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GÜNTER WERNO – „Anima Two – Helliconia“ Konzert

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9. Mai 2025, Kaiserslautern, Fruchthalle

Der Mannheimer fährt am liebsten an Kaiserslautern vorbei. Durchfahren geht nur unter körperlichen Schmerzen. Für einen Aufenthalt braucht es schon einen wirklich triftigen Grund. Den haben wir heute Abend.

Schon als 2023 „Anima One“ auf CD/DVD erschien, war ich überwältigt. Leider von mir nicht live erlebt, hat die Aufnahme dieses Konzerts mich erwischt und hingerissen. Günter Werno ist aber auch prädestiniert, Klassik und Rock zu vermischen. Als fast Gründungs- und langjähriges Mitglied (bis 2022) von Vanden Plas durfte er das schon beweisen. Oder mit seinen Musicals und Theatermusiken. Sein kompositorischer Ansatz geht erst einmal eher vom Orchester aus. Während Rage damals auf „XIII“ Songs orchestral erweiterten, der Song im Vordergrund stand, ergänzt und erweitert Günter den Klang eines großen Klangkörpers mit Elementen des Rock.

Das führt er genau so mit „Anima Two“ fort. Heute zum ersten Mal zu hören, ist es eine Freude dabei zu sein. Auf den bisherigen Erfahrungen aufbauend, ist die neue Komposition noch stringenter, in sich geschlossener, obwohl die Form, aufgrund der literarischen Vorlage, etwas freier ist, sich von der Sonatenform entfernt hat in Richtung sinfonischer Dichtung.

Das Stück erzählt die Geschichte des Planeten „Helliconia“. Die lange Umlaufbahn, eine Umkreisung dauert etwa 2500 Jahre, bedingt starke klimatische Veränderungen. Zwei Arten beleben die Welt, die stierähnlichen Phagonen beherrschen den Planeten im Winter, die Menschen den Sommer. Wenn der Frühling kommt beginnt eine rasante Entwicklung der menschlichen Spezies, bis zum Herbst erreicht sie den Stand der europäischen Renaissance. Wenn der Winter kommt, gehen diese Errungenschaften verloren. Im nächsten Frühling beginnt alles von vorn. So viel zur Vorlage, dem 1200-Seiten-Wälzer von Brian W. Aldiss von 1982.

So sind die drei Sätze benannt nach den drei Teilen der Romantrilogie. ´Spring´ beginnt ruhig und episch breit. Vielleicht sieht man mit geschlossenen Augen ein Raumschiff durch All gleiten. Oder man sieht, wie sich Blüten öffnen und die Knospen der Bäume platzen. Flöten stehen für den Gesang der Vögel. Das Leben erwacht. Es passiert viel, zu viel, es zu erfassen oder gar zu beschreiben. So seien nur ein paar Eindrücke geschildert. Man sieht und spürt bis in die vierte Reihe, und darüber hinaus sicher auch, natürlich ist der Saal bestuhlt, die Begeisterung der beteiligten Musiker und Musikerinnen. Orchester und Band kommen noch besser zusammen als in Teil Eins. Hier im Raumklang klingen sie fast schon symbiotisch im Zusammenspiel.

 

Günter thront, fast schon stolz, hinter seinen Tasten. Er hat alles im Blick. Aber das Sagen hat der Dirigent Daniele Squeo. Gut ist zu beobachten, wie er das Orchester anfeuert, treibt, zu Höchstleistungen führt. Jede Bewegung ist voller Kraft und Leidenschaft. Patrick Sühl (Ex-Gun Barrel, Ex-Almanac) ist der Gitarrist an seiner Seite. Er sorgt für den rockigen Klang. Er wuchtet schwere Riffs, schmeichelt mit zarten Akustikgitarrenklängen und ziseliert feine Soli. Zusätzlich ist er eine wichtige Stimme in den Gesangsteilen. Leider kann ich von meinem Platz nicht alles sehen, weder die hinteren Reihen des Orchesters wie die Bläser und die Perkussionisten, aber auch nicht Wolfgang Ritter am Bass. Und Drummer Christoph Czech verschwindet hinter einer Plexiglaswand.

Höhepunkte sind die Gesangsstücke. Im zweiten Satz ´Summer´ und fesselt Monika Hügel. Im dritten Satz ´Fall´werden endgültig alle Schleusen geöffnet. Für die Zeilen „It’s not enough to lift up my hands, It’s not enough to dance my best dance, It’s not enough to sing my best song, For all you’ve done for me“ kann ich mir gerade keine andere, bessere Sängerin vorstellen, als Alisia Harris. Sie könnte jeden Gospelgottesdienst alleine tragen, jeden Raum mit Stimme und Kraft füllen. Pellecutio benennt keine Krankheit. Pellecutio beschreibt das wohlige Gefühl, wenn sich alle Härchen am ganzen Körper verselbstständigen. Dazu kommt noch der tolle Chor, der leider auch erst zum Schlußapplaus sichtbar wurde.

Ich muss nicht extra erwähnen, dass man ganz viele mitwippende, glücklich strahlende Menschen sieht, auch solche, die eher wie alte steife Klassikhörer aussehen. Und dann dirigiert Daniele auch das Publikum zum Mitklatschen.

An dieser Stelle möchte ich kurz doch eine Lanze für K-Town brechen. Ja, diese Stadt hat einen wenig einladenden Ruf. Aber auf den zweiten Blick. Recht grün gelegen, am Rande des Pfälzer Berglands bietet Lautern ein paar kulturelle und historische Höhepunkte von Kaiserpfalz über Pfalztheater bis zum Museum Pfalzgalerie. Dazu dieser schöne Bau der Neorenaissance, die Fruchthalle. Als Markthalle gebaut ist sie heute ein wunderschönes Konzerthaus und erinnert irgendwie an das mediceische Florenz. Und als wir später die Straße betreten, stehen wir mitten im Leben voller vor allem junger Menschen in Gastro und Bars.

Davor soll der schöne Abend aber noch stilgerecht beendet werden. Mit Tschaikowskis Fünfter Sinfonie. Wörtlich heißt die Sinfonie Nr. 5 e-moll op. 64. Ich zähle Tschaikowski schon zu meinen Lieblingskomponisten. Die Vierte Sinfonie oder DAS Klavierkonzert (also das berühmt Erste) kann ich wohl immer noch blind mitsummen. Ich liebe die Ballettmusiken, Schwanensee, Nußknacker. Und einige der kurzen Orchesterstücke wie den Slawischen Marsch, der vor allem auch Accept-Fans nicht ganz fremd sein dürfte, oder das Capriccio Italien, oder die Ouvertüre 1812. Auch die Fünfte Sinfonie klingt klassisch nach Tschaikowski. Zarte Streicher und aggressives Blech. Ein paar wunderbare Melodien wie im cantabilen zweiten Satz. Trotzdem erscheint alles, zumindest für mich, irgendwie formelhaft. Was nicht die Leistung des Orchesters schmälern soll, sondern was ich auf die Musik beziehe. Die Fünfte wird also weiter nicht unbedingt mein Liebling sein.

Dafür hoffe ich, dass Günter es schafft, auch „Anima Two“ auf Tonträger zu veröffentlichen. Denn Musik will nicht nur aufgeschrieben werden. Da hat niemand was von. Sie muss gehört und vor allem gespielt werden.

Fotos: Ottmar Zimmermann