüssiges Arrangement ist mir extrem wichtig, und ich nehme auch gerne mal ein paar Umwege oder ungewöhnliche Akkordverbindungen mit hinein, um es interessant zu halten. Man probiert so lange herum, bis es funktioniert. Manchmal sitzt man Monate an einem Song – wie bei ‘Here’s My Revenge’ – und manchmal entsteht ein Song in nur drei Stunden, wie ‘We Will Burn In Hell’.

Tobias: Der Titel “Into The Wilds” klingt nach Aufbruch, Gegenwehr. Was bedeutet er euch persönlich?

Michael: Im Titel geht es um die Urängste, die in jedem von uns stecken. Trotz der rasanten Weiterentwicklung und Verbesserungen in allen Bereichen unseres Alltags sind unsere Urängste – wie Dunkelheit, Raubtiere, Feuer, Blitz oder Donner – die gleichen geblieben und lösen nach wie vor dieselben Reaktionen in uns aus. In der Wildnis ohne technische Hilfsmittel zu überleben ist eine Königsdisziplin, die mich schon immer fasziniert hat.

Tobias: Wann wusstet ihr, dass das Album fertig ist – nicht technisch, sondern vom Gefühl her?

Michael: Es gab nicht den einen Moment, sondern bis zum Abgabetermin immer wieder kleine Änderungen. Bei einem Song hat beim Mix ein Plugin den Geist aufgegeben, und wir hatten es längere Zeit nicht bemerkt – es handelte sich nur um einen Halleffekt auf der Snare. Da mussten wir dann in letzter Sekunde noch einmal ran. Auch ein paar Vocal-Overdubs haben wir im letzten Moment aufgenommen und dazu gemischt.

Man muss einfach irgendwann sagen: “Schluss jetzt.”, sonst findet man kein Ende. Es gibt Millionen kleiner Parameter, die man noch drehen könnte, und Melodien, die man zusätzlich aufnehmen könnte. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich ein Album gerne in zwei bis drei Wochen aufnehmen und mischen – also mit einem festen Start- und Endpunkt. Leider ist das aufgrund unserer Terminkalender nicht möglich, sodass sich die Produktion über mehrere Monate erstreckt.

Tobias: Wie viel Live-Energie steckt im Album? Gibt es Songs, bei denen ihr jetzt schon wisst: “Der wird jeden Abend knallen”?

Michael: Manchmal schreibt man einen Song am Computer und merkt dann, dass er im Proberaum nicht funktioniert. Daher jammen wir die Riffs vor der Aufnahme in der Probe, um zu sehen, wie sie sich anfühlen. Wenn es nicht knallt, fliegt eine Idee schnell wieder in den Müll. Übergänge, Läufe oder irgendwelche Verzierungen schreibe ich dann in Ruhe zuhause aus. Im Proberaum funktioniert das nicht so gut, da ich gerne mal 20 oder 30 verschiedene Möglichkeiten ausprobiere – und verständlicherweise hat dann keiner meiner Mitmusiker Lust, mitzuspielen. 

Tobias: Was war der Moment in eurer Bandgeschichte, an dem ihr realisiert habt: “Okay, das hier ist mehr als nur ein Hobbyprojekt”?

Michael: Wir sind alles Berufsmusiker und haben vermutlich eine ziemlich geerdete Vorstellung davon, was möglich ist und was nicht. Wir sind alle keine 20 mehr und haben schon mit verschiedenen Bands so einiges erlebt. Natürlich ist es schön, wenn sich Erfolg einstellt und die Band langsam wächst, aber mir ist auch klar, wie schwer es ist, von eigener Musik zu leben. Es gibt so viele gute Bands, alle wollen irgendwo spielen, gehört und gesehen werden – da ist man erstmal nur ein kleiner Tropfen im Ozean.

Die Band ist für uns auf jeden Fall ein guter Ausgleich zum Alltag, und natürlich freue ich mich, wenn immer mehr Leute unsere Musik hören und uns folgen.

Tobias: Was habt ihr übers Musikmachen gelernt, das ihr eurer jüngeren Bandversion gern früher ins Ohr geflüstert hättet?

Michael: Stimmt eure Instrumente und lernt eure Parts, bevor ihr ins Studio geht – und feiert euch nicht die ganze Zeit selbst.

Tobias: Viele aktuelle Metal-Produktionen wirken überpoliert. Ihr habt euch bewusst für eine raue, direkte Ästhetik entschieden. Wo liegt für euch die Grenze zwischen “druckvoll” und “überproduziert“?

Michael: Ich denke, es ist wichtig, im Studio die Balance zwischen Live-Atmosphäre und den Möglichkeiten des Studios zu halten. Es gibt Bands, die es meiner Meinung nach im Studio etwas übertreiben und zum Beispiel fünf gleiche Rhythmusgitarren links und fünf gleiche rechts übereinander aufnehmen. Das klingt zwar fett und voluminös, verliert aber auch an Biss, weil man die kleinen Nuancen des einzelnen Spieler nicht mehr hört. Stellt euch dazu am besten einen Chor vor und versucht, den Charakter eines einzelnen Sängers herauszuhören. Wir haben bewusst nur eine Gitarre links und eine Gitarre rechts aufgenommen. Natürlich gibt es immer mal wieder kleine Harmonien oder zusätzliche Melodien obendrauf, aber ich denke, wir haben darauf geachtet, dass es nicht ausufert.

Tobias: Was wünscht ihr euch, dass Menschen empfinden, wenn sie “Into The Wilds” zum ersten Mal durchhören?

Michael: Für mich ist das Album eine Art Reise in die Vergangenheit. Ich habe versucht, alles, was mich in meinen jungen Jahren musikalisch beeinflusst hat, auf neue, aber ähnliche Weise in das Album einzubringen. Ich hoffe, dass der Hörer all diese Stimmungen – Euphorie, Wut, Trauer, Freude, Angst – genauso aufnehmen kann.

Tobias: Vielen Dank dir, lieber Michael, für den Einblick hinter “Into The Wilds”. Zum Schluss noch: Welche Worte möchtet ihr euren Hörerinnen und Hörern – und allen, die euch vielleicht mit diesem Album zum ersten Mal entdecken – mit auf den Weg geben?

Michael: Danke, dass ihr euch unsere Musik angehört habt! Ich hoffe, ihr bleibt uns treu und wir sehen uns auf einem unserer Konzerte.

Tobias: Danke und viele Grüße nach Freiburg, vielleicht sieht man sich ja mal in der Region um Mannheim. 

Michael: Danke zurück und Grüße nach Mannheim!

Interview: Tobias Stahl
Photocredits: C. Hanner